Kaum beginnt der Wirtschaftsmotor vernehmlich zu surren, melden sich schon die professionellen Gesundbeter wieder zu Wort: John Lipsky, immerhin Chefökonom der renommierten US-Investment-Bank Morgan Stanley, sieht mit Blick auf das Wirtschaftswachstum in den Vereinigten Staaten die Zeit für «rationalen Optimismus» gekommen. Und sein Pendant beim nicht weniger angesehenen Wertschriftenhaus Goldman Sachs, Jim O’Neill, pflichtet dem bei. Das makroökonomische Umfeld, wie es sich derzeit präsentiere, beteuert jener, «stimmt uns optimistischer als alles, was wir seit 1999 gesehen haben».
Auch in Europa bezweifelt kaum mehr einer der führenden Konjunkturexperten, dass der amerikanische Wirtschaftsmotor seine Drehzahl in nächster Zeit noch einmal merklich erhöhen wird. Mit aufs Jahr hochgerechneten Wachstumsraten von fünf Prozent und mehr, so die allgemeine Erwartung, dürften die kommenden Quartale in den USA schon beinahe wieder boomartige Züge aufweisen. Ob dieses Wechselbad gesund ist?
Was sich in den Zahlenreihen der globalen Leitwirtschaft abzeichnet, ist keine Erholung auf solidem volkswirtschaftlichem Grund, sondern das Resultat eines durch aggressive Schuldenmacherei herbeigezwungenen Ausgabenbooms. Im Zentrum der staatlich forcierten Konsumeuphorie stehen Millionen amerikanischer Mittelstandsfamilien, die von historisch niedrigen Zinssätzen profitieren wollen. Gerade so, als handle es sich um den alljährlichen Sommerschlussverkauf, pilgern sie zur nächstgelegenen Bank, um – bevor es dafür zu spät ist – eine Hypothek zu Dumpingkonditionen aufzunehmen.
Die Retail-Banken in den Vereinigten Staaten spielen das Spiel mit den Billigstkrediten eilfertig mit, weil sie ihrerseits von der US-Zentralbank förmlich mit Liquidität überschüttet werden und die steigenden Risiken im Grundpfandgeschäft an zwei von der Regierung gesponserte Garantiefonds weiterreichen können. Die beiden halbstaatlichen Auffanggesellschaften Freddie Mac und Fannie Mae bilden gewissermassen das Herz einer gigantischen Hypothekenblase, deren Pumpvolumen sich nach amtlichen Angaben auf weit über 6 000 000 000 000 US-Dollar belaufen soll.
Bis dato gehen die amerikanischen Eigenheimbesitzer davon aus, mit ihren fremdfinanzierten Immobilienkäufen ein gutes Geschäft gemacht zu haben. Im Verlauf der letzten fünf Jahre sind die Hauspreise in den USA denn auch im Schnitt um mehr als 30 Prozent gestiegen. Auf eine Fortsetzung dieser Haus-se zu bauen, erscheint allerdings ebenso naiv wie der Glaube an die Beständigkeit der gegenwärtigen Geldschwemme. Bei anziehender Konjunktur ist es nur eine Frage der Zeit, bis auch die Zinsen wieder nach oben tendieren. Spätestens wenn die Präsidentschaftswahlen 2004 gelaufen sind, werden Millionen von amerikanischen Mittelstandsfamilien unter einer wachsenden Hypothekarbelastung zu stöhnen beginnen. Die Zahl derer, die ihren Verpflichtungen nicht mehr nachkommen können, dürfte bei einem steilen Zinsanstieg regelrecht explodieren.
Was Wunder, rät die Europäische Zentralbank seit geraumer Zeit davon ab, Schuldtitel von Freddie Mac oder anderen amerikanischen Regierungsagenturen zu akkumulieren. Diese Warnung hat rund um den Globus für gehöriges Aufsehen gesorgt und viele Finanzinstitute dazu veranlasst, das Ausmass ihrer Engagements in US-Staatsanleihen zu überdenken.
Falls die Regierung in Washington so weiterwurstelt – und vieles deutet darauf hin –, sieht Nobelpreisträger George Akerlof nichts weniger als einen Staatsbankrott auf sein Land zukommen. Ein rabenschwarzes Bild zeichnet auch sein Kollege Joseph Stiglitz, ehemaliger Weltbank-Chef und seinerseits mit dem Nobelpreis ausgezeichneter Starökonom: Die Politik der Machthaber im Weissen Haus,
prophezeit Stiglitz, «bringt auf lange Sicht Unglück über Amerika – und damit auch über die Welt.»