Vinyl galt als tot, nun wächst der Markt wieder. Rare Klassiker werden für Hunderttausende Dollar gehandelt. Was eine gute Sammlung ausmacht.
Seit 39 Jahren betreibt Daniel Binggeli (58) einen Plattenladen in Bern, in unmittelbarer Nähe des Bahnhofs. «Der Oldiesshop hat mich zum Millionär gemacht», sagt er. Allerdings müsste er dafür ziemlich viele seiner Platten verkaufen, und «das will ich nicht», sagt der passionierte Sammler und Musikfan.
Es gab Zeiten, da hat der damals noch nebenberuf lich als Sekundarlehrer tätige Binggeli gänzlich ohne Gage in seinem Geschäft gearbeitet. In den 1980er und 1990er Jahren interessierte sich nur noch eine verschwindend kleine Käuferschaft für Schallplatten, die CD galt als das neue Nonplusultra und löste 1987 die LP erstmals als meistverkauften Tonträger ab. In den letzten Jahren hat sich das Blatt jedoch erneut gewendet; heute sind die Umsätze mit CD eingebrochen, das meiste an neuer Musik wird gestreamt – aber als absolut konträre Entwicklung zum digitalen Boom hat das Interesse an Vinyl wieder zugenommen.
Jagd nach schwarzem Gold
Der Grossteil der Leute, die in Binggelis Regalen stöbern, sind Wiedereinsteiger. Menschen jenseits der Fünfzig, die Musik wieder so geniessen wollen, wie sie es in jungen Jahren getan haben: unverfälscht und in höchster Qualität. Investoren, die vornehmlich die Rendite im «schwarzen Gold» suchen, kämen hin und wieder auch in seinen Laden in der Effingerstrasse, erzählt Binggeli. Doch die meisten seiner Kunden streben primär nach dem Genuss der höchsten audiophilen Qualität und dem Besitz von exklusiven Raritäten – und haben so vielfach automatisch eine werthaltende oder gar eine wertsteigernde LP-Sammlung daheim.
Wie die 4500 Scheiben, die er gerade aus dem Nachlass einer verstorbenen Frau erwerben konnte, die «beste Sammlung, die ich je gesehen habe», wie er sagt. Irgendwas zwischen 20'000 und 30'000 Franken hat er dafür hingeblättert, den genauen Preis mag er nicht sagen. Nun wird er die Platten in seinem Laden verkaufen, darunter sehr viele Raritäten.
Solchen Raritäten – quasi die Blue Chips des Vinyls – jagen die Sammler und Händler auf der ganzen Welt hinterher: Erstpressungen, Sonderpressungen oder Fehlpressungen sollten es sein, je kleiner die Auflage des Tonträgers und je besser der Zustand, umso höher der Preis. Klassiker wie rare Aufnahmen von den Beatles, Led Zeppelin oder Elvis werden nicht selten für mehrere zehnoder hunderttausend Dollar gehandelt.
Ganz so teure Platten gingen bei Daniel Binggeli bislang nicht über den Ladentisch. Die teuerste Scheibe, die er je verkauft hat, war von der Schweizer Beatband The Sevens für 2500 Franken. Wie viel eine Platte wert ist, orientiert sich an der Art der Pressung, der Auflage und am Zustand des Covers und des Vinyls. Sind die Platten noch jungfräulich und ungespielt, erhalten sie das höchste Güteprädikat einer Schallplatte nach dem Goldmine Grading Standard. Insider nennen dieses mint und meinen damit eine Platte, die neuwertig ist, aber nicht mehr eingeschweisst. Die Skala der Qualität geht runter bis auf poor oder fair. Diese Platten weisen starke Schäden auf und sind nur noch bedingt abspielbar.
Der Zustand der Platte ist ein wichtiger Preisfaktor. Aber die Preisfindung im Handel mit LP unterliegt natürlich auch unberechenbaren Parametern. Der Ökonom würde sagen: Der Vinylmarkt ist höchst intransparent und unreguliert. Dem Handel mit Vinyl hat die Digitalisierung ironischerweise einiges an Dynamik und Transparenz verliehen. Es gibt unzählige Websites, auf denen Alben gehandelt und Preise verfolgt werden können (siehe Box rechts) und die etwas Licht ins Dunkel bringen.
