«Lausiger Salonlinker», «Klugscheisser», «Lernen Sie mal richtig arbeiten!» – Das sind noch die gemässigteren Zitate aus dem Fundus der Beschimpfungen, die der junge Nationalrat Cédric Wermuth per E-Mail oder Post entgegennehmen muss. Der 27-jährige Student gilt als wichtigster Mann hinter der Volksinitiative «1:12 – Für gerechte Löhne» und macht nicht den Eindruck, als ob er sich durch Wut-Mails seiner Gegner beirren liesse.

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«Ich bin ein klassisches Kind der Partei», sagt er. Nach sozialdemokratischen Lehrjahren im Aargau und mehreren Jahren als Juso-Funktionär gilt er heute in der SP Schweiz als grosser Hoffnungsträger. Und im Nationalrat fällt er mit seiner gewitzten Rhetorik auf. Auf ein paar Zetteln schreibt er sich einige Gedanken auf und legt dann in freier Rede los – oft zum Schrecken altgedienter Parlamentarier.

In der Rolle des Managerschrecks wird er nun wohl Thomas Minder ablösen. «Economiesuisse und der Schweizer Geldadel sind nicht an irgendeiner falschen Kampagnentechnik oder dummen Zufällen gescheitert», sagt Wermuth, «sondern an etwas viel Grundsätzlicherem: an der Realität.» Seine stärksten Argumente: die Salärpakete von Managern wie Andrea Orcel (UBS), Michel Liès (Swiss Re), Hariolf Kottmann (Clariant) oder Stefan Borgas (Lonza).

Die Freunde

Im Verzeichnis der Interessenbindungen des Nationalrates ist es unter dem Mitglied Wermuth noch weiss: «Keine Interessenbindungen vorhanden». Dennoch kann er auf wichtige Politverbündete zählen, darunter den SP-Präsidenten Christian Levrat. Der Freiburger ist für ihn «extrem wichtig», und er schätzt dessen «schützende Hand». Eine Förderin war und ist Nationalrätin Jacqueline Fehr aus Winterthur, die bereits seit 1998 im Parlament sitzt. Und in Graubünden zählt er auf einen Freund mit ebenso grossen Ambitionen: Jon Pult, der zwei Jahre ältere SP-Jungpolitiker aus Chur und Student an der Universität Zürich wie Wermuth, ist bereits seit 2009 Präsident der SP Graubünden und seit 2010 Bündner Grossrat. Unter den erfahrenen Parteifreunden im Nationalrat kann sich Wermuth auf den Berner Corrado Pardini, einen Gewerkschaftsmann, verlassen. Ein Mitspieler in der Grünen Fraktion des Nationalrates ist Balthasar Glättli, ein Mann aus der heranwachsenden Generation von Vollamt-Politikern.

Wermuth hat auf seinem Ticket zwei Weggefährtinnen aus der Ausländer- und Sozialarbeit die Zutrittsberechtigung für das Parlament verschafft: Ivica Petruši´c vom Dachverband für offene Jugendarbeit und Emine Sariaslan, die 1988 als politischer Flüchtling aus der Türkei in die Schweiz kam und sich in der Migrationspolitik engagiert.

Die Gegner

Seine Gegnerschaft sucht sich Wermuth weniger unter bürgerlichen Jungpolitikern. Er schiesst sich eher auf die grossen Namen im rechten Lager ein. Allen voran auf SVP-Financier Christoph Blocher, den populistischen SVP-Frontmann Hans Fehr und den nationalkonservativen SVP-Mann Ulrich Schlüer. Unter den jüngeren SVP-Politikern hat er vor allem Claudio Zanetti im Visier. Wermuth geht mit Wonne in Streitgespräche mit dem Zürcher Kantonsrat und PR-Berater. Wermuth und Zanetti setzen beide gerne auf Provokation. Es ist eine Lieblingsgegnerschaft, die erwidert wird. Nach einer Podiumsdiskussion zur Abzocker-Initiative twitterte Zanetti: «War cool mit @cedricwermuth.» Wermuth vermittelt den Eindruck, dass er die liberale Front nicht mehr fürchten muss. Doris Fiala, Gabi Huber, Filippo Leutenegger – für Wermuth kein Thema. Bei Philipp Müller, den er aus dem Aargau gut kennt, vermisst er eine klare Linie. Allenfalls in FDP-Wirtschaftsmann Ruedi Noser erkennt er einen vorausdenkenden Gegner. Und im Wirtschaftsleben betrachtet er alle «Halbgötter in Gucci und Prada» als Lieblingszielscheibe seines Klassenkampfes.

Die 1:12-Connection

Im Kampagnenkampf gegen überrissene Managersaläre, für Mindestlohn und Reichtumsbesteuerung wird Wermuth schlagkräftig begleitet. Im Büro der 1:12-Initiative sitzt sein Glarner Freund Marco Kistler (28). Zur Finanzierung setzen sie auf Crowd Funding im Internet. Mit unkonventioneller Agitation will Wermuth punkten. Beim Nachtessen will er Interessierte zu Hause überzeugen.

Im Hintergrund unterstützt Gewerkschaftspräsident Paul Rechsteiner das 1:12-Projekt, der das Thema mit der Mindestlohn-Initiative befeuert. Mit im Initiativkomitee sind Christian Levrat von der SP und die Juso.

Die Karriere

So ganz nebenbei muss Student Wermuth an der Universität Zürich noch eine Schlussrunde büffeln. Dies ist für den Hansdampf in allen Sozi-Gassen offensichtlich die grösste Herausforderung. Er ist in Wirtschaftsgeschichte und Politikwissenschaften eingeschrieben und will im kommenden Jahr das Examen ablegen.

Bis 2008 war er ein Jahr lang persönlicher Mitarbeiter des Aargauer Regierungsrates Urs Hofmann. Von dem gemässigten SP-Mann hat er viel gelernt, nicht zuletzt hat er dort gesehen, wie das Regieren funktioniert. 2010 versteuerte er 45 000 Franken Einkommen. Seit Dezember 2011 verdient er sein Salär im Nationalrat, durchschnittlich 9554 Franken pro Monat. Steuerbares Vermögen: null.

Hat der Jungpolitiker Macht? «Das wird masslos überschätzt», kommentiert der Aargauer Nationalrat mit Understatement. Natürlich weiss Wermuth, dass er etwas bewegen kann. Denn Macht gewinnt auch derjenige, der ernsthaft mit einer Blockade drohen kann. Es ist die Macht des Neinsagers.

Die Familie

Wermuth wuchs in einem 68er Haushalt in den Dörfern Bünzen und Boswil im Freiamt (AG) auf. Seine Eltern sind Heilpädagogen, und eine Grossmutter stammt aus Italien – daher sein Faible für die politische Italianità. Sein jüngerer Bruder studiert Philosophie.

In Baden wohnt er in einer Wohngemeinschaft zusammen mit Kolleginnen und Kollegen aus vier Nationen (Spanien, Bosnien, Schweiz, Italien). Seine Miete: 800 Franken. Grösseren WG-Ärger verursachen die Entsorgungsprobleme mit seinem Papierabfall. In Bern wohnt er während der Session in einem Zimmer bei einem SP-Genossen. Seine grosse Liebe lebt in Luzern. Mit der Lehrerin und Übersetzerin Anja Pfenninger ist er seit zweieinhalb Jahren zusammen, sogar über Kinder wird schon gesprochen. Sie war die Erste, die es schaffte, ihn rhetorisch unter den Tisch zu reden. «Das ist erotisch!», schwärmt Wermuth.