Beim Reisekonzern Kuoni wurden Sie Ende 2010 nach 15 Jahren als Finanzchef mit erst 55 Jahren pensioniert. Wie fühlen Sie sich als Frührentner?
Max E. Katz:
Ich bezeichne mich nicht als pensioniert, weil ich ja weiterhin berufstätig bin. Es gibt ein Leben nach Kuoni – ich bin nur dort in Rente gegangen.
Heute sind Sie Profi-Verwaltungsrat. Haben Sie mehr Freizeit als früher?
Ich arbeite rund 80 Prozent. Das mag immer noch viel sein, aber vorher waren es 140 Prozent. So betrachtet habe ich mehr Zeit zur freien Verfügung.
Hat sich Ihr Reiseverhalten verändert?
Heute bin ich öfter privat als geschäftlich unterwegs. Wobei ich das private Reisen definitiv viel schöner finde als das geschäftliche. Für 24 Stunden nach Mumbai oder Hongkong zu jetten, das sind nicht gerade tolle Trips. Ich geniesse es jetzt, entspannter und spontaner wegzugehen, auch für zwei, drei Tage irgendwohin zu fahren.
Wohin haben Sie Ihre letzten Ferien geführt?
Im Juni war ich wieder einmal in New York, um die Stadt endlich zu erleben. Während meiner Kuoni-Zeit war ich mindestens zweimal jährlich beruflich dort. Und nun fast drei Jahre nicht mehr.
Eine klassische Städtereise?
Ja, ein City Trip, dafür total acht Tage. Ich wollte New York persönlich fühlen und riechen. Sehen, was so läuft und angesagt ist. Etwas shoppen, Sightseeing machen, Museen besuchen, gut essen – und das alles rein privat.
Wo haben Sie übernachtet?
Im relativ neuen Viersternehotel The Gotham, das zentral in Manhattans Theaterdistrikt an der 46th Street zwischen 5th und Madison Avenue liegt. Das 26 Stockwerke hohe Haus ist extrem schmal und hat maximal drei Zimmer pro Etage. Die Adresse wurde mir von Kuoni empfohlen, wo ich als Kunde meine Reise samt Flug ganz regulär gebucht habe.
Hat man als ehemaliges Konzernleitungsmitglied denn keine Sonderkonditionen?
Mit der Funktion hat dies nichts zu tun. Alle Mitarbeiter, die bei Kuoni in Rente gehen, haben gewisse Rabatte zugute, jedoch bloss auf Leistungen aus den Katalogen, aber ohne die Flüge, die zum aktuellen Tagespreis gekauft werden.
Ihre beste Entdeckung in einer Woche New York?
Velo fahren. Spannend und für mich ein wirklich super Erlebnis. In New York haben sie jetzt ein Fahrradsystem wie in Paris oder London. Man kann ein Velo mieten und damit etwa über die Brooklyn Bridge oder durch Soho kurven. New York auf dem Velo ist genial.
Velo fahren klingt ökologisch. Wie nachhaltig reisen Sie?
Im Sinn einer CO2-Kompensation für das Fliegen ...
... zum Beispiel.
Da bin ich ganz schlecht. Irgendwie geht mir das jeweils durch. Ich buche und denke nicht an die Kompensation. So beurteilt bin ich nicht nachhaltig unterwegs.
Zu Hause sind wir Recycling-Weltmeister. Beim Reisen macht das gute Gewissen oftmals Ferien. Worauf achten Sie?
Zu Hause trenne ich genauso Glas und Pet, Papier und Karton. Beim Reisen achte ich weniger darauf.
Welches ist Ihre touristische Umweltsünde?
Die Bettwäsche muss für mich im Hotel nicht nach jeder Nacht gewechselt werden. Indes schätze ich es sehr, wenn ich jeden Tag ein frisches Frottiertuch haben darf, selbst wenn man es nach dem Gebrauch wieder aufhängen kann, um kein neues zu bekommen. Das mag ein Spleen sein, trotzdem finde ich es etwas irrsinnig Tolles. Daheim macht man das nicht.
Selbst wenn man das Frottiertuch aufhängt, wird es vom Hotelpersonal meist ausgetauscht. Obwohl es im Bad ein Hinweisschild hat, auf dem den Gästen das Gegenteil versprochen wird.
Das ist mir kürzlich in einem Hotel passiert, in dem ich das Frottiertuch ausnahmsweise aufgehängt habe, weil ich mir dachte, dass sie hier nicht genug frisches Wasser haben. Das kann so oder so gehen.
Was für Reiseluxus ist Ihnen sonst wichtig?
Das kommt extrem darauf an, wohin ich reise. In eine Stadt oder an einen Strand. In ein entwickeltes Land oder an einen zurückgebliebenen Ort. Je nachdem sind meine Ansprüche.
Bei Städtereisen?
