Die kleine, freundliche Dame mit den weissen Haaren steht nicht auf Small Talk. Dafür ist Janet Yellen (67) zu sehr nüchterne Wissenschaftlerin, hat an den besten Universitäten Amerikas studiert, geforscht und gelehrt: Yale, Harvard, Berkeley. Sie beriet Präsident Bill Clinton bei der Wirtschaftspolitik und ist seit 14 Jahren Mitglied im Direktorium der US-Notenbank (Fed). An ihrer Qualifikation gibt es keinen Zweifel.

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Dennoch war sie nur die zweite Wahl von Präsident Barack Obama. Er hätte lieber den raubeinigen Larry Summers an der Spitze der Fed gesehen. Doch als dieser nach Kritik von einer Kandidatur absah, war der Weg frei für die erste Notenbankchefin. Viele Wirtschaftsexperten sind der Meinung, dass der amtierende Notenbankchef Ben Bernanke mit seiner Politik verhindert habe, dass die USA nach der Immobilienkrise in eine tiefe Depression abgestürzt seien. Sein Rezept war einfach: Er überschwemmte die Märkte mit Geld, damit die Zinsen niedrig bleiben und die Banken leichter Kredite vergeben können. Yellen hat diesen Kurs immer mitgetragen, zuletzt als stellvertretende Fed-Chefin. Mehr noch: In der Welt der Notenbanker gilt sie als geldpolitische «Super-Taube». Als Währungshüterin also, welche die extrem laxe Geldpolitik Bernankes nicht nur mittrug, sondern sogar weitaus radikaler vertritt.

Die Freunde

Bis zuletzt war unklar, ob Barack Obama die Stellvertreterin Ben Bernankes tatsächlich auf den Chefsessel hieven würde. Yellen wird kein besonders enger Draht zum Weissen Haus nachgesagt. Dabei hat die frühere Präsidentin der Federal Reserve Bank of San Francisco im linken Flügel von Obamas demokratischer Partei zahlreiche Fans: die Nummer drei der Demokraten im Senat etwa, Charles Schumer. Oder Senator Sherrod Brown aus Ohio, Vorsitzender des Bankenkomitees, der als treibende Kraft hinter der Demontage von Obamas Spitzenkandidat Larry Summers gilt. Ein enger Freund seit fast 30 Jahren ist der Ökonomieprofessor Andrew Rose. Yellen sei eine «scheue» Person, sagt Rose. «Sie hat sehr wenige Feinde.» Ganz eng ist sie mit Wirtschaftsnobelpreisträger Joseph Stiglitz verbunden, mit dem sie und ihr Mann, Wirtschaftsnobelpreisträger George Akerlof, seit 40 Jahren befreundet sind. Stiglitz unterzeichnete auch das Schreiben an Präsident Obama, in dem er für deren Kandidatur warb. «Dr. Yellen ist hervorragend qualifiziert», stand darin. Auch Senator Tim Johnson, der dem Bankenausschuss der Kongresskammer vorsitzt, gilt als Förderer. Zu Yellens Unterstützern zählten im Vorfeld der einflussreiche Ökonom Michael Woodford, die Professorin Christina Romer, ehemals Wirtschaftsberaterin Obamas, sowie Robert Shiller, Yale-Professor und diesjähriger Gewinner des Wirtschaftsnobelpreises.

Die Gegenspieler

Selbst jene, die mit Yellens Geldpolitik nicht einig gehen, finden sie liebenswürdig. Yellen ist zuvorkommend und nett, genau das Gegenteil von Larry Summers, ihrem ärgsten Widersacher ums Fed-Präsidium. Bill Clintons Ex-Finanzminister polterte und provozierte – Obama unterstützte am Ende Yellen. Eher zu Summers tendierte auch Ernst Baltensperger, Doyen der schweizerischen Geldpolitik. «Inhaltlich würde ich Summers vorziehen, charakterlich aber Yellen», sagte er (BILANZ 17/2013). Die Zahl von Yellens Gegnern dürfte sich nun sprunghaft erhöhen. Viele Republikaner bezeichneten ihre geldpolitische Position jedenfalls schon als «zu weich». US-Politiker und Finanzinvestor David Stockman sagte, er habe Angst vor dem Übergang von «Bubbles Ben» zu «Calamity Janet» («Unheil-Janet»). Der republikanische Senator Richard Shelby kommentierte, «mit Yellen wechselt man nur die Liegestühle auf der ‹Titanic› aus». Und auch unter Tea-Party-Republikanern wie Rand Paul oder Scott Brown (die gar für eine Rückkehr zum Goldstandard sind) dürfte sie einen schweren Stand haben.