Sammeln als Geschäft
«Die Idee, eine Vinylsammlung als Geldanlage zu betrachten, hat sich in den letzten Jahren durchaus rumgesprochen», sagt Dennis Plauk, Chefredaktor von «Mint», dem Magazin für Vinylkultur, und er geht davon aus, «dass das Ende der Fahnenstange noch lange nicht erreicht ist». Bestimmte Platten wie Krautrock-Scheiben der 1970er Jahre die nur in kleinen Auf lagen erschienen sind, werden schon mal für bis zu 500'000 Euro gehandelt und dürften auch in Zukunft sehr gesucht bleiben.
Ebenso wie Pressungen des britischen Plattenlabels Vertigo aus den Jahren zwischen 1969 und 1973: Für diese raren Scheiben von Black Sabbath, Status Quo, Rod Stewart oder Uriah Heep mit dem spiralförmigen Schwarz-Weiss-Logo des Labels auf der A-Seite zahlen Sammler Höchstpreise – wenn sie denn überhaupt eine finden. «Es ist ein offenes Geheimnis, dass die ganz wertvollen Stücke auch bei der für die Branche wichtigsten Messe in Utrecht oftmals gar nicht mehr auf den Tisch kommen, sondern am Abend vorher bei einem Treffen in der Hotelbar den Besitzer wechseln», sagt Plank.
Dieser Handel befremdet manchen Sammler, denn: «Ein wahrer Sammler gibt Platten, die ihm viel bedeuten, in der Regel nicht mehr her», so Plauk. Es sei denn, man hat so viele Platten gesammelt, dass man den Überblick verloren hat und die Flucht nach vorne antritt – so wie Christian Küng. Im vergangenen Jahr hat der 55-jährige Banker sein Hobby zum Nebenberuf gemacht und in Langendorf bei Solothurn Johnny’s Schallplatten eröffnet – benannt nach seinem Grossvater. Dort ist er einer der wenigen, die auch das Genre Klassik auf Vinyl bedienen.
Bevor Küng seinen Laden eröffnete, fehlte ihm schlicht die Zeit, um seine Plattensammlung zu Hause zu katalogisieren. Viele Platten hatte er zweimal und wusste es nicht einmal. Und weil Vinyl in den letzten Jahren wieder salonfähig geworden ist, traute er sich und setzte seinen Bubentraum vom eigenen Plattenladen in die Tat um.
Die Öffnungszeiten sind überschaubar, Küng arbeitet weiterhin zu 90 Prozent auf der Bank. Der Plattenladen läuft trotzdem gut und wirft sogar einen kleinen Gewinn ab. Zu seinen Kunden zählen Sammler, Wiedereinsteiger fünfzig plus und junge Leute ab zwanzig, die Vinyl das erste Mal in ihrem Leben für sich entdecken.
«Es ist viel Nostalgie im Spiel, aber es geht auch um Qualität – und Qualität setzt sich am Ende halt immer durch», ist er überzeugt. Ihn wundert es nicht, dass im rasanten Zeitalter der Digitalisierung etwas so Unpraktisches wie eine LP eine Renaissance erlebt. «Eine LP ist bewusster Hörgenuss, während das Musik-Streaming reiner Konsum ist», sagt Küng.
Schätze in alten Kisten
Die Digitalisierung hat vieles verändert. Aber digital ist wie Strom: Nicht sichtbar, nicht fühlbar, nicht riechbar, nicht fassbar. In diesen flüchtigen Zeiten sehnt sich manch einer nach etwas Handfestem zurück, auch in der Musik. Eine LP aus dem Cover nehmen, das Vinyl und den Staub der Jahre riechen, die Scheibe mit den Fingerspitzen auf den Plattenteller legen, die Nadel vorsichtig aufsetzen, im Sessel vor den Boxen versinken, die Bilder und Texte des Covers studieren, in Sound und Melodie eintauchen und sich den mit ihnen verbundenen Erinnerungen hingeben.
