SP-Chef Christian Levrat (40), ein unverbesserlicher Syndikalist, ist in seinem Element: Er zeuselt, er provoziert, er gibt Parolen aus. «Mehr Steuergerechtigkeit und Solidarität», «Weg mit dem Finanz-Casino», «Gegen die Blutsauger der globalen Wirtschaft». Als Treiber seiner Agitprop dienen zwei SP-Initiativen: die «Steuergerechtigkeits-Initative», die Ende November zur Abstimmung kommt, und die «Volksinitiative 1:12», welche die Löhne des Managements auf das 12fache des tiefsten Lohnes im Unternehmen beschränken will. Saläre über 500 000 Franken wären dann in der Schweiz, einem Magneten für Konzern-Haupt- und -Europasitze, kaum mehr möglich.
Auch die Steuerinitiative, die einen hohen Grenzsteuersatz für Einkommen über 250 000 Franken fordert, findet Applaus bei der SP-Basis. Es sind Klassiker des Klassenkampfs, allerdings wenig durchdacht, wie der Widerstand der Kantone zeigt. Ohnehin tendiert Levrat zu Schnellschüssen, wenn es gegen Gutverdiener und gegen Banker geht. Ein Ja zum Staatsvertrag mit den USA verband er mit einer neuen Bonussteuer. Am Schluss stand die SP-Fraktion mit leeren Händen da: ein Staatsvertrag, aber keine Bonussteuer. Ihr blieb der Spott, weil ausgerechnet die SP mit ihrem Staatsvertrags-Nein faktisch gegen eine Aufweichung des Bankgeheimnisses votierte.
Die Freunde
Levrats Vertraute stammen aus der Westschweiz. Am engsten ist er mit Alain Berset, Ständerat aus Freiburg. Gemeinsam verbrachten sie Ferien, gemeinsam schrieben sie ein Buch («Changer d’ère»). Levrat sieht Berset als Nachfolger von Micheline Calmy-Rey im Bundesrat. Eng verbunden ist er der Waadtländer Ständerätin Géraldine Savary und dem Freiburger Nationalrat Jean-François Steiert. Wichtigste Verbündete in der Deutschschweiz ist Nationalrätin Jacqueline Fehr. Sie ist Parteivize und hat wie er eine Affinität zur Arbeiterbewegung. Aus dieser Ecke kennt er Paul Rechsteiner, Christine Goll (früher FraP!), Susanne Leutenegger Oberholzer (früher Poch), die mit Levrat den wirtschaftspolitischen Grundton der Partei angeben: Umverteilung, Staatsgläubigkeit, Service public. So werden linke Traditionswähler angesprochen und solche der Mitte abgeschreckt.
Korrekt, aber kühl ist das Verhältnis zur jüngeren, undogmatischen SP-Prominenz: Ursula Wyss, Roger Nordmann, Andy Tschümperlin, Pascale Bruderer. Eine Ausnahme unter den Jungen bildet Cédric Wermuth, Juso-Vormann, der wie Levrat gerne mediengerechte Aktionen provoziert. Auch mit CVP-Präsident Christophe Darbellay, ebenfalls einem lustvollen Provokateur und Mitakteur bei der Blocher-Abwahl, versteht er sich gut.
Die Gegner
Viele Bürgerliche trauen Levrat nicht über den Weg, weil er als unberechenbar gilt. FDP-Chef Fulvio Pelli ging seine Rüpelhaftigkeit («Lügner») derart auf den Nerv, dass er mit einer Ehrverletzungsklage drohte, worauf Levrat zum Rückzug blies. Eingeschossen ist der SP-Chef auf Grossverdiener der Finanzindustrie. Am liebsten nimmt er CS-Chef Brady Dougan mit dessen 71-Millionen-Bonus aufs Korn («Abzocker»), auch verstieg er sich schon zur Behauptung, der gescheiterte UBS-Präsident Marcel Ospel sei ein «Landesverräter». Krach hatte der Gewerkschafter mit Jürg Bucher, PostFinance- und Post-Chef. Man stritt sich über das Stimmverhalten der Post-Pensionskasse an der Nestlé-GV. Selbst in der eigenen Partei hat er nicht nur Freunde: Den SP-Regierungsrat und früheren SP-Vize Pierre-Yves Maillard (VD) hält er auf Distanz. Nicht warm wurde er mit Simonetta Sommaruga. 2007 wäre sie fürs SP-Vizepräsidium zur Verfügung gestanden, Levrat wollte nicht.
Die Anti-Harmonisierer
SVP, FDP, CVP halten die «Steuergerechtigkeits-Initiative» der SP für untauglich, weil sie zu höheren Steuern für alle führt. Breiter Widerstand formiert sich in den Kantonen: Die Finanzdirektorenkonferenz (FDK) fürchtet einen Verlust der Steuerautonomie. Zuvorderst kämpft der Solothurner FDP-Regierungsrat Christian Wanner, Präsident der FDK und in dieser Funktion Nachfolger von Eveline Widmer-Schlumpf. Nichts übrig für eine Steuerharmonisierung hat auch die Konferenz der Kantonsregierungen (KdK): Der Tessiner Staatsratspräsident Luigi Pedrazzini warnt vor «überbordender Staatstätigkeit». Economiesuisse-Präsident Gerold Bührer fürchtet das Ende des Steuerwettbewerbs zwischen den Kantonen.
Die Karriere
Levrat studierte in Freiburg und in Leicester Jus und Politologie. Einer seiner Professoren: Joseph Deiss. Dem SP-Präsidenten blieb die Ochsentour erspart. Über Caritas und Flüchtlingshilfe, wo er den Rechtsdienst leitete, landete er 2001 in der Sozialdemokratie. Freunde machten ihn auf einen Job bei der Gewerkschaft Kommunikation in Bern aufmerksam. Zuerst war er für die Medien zuständig, dann stieg er zum Präsidenten auf und zum Verfechter eines Restmonopols der Post. Restanzen seiner Drittweltzeit zeigen sich, wenn er glaubt, das Land sei nach der Minarett-Abstimmung «mit erschreckenden Reaktionen aus der muslimischen Welt konfrontiert» und müsse zur Besänftigung muslimische Guantánamo-Insassen aufnehmen. 2003 wurde er in den Nationalrat gewählt, 2008 ins SP-Präsidium.
Die Familie
Levrat, ein Traditionalist aus der Freiburger Provinz, lebt in Vuadens, einem Nest westlich von Bulle. In dieser Region ist er geboren, dort hat er sich mit seiner Martine und den drei Kindern niedergelassen. Sie ist Sonderschullehrerin mit Teilzeitpensum. Levrat tourt am Abend und am Wochenende durch die Säle des Landes, derweil sich seine Frau um den Nachwuchs kümmert.
Der SP-Chef kennt alle und jeden in der Region, er besuchte das Collège du Sud in Bulle, präsidierte bis 2000 den Schachclub von Gruyères. Levrat stammt aus einer liberalen Garagistenfamilie, als Gymnasiast half er bei der Gründung der Jungfreisinnigen-Sektion in seiner Region.