In der Stadt gehe ich selten in ein Fünfsternehotel, weil ich es nur zum Duschen und Schlafen nutze. Dabei ist mir wichtig, dass ich keine Badewanne habe, sondern eine Dusche. Da bin ich auch eigen. Ich will nicht in eine Badewanne reinklettern. Das mag ich nicht. Ebenso wichtig ist mir ein gutes Bett, um schlafen zu können, und eine zentrale Lage – nicht fernab vom Schuss, um alles in Gehdistanz zu entdecken, um Souvenirs und Shopping rasch zu deponieren oder um einfach kurz auszuruhen.
Bei Strandferien?
Am Strand habe ich am liebsten ein Fünfsternehotel, weil ich eher im Resort bleibe, um die Infrastruktur zu geniessen. In einem Stadthotel brauche ich weder Spa noch Wellness und selten ein Fitnesszentrum – ich will die Zeit draussen verbringen. In einem Strandhotel nutze ich diese Einrichtungen und deshalb müssen sie adäquat sein. Insbesondere, wenn man in ein Land geht, das rundherum nicht so hoch entwickelt ist.
Welche Länder meinen Sie?
Gewisse in Afrika, Asien oder Südamerika. Dort lohnt es sich, eine bessere Qualität von Hotels zu wählen. In der Schweiz kann ich übrigens auch in einem Dreisternehotel schlafen. Zum Skilaufen im Engadin habe ich vor 35 Jahren mit einem Garni angefangen, unterdessen ist es ein Viersternehotel mitten im Kuchen von St. Moritz – das genügt absolut.
Ganz allgemeiner Reiseluxus?
In New York beispielsweise habe ich mir einen Limousinentransfer vom Flughafen zum Hotel und zurück geleistet, weil ich nicht in ein Taxi steigen möchte, das die Klimaanlage nicht einschaltet, bloss um ein paar Tropfen Benzin zu sparen. Wenn ich irgendwo etwas besichtigen gehe und es die Möglichkeit einer Eintrittskarte gibt, um gegen einen Aufpreis die Warteschlange zu umgehen, dann gönne ich mir den Luxus gerne, etwas mehr zu bezahlen, damit ich nicht eine Stunde anstehen muss. Für den Rückflug von New York nach Zürich habe ich mir ein Businessclass-Ticket organisiert. Bei einem Nachtflug will ich flachliegend schlafen. Beim Tagesflug nach New York ist mir das relativ egal, da fliege ich problemlos Economy.
Wann haben Sie zum letzten Mal richtig in einem Reisebüro gebucht?
Was heisst richtig? Mit meiner Kuoni-Vergangenheit habe ich früher intern gebucht und mache das nun weiterhin. Kuoni Staff Travel ist ja eine Art Reisebüro. Reingelaufen, um mich beraten zu lassen, bin ich schon lange nicht mehr.
Kuoni besitzt hierzulande 92 Reisebüros. Wasfür eine Beziehung hatten Sie als Finanzchefdes Konzerns zu diesen Filialen?
Sie waren und sind ein sehr wichtiger Absatzkanal. Als ich 1995 zu Kuoni kam, hat man den Tod der Reisebüros vorausgesagt, weil es den Retailer nicht mehr braucht. Die Entwicklung verlief gerade umgekehrt.
Inwiefern?
Den Reiseveranstalter braucht es heute viel weniger als früher, weil seine geschnürten Pakete zu Katalogpreisen leichter ersetzbar sind. Seine teilweise noch immer komplizierten Prozesse sind im Internet einfacher abgebildet. Flüge, Transfers, Hotels, Ausflüge und so weiter lassen sich online zu aktuellen Tagespreisen kombinieren. Mittels Dynamic Packaging auf ihren Websites versuchen die Tour Operators, wettbewerbsfähig zu bleiben.
Was heisst das für die Reisebüros?
Eine Chance. Sie können das Beste aus allen Welten mit ihrem Fachwissen verknüpfen.
Ihr Plus?
Im Gegensatz zu globalen Online Travel Agencies wie Expedia oder Ebookers oder hiesigen Tour Operators haben die Reisebüros direkten Kontakt zu Kunden und bieten so absolut Mehrwert. Daher bescheinige ich ihnen eine gute Zukunft.
Das müssen Sie ja sagen. Seit bald einem Jahr sind Sie Präsident des Schweizerischen Reisebüro-Verbands SRV.
Wir sind nicht nur der Vertreter der Reisebüros, sondern der gesamten einheimischen Reisebranche, die sich vorwiegend dem Tourismus aus der Schweiz ins Ausland verschrieben hat. Zu unseren 125 Passivmitgliedern zählen Fluggesellschaften, Hotelketten, Autovermieter, Fremdenverkehrsämter, Tourismusschulen, Beratungsunternehmen oder sogar Online Travel Agencies. Doch die Reisebüros sind unsere Hauptklientel.
Warum prophezeien Sie ihnen eine gute Zukunft?
