Faszination Untergrund: Auf der Karte des Londoner U-Bahnnetzes verstecken sich rund 40 Geisterstationen - ungenutzte Überbleibsel aus vergangenen Zeiten. Jetzt sollen sie zu Bars, Galerien, Clubs werden. Viele Kreative nutzen die U-Bahn-Tunnel schon.

Wie Spinnweben ziehen sie sich durch Londons Untergrund: Ausrangierte Tunnel. Wände, von denen staubige Werbeplakate abblättern. Gleise, auf denen sich seit Jahren nichts mehr bewegt.

Rund 40 der insgesamt 270 Londoner U-Bahn-Stationen sind im Laufe der Jahre zu Geisterstationen verkommen. Züge fahren dort schon lange nicht mehr, doch die Bahnsteige bestehen noch immer so wie man sie bei ihrer Schliessung zurückgelassen hat.

Hywel Williams, IT-Spezialist und Gründer der Website «Underground History», ist fasziniert von den verlassenen Haltestellen: In den frühen 2000ern kletterte er regelmässig hinab in die menschenleeren Gewölbe: «Es war, als würde man eine Zeitreise machen», erinnert er sich. «Heute lassen sie aber niemanden mehr runter. Die Sicherheitsrisiken sind zu gross».

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Events in alten Stationen

Ajit Chambers entdeckte die Anziehungskraft des unbekannten Untergrunds wie Hywel Williams aus Zufall. Vor sechs Jahren stolperte der ehemalige Bankberater in einem Antiquitätenladen über eine Karte des Londoner U-Bahnnetzes.

Darauf fand er 26 Stationen, die niemand mehr benutzte - und entwickelte ein Konzept, um sie in Eventlocations umzuwandeln. Seitdem ist Chambers mit Londons Bürgermeister Boris Johnson in Dauerkontakt. «Ich habe ihm 2009 versprochen, dass wir die Stationen für die Öffentlichkeit öffnen würden», sagte er der Nachrichtenagentur dpa.

Grossinvestoren an Bord

Die Idee hinter diesem Versprechen klingt einfach: Aus den ehemaligen Haltestellen, die unter den Augen der Stadt langsam zerfallen, sollen Clubs, Bars und Kunstgalerien werden. Vier Grossinvestoren hat Chambers dafür an Bord, sodass nach seiner Aussage kein öffentliches Geld mehr in das Projekt fliessen muss.

Im Mai dieses Jahres nahm Chambers' Vision schliesslich konkrete Formen an: Transport for London, die Londoner Nahverkehrsgesellschaft, lud 38 Unternehmen ein, um ihre Ideen für die Neugestaltung der Station Down Street vorzustellen - eine der geschichtsträchtigsten Geisterstationen der Stadt.

Am 10. Juli soll die Shortlist mit den besten Ideen für die ausrangierte Untergrundstation stehen, Ende September hofft Transport for London dann auf den endgültigen Startschuss. «Ich habe mein Versprechen gehalten», resümiert Chambers.

Skurrile Projekte

Doch schon heute fasziniert die Londoner Unterwelt viele Kreative, die sie zum Schauplatz für teils skurrile Projekte machen: Der «Underground Film Club» beispielsweise projiziert in einem ungenutzten Teil der Station Charing Cross in unregelmässigen Abständen Filmklassiker an die Wände der U-Bahn-Schächte.

Die Tunnel nahe der Station North Clapham werden dank der Initiative «Growing Underground» zum exotischen Kräutergarten.

Unterhalb der Station Waterloo haben sich Künstler in den sogenannten «Vaults», den Gewölben, zusammengefunden. Bis August sind die röhrenförmigen Tunnelgewölbe gerade zu einer mythisch-fantastischen Märchenwelt geworden.

Wunderland Tunnels

Die Show «Alice's Adventures Underground» feiert hier das 150-jährige Jubiläum des Kinderbuchklassikers «Alice im Wunderland» von Lewis Carroll - mit einer ungewöhnlichen Mischung aus Theater, Liveevent und dem sprichwörtlichen Sturz durch das Kaninchenloch.

Die Transformation der U-Bahn-Tunnel ist dabei beeindruckend: Während der Show verirrt man sich geradezu in den zahllosen Gängen, die die Veranstalter dort unten aufgebaut haben. Erst der Salon des verrückten Hutmachers lässt erahnen, wie hoch die Gewölbe tatsächlich sind.

«Die Vaults sind perfekt für unsere Version des Wunderlands. Die Location liegt wortwörtlich im Untergrund. Man hört die U-Bahnen über sich fahren und es gibt all diese verrückten Tunnel und Labyrinthe - wunderbar», schwärmt Produzent Oliver Lansley.

(sda/ccr)