Old Church Street 49–51, Chelsea, London SW3 5BS. Das kleine, dreistöckige Gebäude wirkt ungepflegt. An der weissen Fassade klebt Strassenstaub. Die grossen Rundbogenschaufenster sind dreckig und mit einem Netz aus Metall vergittert. Das Ganze mutet so schäbig an wie das Brockenhaus ein paar Häuserblocks weiter unten. Dabei gilt dieses Haus als eine der glamourösesten Adressen in Londons Shopping-Führern. Es ist der Hauptsitz von Manolo Blahnik.
Der 60-jährige gefeierte Schuhdesigner macht sich auch im Innern des Hauses nicht die Mühe, ein Ambiente zu schaffen, das seinen sündhaft teuren Schuhen, geschweige denn seinen Kundinnen schmeicheln würde. Auf dem Boden des etwa 40 Quadratmeter grossen Laden-lokals klebt ein beigefarbener Spannteppich. Die Wände sind um ein paar Nuancen heller, aber auch beige. Das Licht ist schummrig und die Luft zum Schneiden.
Manolo Blahnik kann sich den Mief leisten. In der Welt des Damenschuhs geniesst er fast Heiligenstatus. Er hat die seltene Gabe, Frauen glücklich zu machen. Pop-Ikone Madonna: «Manolos Schuhe sind so gut wie Sex – halten aber länger.» Carrie Bradshaw, Star der Sitcom «Sex and the City», kreischt in einer Szene, als sie gerade von einem Dieb überfallen wird: «Du kannst mir meine Tasche wegnehmen, meinen Ring und meine Uhr, aber nicht meine Manolos.» Auch in Zivil gibt Carrie alias Sarah Jessica Parker Zitate von sich wie: «Frauen, behaltet eure Manolos, die halten länger als die meisten Ehen.»
Manolos Schuhe sind aus Satin, Wildleder und Pelz, oft mit Goldplättchen und Glasperlen und manchmal sogar mit Rubinen und Diamanten verziert. Die meisten haben hohe Absätze. Sie heissen Alegria, Brazil, Davée und Orientalia, kosten von 800 Franken an aufwärts. Die Schönen der Welt reissen sich darum: Nicole Kidman, Winona Ryder, Gwyneth Paltrow gehören zu Blahniks Stammkundinnen, Bianca Jagger und Paloma Picasso waren die ersten Berühmtheiten, die Blahnik in seinem Laden bedient hat.
Die Frauen – gemäss Blahnik funktionieren die meisten seiner Kundinnen nach dem Motto «I’m feeling depressed, I’m going to Manolo». Die Frauen lieben seine Schuhe. Er auch. Geht Blahnik durchs Geschäft und schaut sich die aktuelle Kollektion an, tönt das so: «I love this one. I love that one. Oh, so sexy. So timeless. Ahhh!» Auf die Frage, was diese Schuhe ausser ihrem hohen Preis zu etwas Besonderem mache, antwortet er: «Wenn eine Frau in diese Schuhe schlüpft, erlebt sie eine sofortige Transformation. In diesen Schuhen zu gehen, ist wie Tanzen.» Diese Schuhe hätten ein grosses Suchtpotenzial, schreibt das britische Nachrichtenmagazin «The Observer». Süchtig werde eine Frau spätestens dann, wenn sie das erste Paar besitze, behauptet die Journalistin und resümiert: «Das ist irgendwie Sklaverei.»
Der Sklave in diesem Abschnitt des real existierenden Kapitalismus ist aber Manolo Blahnik selbst. Er sei ein Schlafloser, der die Nächte mit alten Filmen und Büchern durchbringe, sagt er und behauptet, sexuell bewusst enthaltsam zu leben, damit seine ganze Energie in seine Kreationen fliessen könne. Die Ironie: Blahnik hatte einst gar nicht vor, Schuhdesigner zu werden.