Die internationale Connection

Janet Yellen ist weltweit gut vernetzt, etwa über die Treffen bei der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich. Daher kennt sie den früheren Bundesbankpräsidenten und heutigen UBS-Präsidenten Axel Weber. Enger dürfte der Kontakt auch mit der Schweizerischen Nationalbank und den Direktionsmitgliedern Thomas Jordan, Jean-Pierre Danthine und Fritz Zurbrügg werden. Der Berner Wirtschaftsprofessor und Ex-Chefökonom des Bundes, Aymo Brunetti, lernte Yellen an einem OECD-Anlass kennen. Die Chefin des Internationalen Währungsfonds, Christine Lagarde, sprach von einer «exzellenten Entscheidung für diese sehr wichtige Position». Mit Yellen, Lagarde und Kanzlerin Angela Merkel gebe es nun «drei Frauen, welche die globalen Märkte bewegen», schrieb die «New York Times». Yellen ist Mitglied des Council on Foreign Relations, eines wichtigen US-Machtzirkels, mit seinem Präsidenten Richard Nathan Haass und den Vorstandsmitgliedern Colin Powell, Peter George Peterson (Blackstone Group) oder David Rubenstein (Carlyle Group).

Die Karriere

Als Studentin an der Eliteuniversität Yale eilte Yellen der Ruf voraus, die Vorlesungen von Wirtschaftsnobelpreisträger James Tobin mit besonderem Eifer zu besuchen. Tobin gilt als Vater der Börsensteuer. 1972 wurde sie Harvard-Dozentin und Research Fellow am MIT, heuerte 1974 beim Board of Governors der Fed an und wechselte später zum Congressional Budget Office. 1978 ging sie als Dozentin an die London School of Economics und dann nach Berkeley, wo sie 1982 ihre erste Professur erhielt. 1994 wurde sie ins Direktorium des Board of Governors der Fed berufen, übernahm 1997 den Vorsitz im Rat der Wirtschafts berater von Präsident Bill Clinton und folgte dabei Joseph Stiglitz. 2004 wurde sie Präsidentin der Federal Reserve Bank of San Francisco – und kritisierte schon mal offen den damaligen Fed-Chef Alan Greenspan. Yellen zählte 2005 zu den Ersten, welche die Entwicklung der US-Immobilienpreise als Blase bezeichneten. Sie ist seit zwei Jahren Vizepräsidentin der Fed.

Die Familie

Geboren wurde Yellen in Brooklyn, New York. Ihre Mutter war Lehrerin, ihr Vater Arzt. Verheiratet ist Yellen mit dem Wirtschaftsnobelpreisträger George Akerlof. Ihr Sohn, Robert Akerlof, doziert als Professor an der wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Uni Warwick in England. Kennen gelernt haben sich Yellen und Akerlof 1977 in der Mensa der Fed in Washington. Nicht nur ihre Persönlichkeiten «passten perfekt zueinander», wie Akerlof in seiner Biografie schreibt. «Sondern wir hatten auch immer völlig übereinstimmende Meinungen über die Makroökonomie.» Der einzige Unterschied: «Sie ist ein bisschen mehr für Freihandel als ich.» Eitelkeit ist ihr fremd: Wie ihren Mann sieht man sie schon mal in Khakis und Turnschuhen. Gerne kocht sie für ihre Freunde. «Unprätentiös», nennt sie ein Notenbanker. Immerhin: Mit 4,8 Millionen Dollar (2012) Vermögen ist sie laut einer Pflichtauskunft reichstes Mitglied im Federal Reserve Board of Governors.