Zehn Kilo weniger. Zehn Kilo in sechs Wochen. Erik Wiborg hält seine Hände etwa zehn Zentimeter vom Bauch weg. «So dick war ich», sagt er und strahlt dabei mit rosigen Wangen. Wiborg nimmt sich ein altbackenes Dinkelbrötchen vom Teller, bestreicht es akribisch mit Avocadocrème. Dann kaut er. Und kaut. Und kaut. Auch an anderen Tischen im Speisesaal des «Lanserhofs» sitzen Leute und lassen konzentriert ihre Kiefer mahlen. «30-mal sollte man jeden Bissen kauen», raunt ein weisshaariger Herr, der zwei einsame Reiswaffeln auf seinem Teller begutachtet.
Wer im Tiroler «Lanserhof» auf Wellness in üppigem Luxus mit Streichelmassage und Dampfbädern unter sphärischen Klängen hofft, dem sei gleich gesagt: Fehlanzeige. Wie ein von allen grossbürgerlichen Attributen, von monumentaler Architektur und pompöser Inneneinrichtung entschlackter «Zauberberg» liegt das Hotel nur eine Viertelstunde Autofahrt südöstlich von Innsbruck am Hang. Ein moderner, schlichter Bau mit Holzverkleidung und einer ruhigen, asiatisch anmutenden Aussenanlage. In krassem Gegensatz zur zurückhaltenden Hotelanlage steht der illustre Fahrzeugpark der Gäste davor. Mercedes, Aston Martin, BMW, Audi, Jaguar.
Wer den Weg hierher findet – und das sind viele –, will sich das leisten, was normalerweise nicht für Geld zu haben ist: medizinische Regeneration, innere Einkehr, Entschlackung und Selbstfindung, serviert mit menschlicher Zuwendung, in einer schönen Umgebung. Längst ist der «Lanserhof» ein Eldorado für Zivilisationskranke. Für Übergewichtige, Magen- und Darmgeschädigte, für Gestresste und solche, die genug haben von der alltäglichen Termindiktatur. «Spiegel»-Herausgeber Rudolf Augstein etwa kam regelmässig zum Schreiben und zum Regenerieren ins Tirol. Der ganzheitliche Ansatz des speziell entwickelten Regenerationsangebotes versteht sich ganz ohne falsche Bescheidenheit als Hilfestellung zu einem qualitativ besseren Leben.
Der Mann, der hinter dem Konzept steht und dem der «Lanserhof» sein heutiges Image verdankt, heisst Andreas Wieser. Vor 20 Jahren übernahm Wieser als Hoteldirektor das einstige Ferienhotel und veränderte dessen Aussehen und Angebot nach und nach. Sukzessive hat er das Gebäude «mit dem wenig attraktiven Charme der siebziger Jahre» umbauen lassen. Hat Saunen und Schwimmbäder eingebaut, die Zimmer modernisiert und konsequent Therapien auf- und ausgebaut. Wird der «Lanserhof» als Vorläufer aller Wellnesshotels bezeichnet, gerät Wieser dennoch in Rage. «Unser Schwerpunkt», sagt er, «liegt auf Gesundheit und Prävention.»
Stets auf der Suche nach dem Besseren, nach den ultimativen medizinischen Erkenntnissen für seine verwöhnte Klientel, hastet der Vorarlberger Hoteliersohn rastlos durch die Welt. Ein gesuchter Referent und genialer Verkäufer des so genannten Lans-Med-Concept-Programms. Das Potpourri aus komplementär- und schulmedizinischen Elementen, angereichert mit Bewegungstherapie und Beauty-Behandlungen, ist nach Wiesers Aussage «eine intelligente Symbiose aus Spitzenmedizin, Naturheilkunde, anerkannten Therapieverfahren, neuestem wissenschaftlichem Know-how und der angenehmen Atmosphäre eines Luxushotels».
Letztgenanntes ist ausstattungsmässig etwas für Anhänger des reduzierten Designs. Moderne, eher spartanisch möblierte Zimmer, die durchaus einen klösterlichen Touch haben. Der Speisesaal mit seinen unprätentiösen Holztischen und Stühlen sei dem Hausherrn, wie die Angestellten durchblicken lassen, wegen der aufgelegten Tischsets noch zu üppig dekoriert. Er wünsche möglichst blanke Tischplatten, auf denen die karge Kost noch besser zur Geltung kommen solle. Nichts soll vom Wesentlichen, dem Gesundfasten nach der modernisierten F.X.-Mayr-Diät, ablenken.
