BILANZ: Deutschland will den Stromimport aus Ländern unterbinden, die den Heimmarkt abschotten. Kürzlich haben Sie Paris gar mit Boykott gedroht. Warum?
Werner Müller:
Es geht erstens darum, dass ich ein Europa der zwei Geschwindigkeiten bei der Liberalisierung zunehmend ablehnen muss. Auf dem deutschen Strommarkt hat jeder Zutritt, aber deutsche Unternehmen müssen dann reziprok denselben Zutritt auf Auslandsmärkten haben. Und zweitens kann ich nicht tatenlos zusehen, wenn zum Beispiel Strom aus Kohlekraftwerken ohne jeden Umweltschutz für zwei Pfennig nach Deutschland importiert wird und hier zu Lande zur Stilllegung der teureren umweltfreundlichen Kraftwerke führt.

Die Schweiz tut sich schwer mit der Marktöffnung. Wollen Sie die Drähte auch an der Grenze zur Schweiz kappen?
Die ökologische Reziprozität zur Schweiz stimmt. Aber man muss darüber reden, dass billigster schmutziger Strom via die Schweiz nach Deutschland kommen könnte, falls er nicht in der Schweiz verbleibt, was sicher nicht im Interesse der Schweizer Energiepolitik sein dürfte.

Demnächst wird das Schweizervolk über die Liberalisierung entscheiden. Öffnen wir unseren Markt zu spät?
Zu spät nicht, aber wenn die Schweizer Stromwirtschaft in Europa wettbewerbsfähig bleiben will, ist die Marktöffnung jetzt notwendig.

Was würde ein Nein bedeuten?
Aus meiner Sicht würde sich die Schweizer Stromversorgung längerfristig aus der europäischen Stromversorgung auskoppeln, was sowohl beim Preisniveau wie bei der Versorgungssicherheit zum Nachteil werden mag.

Marktöffnung heisst: Novartis soll in Zukunft Strom in Deutschland beziehen können und DaimlerChrysler in der Schweiz.
Genau. Das Zweite ist ja längst möglich und wird praktiziert, aber das Erste muss genauso selbstverständlich sein.

Picken die im internationalen Stromhandel sehr aktiven Schweizer Firmen tatsächlich Rosinen?
Ich höre das gelegentlich von deutschen Stromversorgern, aber ich kümmere mich darum erst, wenn ich die Schweizer Strommarktpolitik nach dem Volksentscheid kenne. Allerdings finde ich es schon bemerkenswert, wenn sich, wie unlängst geschehen, ein Schweizer Stromunternehmer an mich wendet mit Forderungen, dass ich den Stromwettbewerb in Deutschland und seine Chancen zu verbessern hätte.

Wie bitte?
In Deutschland kann jeder Bürger schon heute bei einer der 200 Handelsgesellschaften Strom kaufen. Das ist einzigartig.

Die EU will den Markt bis in einigen Jahren voll liberalisieren. Worauf muss sich die Schweiz einstellen?
Im Moment auf nichts Umwerfendes, falls die Schweiz die Liberalisierung mitmacht, denn die Schweizer Stromversorgung ist zurzeit auf sehr hohem technischem Stand und wettbewerbsfähig.

Die Schweizer haben das Gefühl, die Deutschen legten ihnen die Daumenschrau- ben an. Folgt nach dem Luftkrieg um Kloten nun der Stromkrieg mit Deutschland?
Mir als grossem Freund der Schweiz täte so ein Gefühl weh. Es wäre aber auch nicht gerechtfertigt. Der Schweizer Bürger hat ein hohes Gerechtigkeitsempfinden und wird keine Marktordnungen erwarten, die Schweizer Stromunternehmen in Deutschland alle Chancen geben, für deutsche Unternehmen in der Schweiz aber die Wettbewerbsteilnahme verhindern. Diese Einsicht vorausgesetzt, können keine Probleme entstehen, welche die Politik auch gar nicht entstehen lassen sollte angesichts der traditionell sehr guten Stromkooperation.
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