Weinlese im Gebiet von Mendoza, im Hintergrund die Andenkette.
Argentinische Weintipps
Weinbau zwischen Kakteen im Tal des Flusses Aconcagua in Chile: Die unterschiedlichen klimatischen Verhältnisse erfordern vom Winzer
viel Flexibilität.
Chilenische Weintipps


Was weisst du von Buenos Aires?» In Manuel Vázquez Montalbáns Roman «Quintett in Buenos Aires» antwortet Privatdetektiv Pepe Carvalho auf diese Frage: «Tango, Verschwundene, Maradona.»

Eine ähnliche Replik könnte auch heute einem Besucher des gebeutelten Landes einfallen. Angesichts der katastrophalen Wirtschaftslage würde er höchstens das Wort «Verschwundene» durch «Betrogene» ersetzen. Die zwei anderen Stichwörter – Maradona und Tango – haben ihre Gültigkeit bewahrt. Die Argentinier verehren Maradona wie Evita Perón, weil sie spüren, dass der Aufstieg und der Fall des Fussballers sinnbildlich für das Schicksal der ganzen Nation stehen: eine von der Natur grosszügig zugemessene Begabung führt zu Reichtum und Ruhm. Daraus entwickeln sich Selbstüberschätzung und Verblendung, die schliesslich in Krise und Zerfall münden.

Und der Tango ist zumindest in Buenos Aires allgegenwärtig. In den für die Touristen herausgeputzten Häuserzeilen von La Boca, in deren Hafenkneipen er einst geboren wurde. Auf dem sonntäglichen Flohmarkt von San Telmo. Oder in den zahlreichen Tangoshows. Sein Grundmuster ist stets das geheimnisvolle Spiel von Enthüllen und Verbergen, von Hingabe und Verweigerung, von Leben und Tod. Besonders hin- und mitreissend musizieren, tanzen und singen die Akteure im schicken «Carlos Gardel». Das zur Vorstellung aufgetragene Essen ist passabel, der Wein jedoch ungeniessbar: Ein süsslicher Rosé aus der Bocksbeutelflasche, ganz nach dem Geschmack der zahlreich anwesenden Amigos aus den USA. Ein miserabler Tropfen und eine verpasste Chance zugleich. Die virtuose Vorführung hätte den Wein verdient, der dem Temperament des Tangos gewachsen wäre. Er heisst Malbec. Nach der gleichnamigen roten Rebsorte werden in Argentinien die eigenständigsten und charaktervollsten Tropfen gekeltert.

Mendoza, Zentrum des Malbec
Um die argentinische Heimat des Malbec kennen zu lernen, muss man nach Mendoza fliegen, 1500 Kilometer westwärts. Endlos weitet sich unter dem Fluzeug die Pampa. Hier weiden die Rinder, welche die fleischversessenen Argentinier in ihrer speziellen Grillversion des «Asado» zubereiten und verzehren.

Mendoza ist eine schachbrettartig angelegte Provinzstadt mit baumgesäumten Strassen, mittelgrossen, möglichst erdbebensicher gebauten Häusern inmitten eines Meeres von Reben. Der Ort liegt auf 700 Meter Höhe in Sichtweite des mächtigen Andenriegels, dessen wie auf einer Perlenschnur aufgereihte Gipfel auch im Hochsommer schneebedeckt sind. Ohne das Schmelzwasser der Hochanden wäre Mendoza mit seinem Steppenklima eine Wüste. Das Wasser wird in stetem Strom über Kanäle heruntergeschleust, in Rückhaltebecken gestaut und dann über ein kompliziertes Netz von kleineren Kanälen und Gräben in die einzelnen Rebberge und Strassenschächte verteilt. Ohne dieses System gäbe es keinen Wein, und die Strassen der Stadt würden an der Sonne brüten.

Hervorragende Malbec-Gewächse finden sich auf vielen Weingütern. Auffällig sind die Stilunterschiede. Da finden sich etwa auf Norton, in österreichischem Besitz, oder Vistalba, in Bordelaiser Händen, europäisch verhaltene, fein austarierte Malbecs. Catena Zapata und Nieto Senetiner dagegen setzen in der Manier der Neuen Welt auf wuchtige, holzbetonte Gewächse mit viel süsser Frucht. Eichenchips, Tanninpulver oder so genannte Inner Staves, im Innern des Gärtanks aufgebaute Holzgerüste, die je nach Gusto und Anwendungspraxis farbstabilisierend wirken oder Holztannine oder Eichenaromen abgeben, gehören da zum – gesetzlich durchaus erlaubten – önologischen Alltag. Dazwischen situieren sich Bodegas wie Weinert oder La Agrícola der Familie Zuccardi, die besonders «trinkige», sympathische Essensbegleiter ohne Eichenholzdominanz anbieten.

Bewässerung: Schlüssel zum Weinbau
Die schönste Erklärung des Malbec liefert man uns auf dem Weingut Luigi Bosca. Der Malbec habe «ein süsses Herz» sagt dort der Kellermeister José Hernandez. Er spricht damit weniger die sortentypischen floralen und beerigen, manchmal marmeladigen Aromen an oder die würzigen Lakritze-Noten, die einen guten Malbec auszeichnen. Hernandez meint den Tannin-Kern des Weins, dessen Prägnanz durch die samtig süsse Beschaffenheit der Gerbstoffe verhüllt wird – Sinn und Sinnlichkeit in einem.