Mittags herrscht Kurhausstimmung an den Tischen. Gepflegte Damen sitzen ungeschminkt in Hausschuhen und weissen Bademänteln an den Tischen und verzehren mehr oder minder lustvoll eine dampfende Kartoffel. Dynamisch wirkende Herren in Trainingsanzügen kasteien sich mit basischer Brühe aus der Teebar. Und alle wirken augenscheinlich entspannt dabei. Wer freiwillig auf Bohnenkaffee und Alkohol verzichtet, früh zu Bett geht und morgens um sieben im Wald Frühgymnastik betreibt, sucht kein simples Relaxen. Wer vom Angebot des «Lanserhofs» profitieren möchte, muss Einsatz bringen wollen. Viele der Leute hier sind denn auch Stammgäste, die sich zumindest einmal im Jahr eine Auszeit von im Schnitt knapp zehn Tagen gönnen.
Erik Wiborg ist nach sechs Wochen Kur die Ausnahme. Der Norweger ist schon zum zweiten Mal in diesem Jahr zu Gast in Lans. Sein chronisch gereizter Darm plagte ihn, er war übergewichtig. Mit der F.X.-Mayr-Kur, der modernen Variante der früheren mayrschen Semmel-Milch-Diät, hat er schon im Frühling die ersten sechs Kilo abgespeckt. Mit Hilfe von täglichen Glaubersalz-Reinigungen, einer milden Gemüsesuppe und natürlich den trockenen Brötchen hat er den geschundenen Darm entgiftet und damit beruhigt. Viele Beschwerden sind verschwunden. Im September kehrte er für eine zweite Kur zurück.
Als Wiborg erneut angereist war, fand er den medizinischen und therapeutischen Trakt des Hotels komplett neu vor. Direktor Wieser hatte beschlossen, dass das innere Konzept des «Lanserhofs» einen passenden Rahmen bekommen sollte. Und da modernes Design eines seiner Steckenpferde ist, wagte er sich auch hier auf neues Terrain. Wo früher in konventionell gestalteten Behandlungsräumen therapiert wurde, wüteten Bagger. Ende August bezog das Personal die neuen, 1300 Quadratmeter grossen Räumlichkeiten, die eine Investition von vier Millionen Euro erforderten.
«Wie gefällt Ihnen die Neugestaltung?» ist seither eine beliebte Frage, um die Konversation unter den Gästen anzukurbeln. Das Düsseldorfer Architekturbüro Ingenhoven und Partner hat vor der grandiosen Kulisse der Tiroler Berglandschaft ein futuristisches Ambiente à la Raumschiff Enterprise geschaffen. Viel Weiss, einige blaue Sessel im Design der Siebziger, in die Wand eingelassene Therapieliegen und Ruhebetten – nichts soll vom Eigentlichen, der Therapie, ablenken. Dem einen oder anderen Gast mag dies dann gar zu reduziert sein, und manch einer sehnt sich wohl nach dem ursprünglichen Ambiente und etwas Holz zurück.
Doch der Neubau war auch aus Platzgründen unabdingbar. Denn das im Laufe der Jahre auf 70 Mitarbeiter angewachsene Hotelunternehmen brauchte mehr Behandlungsräume.
Für die kommenden Jahre sei dieser Umbau, so heisst es offiziell, erst einmal der letzte gewesen. Vermutlich so lange, bis Wieser, der Visionär, den nächsten Trend aufgespürt haben wird und für den «Lanserhof» umsetzen will. Seine treuen Gäste werden auch dies dankbar aufnehmen. Erik Wiborg jedenfalls ist noch immer nicht bei seinem Wunschgewicht angelangt. Drei Kilo fehlen.
Zahlen und Fakten
Mit rund 20 300 Übernachtungen pro Jahr und einer durchschnittlichen Auslastung von 85 bis 90 Prozent gehört der in Lans bei Innsbruck gelegene «Lanserhof» mit einem Umsatz von neun Millionen Euro zu den erfolgreichsten Hotels in Österreich. Seit das Unternehmerquartett Andreas Wieser, Anton Pletzer, Christian Harisch und Johann Hager das Hotel vor sieben Jahren übernommen hat, ist das einstige Kurhaus auch optisch den Ansprüchen der gehobenen Kundschaft angepasst worden.
Basis des therapeutischen Lans-Med-Concept-Programms sind die Erkenntnisse des österreichischen Arztes Franz Xaver Mayr, der die Regeneration des Darmes in den Mittelpunkt einer Regenerationsmedizin stellte. Gemeinsam mit dem eigenen Institut für Regenerationsforschung und seinem Ärzte- und Therapeutenteam entwickelte der «Lanserhof» diese Regenerationsmedizin in den vergangenen zehn Jahren weiter. Heute kombiniert der «Lanserhof» moderne medizinische Detox-Behandlungen (Entgiftungen), innovative Körper- und Bewegungstherapien, Mental- und Psychotherapien und eine moderne Energie-Cuisine.
Lanserhof, A-6072 Lans bei Innsbruck, Tel. +43/51 38 666 0, www.lanserhof.at