Er fand erst über etliche Umwege zu seiner Passion. Blahnik wurde am 28. November 1942 in Santa Cruz de Tenerife auf den Kanarischen Inseln als Sohn begüterter Eltern geboren: Sein Vater entstammt einer tschechischen Industriellenfamilie, die Familie seiner spanischen Mutter besitzt eine Bananenplantage. Er ging in einem Westschweizer Internat zur Schule. An der Universität Genf schrieb er sich für internationales Recht ein, brach das Studium aber noch vor Ende des ersten Semesters ab und ging nach Paris. An der Louvre Art School liess er sich zum Bühnenbildner ausbilden. Nachdem er mit 28 Jahren nach London umgezogen war, fand er keinen Job, verdingte sich als Jeans-Einkäufer, reiste viel herum. Dann lernte er in New York dank einem Freund Diana Vreeland kennen. Sie war Chefredaktorin des Modemagazins «Vogue» und nebenbei auch noch die Kuratorin des Costume Institute am Metropolitan Museum. Blahnik zeigte ihr Bühnenbildskizzen, die er für den Shakespeare-Klassiker «A Midsummer Night’s Dream» gezeichnet hatte. Vreeland war sehr angetan – nicht von den Bühnenbildern, sondern von den vielen schönen Details, die sie auf den Zeichnungen entdeckte. Sie riet dem jungen Blahnik, statt fürs Theater für die Modeindustrie zu entwerfen.
Blahnik entschied sich für Schuhdesign. Das war mutig. «Als ich mit dem Geschäft begann, hatte ich nicht die leiseste Ahnung von Schuhen», sagt er. Seinen ersten Auftrag bekam er 1971 von Ossie Clark, dem ausgeflippten britischen Designer. Blahnik entwarf für ihn knallgrüne Riemchenschuhe mit dreizehn Zentimeter hohen Absätzen. Die Highheels waren derart unbequem, dass die Models nicht über den Catwalk schritten, sondern taumelten.
Zwischen damals und heute liegen drei Jahrzehnte Erfahrung. Wenn Blahnik heute gegen den Trend schimpft, dass Frauen das Nervengift Botox in die Fuss-ballen spritzen, um ihre Stilettos ohne Schmerzen tragen zu können, tut er das mit reinem Gewissen. Seine Schuhe haben zwar auch schmale, hohe Absätze, sind aber inzwischen so bequem wie Pantoffeln. Liegt es an der löffelähnlichen Form oder an einer technischen Finesse? Blahnik geniesst schweigend die Bewunderung, die in solchen Fragen steckt.
1973 eröffnete Blahnik den Laden an der Old Church Street in London und präsentierte seine ersten Kollektionen. Die Modejournalisten jubelten – Blahnik bekam in der «Vogue» zwei Seiten –, und die Kundinnen strömten ins Geschäft. Blahnik hatte stante pede Erfolg. «Ich hatte das Glück, dass von Anfang an die richtigen Leute meine Schuhe kauften», sagt er. Inzwischen hat Blahnik Verkaufsstellen in New York, Beverly Hills und Hongkong, in Paris, London und München – in der Schweiz sind die exklusiven Schuhe nicht erhältlich.
Blahnik machte die Schuhe für den Hollywoodstreifen «Moulin Rouge». Er designt Schuhe für die Shows von Modeschöpfern wie Yves Saint Laurent, Isaac Mizrahi, John Galliano und Dior. Und dank den vielen weiblichen Fans, die für seine Schuhe werben, ist er heute auch in normalen Haushalten ein Begriff. Blahnik verkauft 60 000 bis 70 000 Paar Schuhe im Jahr – ohne Werbung dafür zu machen. Und er lanciert seine Kollektionen nicht mit Modeschauen. Nicht einmal Fotos macht er von seinen neuen Kreationen. Die Presse erhält nur Skizzen und damit nicht mehr als eine ungefähre Ahnung davon, wie die Schuhe in Wirklichkeit aussehen. Wer die in Italien hergestellten Schuhe im Blatt abbilden will, muss sie vom Londoner Headquarter für ein Fotoshooting anfordern und anschliessend per Kurier wieder retournieren. Überwacht wird dieses Hin und Her von Leslie Whittaker. Sie ist eine von nur gerade fünf Angestellten des Unternehmens Manolo Blahnik International Limited in London.
Sowenig Blahnik die Gesetze modernen Marketings befolgt, so wenig achtet er auf Modetrends. Warum? «Ich denke, es wäre schrecklich unverschämt, von jemandem so viel Geld zu verlangen für ein Paar Schuhe, die in der nächsten Saison bereits wieder out wären», sagt Blahnik. Er, der von sich sagt, sein grösster Luxus sei es, frei zu sein, ist auch resistent gegen andere Verlockungen in der Luxusgüterindustrie: Es gibt keine Manolo-Handtaschen, keine Manolo-Sonnenbrillen, keine Manolo-Parfums. Sondern nur Schuhe. Blahnik erteilt aus Prinzip keine Lizenzen: «Ich mache Schuhe, und ich habe kein Interesse, etwas anderes zu tun – was immer es auch sein möge.»