Nichts konserviert Gefühle so tief wie Musik. So beschwingt die Schallplatte gleich mehrere Sinne: hören, sehen, riechen und fühlen. Alles in allem: Eine Zeremonie. Seelenreinigend, würden manche audiophile Vinyl-Fans anfügen.
«Vinyl ist materialisierter Klang und erfahrbare Technik. Und dieser Tonträger wird den Ton auch in hundert Jahren noch tragen. Bei einem Daten-File hofft man das nur», schmunzelt Markus Thomann, Vorstandsmitglied der Analogue Audio Association (AAA). Der 320 Mitglieder starke Verein ist seit seiner Gründung im Jahr 1991 eine Art Gralshüter des Vinyls und seine Mitglieder haben nie aufgehört, an die gute alte Schallplatte zu glauben.
«Viele Mitfünfziger, die heute viel Kaufkraft haben, sind mit Vinyl gross geworden und möchten die Musik heute wieder so geniessen wie damals», sagt Thomann. Und sie investieren nicht nur in Schallplatten, sondern auch in die Technik drumherum, weiss er, der im Hauptberuf hochwertige Lautsprecher in kleinster Stückzahl herstellt und Hifi-Anlagen verkauft.
Viele dieser neuen alten Analog-Liebhaber haben ihre Plattensammlung aus jungen Jahren noch irgendwo auf dem Estrich oder im Keller – die wenigsten Menschen können Platten bei einem Umzug einfach in den Müll werfen. Und wer weiss, vielleicht bilden die alten LP den Grundstein für den Aufbau einer Sammlung von alten und auch von neuen Scheiben. Denn es gibt sie auch wieder frisch gepresst.
Verkaufsregale füllen sich wieder mit Vinyl
Zwar spielt sich das für Sammler und Investoren interessante Geschäft mit Vinyl auf dem Sekundärmarkt ab, aber es gibt einen neuen Trend: Es erscheinen auch immer mehr neue Alben auf Vinyl (siehe Grafik). «Seit einiger Zeit wächst der Markt für neue Vinylplatten im zweistelligen Prozentbereich und dieser Trend sollte sich gemäss Prognosen auch in den nächsten Jahren fortsetzen», sagt Christian Natale, Leiter Verkauf und Marketing bei der Musik Hug AG.
In den vergangenen zwei Jahren hat Musik Hug daher das Angebot von Schallplatten um rund einen Drittel vergrössert. Auch bei Media Markt und in anderen Musikgeschäften wachsen die Regale mit nagelneuen Vinylscheiben wieder.
Künstler von Justin Bieber bis Iggy Pop geben ihre neuen Alben auf Vinyl heraus, gerne in bunten Limited Editions. Andere Bands lassen ihre ganze Diskografie noch einmal neu auf Vinyl pressen. «Natürlich kann man eine neue Box mit allen Scheiben beispielsweise von Rammstein kaufen, für zwanzig Jahre ins Regal stellen und hoffen, dass sie im Wert steigt», sagt Daniel Binggeli. Einen drastischen Wertverlust halten viele Experten für unwahrscheinlich, bei guter Pflege des Vinyls sollte der ursprüngliche Wert zumindest erhalten bleiben.
Das ist mehr, als man heutzutage von vielen herkömmlichen Geldanlagen sagen kann. In zinsarmen Zeiten wie diesen verliert das Ersparte mehr als nur die Prozentpunkte der Teuerung. Im Gegensatz zu Aktien, Anleihen oder Goldmünzen haben Schallplatten zudem einen unschlagbaren Vorteil: Man kann sie bis ans Ende der Zeit anhören und geniessen. Darum sagt Binggeli: «Ich sterbe lieber mit der besten Plattensammlung als mit dem fettesten Bankkonto.»
- Oldiesshop, Effingerstrasse 4, 3011 Bern, www.oldiesshop.ch
- Johnny’s Schallplatten, Weissensteinstrasse 22, 4513 Langendorf bei Solothurn, www.johnnysschallplatten.ch