Der Schlüssel zum Weinbau von Mendoza liegt in der Bewässerung wie in der Höhenlage. Die Bewässerung ist nicht nur unerlässlich für jedes Wachstum; mittels ihrer klugen Handhabung lässt sich auch der Ertrag regulieren. Zwischen dem Quälen und dem Verwöhnen der Reben liegen eine Menge Wasser und damit eine Qualitätswelt; wer es gleichsam massgeschneidert haben will, stellt in neuen Rebbergen auf Tröpfchenbenetzung um.

Nicht minder entscheidend ist die Höhenlage. Der andenwärts fahrende Weintourist steigt ausserhalb Mendozas so schnurgerade wie ahnungslos bis fast 1200 Meter hoch und reibt sich ungläubig die Augen, wenn er den Höhenmesser konsultiert. Dieses Phänomen schenkt dem Winzer die Chance, jede Rebsorte auf exakt jener Höhe zu pflanzen, die ihr die optimale Reifeperiode garantiert.

Das grosse argentinische Malaise ist in Mendoza nur gefiltert zu spüren. Buenos Aires ist weit weg. Die Leute haben hier Arbeit, auch wenn sich der Transportunternehmer mal das Geld fürs Benzin vom Weingutsbesitzer vorschiessen lassen muss. Der Weinkonsum ist im Sinken begriffen: Lag der Kopfverbrauch ehemals noch bei 90 Litern, wird er dieses Jahr erstmals deutlich unter 40 Liter fallen. Ein Grund mehr für das Land, den Weinexport zu forcieren, was nicht ohne dauernde Qualitätsanstrengung geht. Wer nicht exportieren kann, wird zu Grunde gehen.

Zwischen Pazifik und Anden
Der Weg nach Chile, das bisher von den Problemen Argentiniens noch nicht erreicht wurde, führt über die Anden. Imponierend die Anfahrt, in trägen Schlaufen zuckelt der Kleinbus hoch durch fruchtbare Täler, entlang ockerfarbenen Bergschraten und mäandernden Flussläufen. Die Eisenbahnlinie, die Argentinien einst mit Chile verband, ist wegen Unrentabilität längst stillgelegt. Eine Art Memento mori wie auch der Friedhof, wo die Opfer des Aconcagua, des mit 6962 Meter höchsten Berges Amerikas, ruhen. Frisch aufgeworfen, im Januar 2002, noch das letzte Grab. Kurz vor dem Tunnel nach Chile rechter Hand ein kurviger Schotterweg. Nach wenigen Kilometern geht es zu Fuss weiter, bis man 15 Minuten später auf rund 3300 Metern an einem lagunenblauen Seelein sitzt und den Berg vor sich im Blick hat, wolkenfrei, gleissend weiss, erhaben, göttlich.

Wie scharf kontrastiert dazu die Abfahrt in die grünen Weintäler Chiles. Nach der Skistation Portillo windet sich die Strasse über Serpentinen steil hinunter. Schroff, eng, rau sind die Täler auf der Wetterseite der Anden. Die Vegetation kümmerlich, punktiert von Stechpalmen. Erst ganz unten im Tal des Flusses Aconcagua, wo Rebberge den berggesäumten Horizont beschliessen, weiten sich die Geländekammern. Und doch bleibt es in Chile, dieser zwischen die Andenkette und den Pazifik gezwängten Krawatte, kleinräumig, während sich Argentinien grosszügiger, aber auch monotoner darbietet. In Mendoza hat man stets die Anden vor Augen. In Chile dagegen tritt der Bergriegel wie ein elastisches Band vor und zurück. Seitentäler strukturieren die Landschaft, die Küstenkordilleren modulieren sie zusätzlich. Daraus ergeben sich feine klimatische Unterschiede, die vom Winzer viel Flexibilität erfordern.

Chile hat die Anbaufläche verdoppelt
17 Jahre Pinochet haben den Chilenen viel Leid gebracht. Die Diktatur begünstigte indes den wirtschaftlichen Aufschwung und schuf eine finanzkräftige Aufsteigerschicht. Viele dieser gut ausgebildeten, ehrgeizigen Leute von grosser Arbeitsdisziplin sind im Weingeschäft tätig. Wachstum und Erfolg von Chiles Weinwirtschaft sind Schwindel erregend. Auf Concha y Toro, dem mit einer Produktion von 100 Millionen Liter grössten Weingut des Landes, rätseln die Marketingleute auf die Frage nach der aktuellen Anbaufläche: Sind es nun 100 000 oder 110 000 Hektar? Jedenfalls hat sie sich in den letzten zehn Jahren mehr als verdoppelt.

Chiles reblausfreie Weingärten besuchen heisst viel Auto fahren. Zwischen dem nördlichsten besuchten Weingut, Errazuriz, bis Torres, dem am südlichsten gelegenen, liegen rund 400 Kilometer Pan Americana. Auch wenn die legendäre Strasse in den letzten Jahren ausgebaut worden ist und sich nun auf einem Rastplatz auch mal Espresso von italienischer Güte geniessen lässt, braucht Zeit, Geduld und Nerven, wer darauf zirkuliert.

Zu den permanenten Neupflanzungen gehört auch, dass diese Landeroberungen immer wieder neue Gebiete in Rebberge umwandeln. Wurde vor zehn Jahren das kühle Casablanca-Tal für den Anbau von Chardonnay und Sauvignon entdeckt, sind es heute die Seitentäler des Colchagua Valley. Oftmals werden ganze Kleintäler neu erschlossen – wie etwa von Caliterra, dem Joint-Venture-Produkt der beiden Familien Chadwick und Mondavi. Und oftmals klettert man neuerdings kühn, furchtlos und risikofreudig – schwer abzuschätzen ist die Erosionsgefahr – die Hänge hoch: Montes zog in Apalta die Syrah-Stöcke derart steil den Berg hoch, dass sogar der Traktor, der die Besucher auf Besichtigungstour führt, ins Keuchen gerät. Chiles Weiss- und Rotweine stehen im Ruf der Zugänglichkeit. Die sanfte Art, die Harmonie, die Eleganz gehören zu ihren Charaktermerkmalen. In den tieferen Preiskategorien, die mit unwiderstehlichem Erfolg die Supermärkte der Exportmärkte überschwemmen, herrscht önologische Korrektheit, die nicht immer von banal und langweilig zu trennen ist. Den Einkäufern geht es da nur um den Preis, hart wird um jeden Rappen gefeilscht. In den mittleren und höheren Segmenten gefallen vor allem Sauvignon blanc und Cabernet Sauvignon. Der Rote aus der Bordeaux-Sorte besitzt Stoff und Saft und häufig ein betörendes Eukalyptusbouquet, das besonders ausgeprägt in den Gewächsen aus den bergnahen Weinbergen des Maipo-Tals zum Vorschein kommt. Santa Rita ist dafür ein hervorragendes Beispiel.

Carmenère, Chiles Hoffnung
Was Chile bisher fehlte (und worüber sein Intimkonkurrent Argentinien verfügt), war eine eigene, unverwechselbare, charaktervolle Qualitätsrebsorte, ausgestattet gleichsam mit dem heimischen Pass. Dass dem argentinischen Weinbau und seinen Weinen grössere Echtheit, Erdenschwere, Bodenhaftung nachgesagt wird, hat möglicherweise mit diesem Handicap zu tun. Nun scheint man mit der Carmenère jene Wundersorte gefunden zu haben. Diese gehörte vor der Reblauskrise im Bordelais hinter dem Cabernet Sauvignon zur zweitwichtigsten Weintraube, geriet dann aber in Vergessenheit und überlebte in Europa eigentlich nur im Südtirol, wo sie lange Zeit für Cabernet Franc gehalten wurde. Nach Chile kam die Carmenère zwischen 1850 und 1880, galt bis Mitte der Neunzigerjahre als Merlot und wurde entsprechend früh gelesen. Das erklärt die grünen, kräuterigen, vegetalen Noten, welche die Weine früher aufwiesen. Seitdem die Winzer die Sorte ihrer Natur gemäss länger ausreifen lassen, entpuppt sich das Aschenputtel als Prinzessin: Reizvoll und sortentypisch das Bouquet von rotem und grünem Pfeffer und Sojasauce, der saftige, etwas rustikale Geschmack, der lange lakritzebetonte Abgang. Noch gibt es viele unterschiedliche Carmenère-Ausformungen. Der Wein hat seinen Stil noch nicht ganz gefunden. Doch interessant und verfolgenswert ist die Carmenère allemal.

Der Appetit kommt beim Essen. Die Carmenère hat den Hunger von Chiles Weinmachern noch nicht gestillt. Wer heute etwas auf sich hält, erzeugt aus den Bordeaux-Sorten zu einem stolzen Preis einen roten Super-Premiumwein. Die Argentinier beobachten diesen Prozess kritisch und mit Argusaugen. Was ihnen als Murks erscheint, kommt den Kollegen auf der anderen Seite der Anden logisch vor: dass die Ausschöpfung von Chiles Potenzial endlich in hervorragende und nicht bloss gute Weine mündet.


Bezugsquellen der erwähnten Weine:

Bindella,
Zürich, Tel. 01/276 62 62, www.bindella.ch

Carreras, Zürich, Tel. 01/481 90 11, www.carreras.ch

Casa de Vinos Argentinos, Bern, Tel. 031/352 92 32, www.vinos-argentinos.ch

Dettling & Marmot, Wilen bei Wollerau, Tel. 01/787 45 45, info@dettling-marmot.ch

Martel, St. Gallen, Tel. 071/226 94 00, www.martel.ch

Mövenpick Weinkeller Basel, Bern, Biel, St. Gallen, Vaduz, Zug, Zollikon, Zürich, www.moevenpick.com/wein

Veuve Clicquot (Suisse), Genf, Tel. 022/939 37 37, Fax 022/347 58 90
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