Wenn man die Entwicklung aller Reisebüros in der Schweiz ab 2000 mit unseren Aktivmitgliedern vergleicht, dann halten sie sich besonders gut. Die Gesamtzahl ist in zwölf Jahren von 3700 auf 2100 eingebrochen. Ein Minus von mehr als 40 Prozent. Unser Total ist bloss von 880 auf 818 zurückgegangen. Ein Minus von nicht mal 10 Prozent. Also deutlich weniger. Was dafür spricht, dass unsere Reisebüros bei der Qualität der Leistung und dem Betrieb des Geschäfts überdurchschnittlich sind.
Wenn es in diesem horrenden Tempo weitergeht, dann gibt es 2030 keine Reisebüros mehr.
Totgeglaubte leben eben länger. Ich denke nicht, dass dies eintreffen wird. Ich glaube an die Überlebensfähigkeit der Reisebüros. Diejenigen, die es bis heute geschafft haben, sind recht gut aufgestellt. Die Konsolidierung wird zwar weitergehen, aber nie mehr in dem Ausmass, wie wir es gesehen haben. Dass bei der Gesamtmenge in den nächsten fünf bis zehn Jahren nochmals 200 bis 300 Reisebüros wegfallen, kann durchaus sein. Dass wir bei den SRV-Mitgliedern dereinst bei 750 Reisebüros ankommen, kann durchaus auch sein. Die grösste Bereinigung liegt hinter uns.
Reisebüroketten verkaufen in erster Linie die Produktpaletten ihrer Mutterhäuser. Wie können Unabhängige, die rund ein Viertel Ihrer Aktivmitglieder ausmachen, aus der Masse stechen?
Für kleinere Reisebüros ist es wichtig, dass sie sich fokussieren und als Spezialisten positionieren, weil sie sich in Regionen oder Nischen besser auskennen. Alles andere müssen sie unverändert anbieten, doch eigentlich erst auf Verlangen verkaufen. Mit einem deutlichen Schwergewicht und gut ausgebildeten Fachkräften können sich individuelle Reisebüros dank ihrem Know-how profilieren. Was sie oft bereits sehr gut nutzen, ist das Wissen über ihre Stammkundschaft. Deren Bedürfnisse einzuschätzen ist wertvoller als Destinationskenntnisse.
Diese können sich auch Kunden online aneignen.
Ja, viele Kunden kommen heute bestens informiert in ein Reisebüro. Sie lesen Erfahrungsberichte und fragen Bekannte, die schon dort waren. Trotzdem beschäftigen sie Dinge, die sie von einem Experten persönlich beantwortet haben wollen. Sie möchten nicht einfach am Computer abdrücken, um Ferien für 10 000 oder mehr Franken zu buchen. Das sind zu grosse Beträge, als dass man viel riskiert.
Und dafür verlangen die Reisebüros eine stolze Beratungsgebühr.
Hoffentlich. Das ist inzwischen das Selbstverständlichste auf der Welt, weil die Reisebüros davon leben. Wenn man eine Dienstleistung in Anspruch nimmt und sich beraten lässt, dann kostet das halt etwas. Es arbeitet niemand gratis, wie beim Anwalt oder Notar auch nicht.
Spezialisieren kann man sich als Travel Boutique etwa auf das Premiumsegment. Doch selbst bei Luxusreisen gibt es Angebote ab der Stange.
Immer mehr. In arabischen und asiatischen Metropolen gibt es langsam Nobelherbergen à gogo. Das ist für mich kein Luxus mehr, wenn man dort für 250 Franken übernachten kann, weil es ein dekadentes Überangebot gibt. Das Premiumsegment definiert sich nicht über Sterne, sondern über einmalige, exklusive Erlebnisse. Es geht darum, für seine Kunden Aussergewöhnliches zu entdecken und das massgeschneidert zu verpacken.
Beispielsweise?
Etwa eine Nacht unter freiem Sternenhimmel im Ngorongoro-Krater in Tansania am Rande der Serengeti mit der höchsten Raubtierdichte Afrikas. Mein Abenteuer ist mittlerweile Jahre her, aber in meinem Gedächtnis ist es frisch wie gestern. Das nenne ich privilegiert.
Um solche Träume zu verwirklichen, braucht man ein grosses Portemonnaie.
Sicher. Viele Menschen sparen lange dafür, einmal etwas für sie Besonderes zu erleben. Es klingt abgedroschen: Sobald Leute Geld haben oder dazu kommen, wollen sie eine schöne Reise machen. Wenn sie noch mehr Geld haben, wollen sie noch mehr reisen. Es gibt fast nichts Schöneres als reisen – und definitiv wieder nach Hause zu kommen.
Wohin führen Sie Ihre nächsten Ferien?
Im November nach Vietnam auf eine Rundreise von Norden nach Süden und als krönenden Abschluss für ein paar Tage auf die Insel Phu Quoc.
Wie viele Länder auf der Weltkarte haben Sie bereits abgehakt?
Viel zu wenige. Ich war noch nie auf den Malediven. Das war bei Kuoni ein Running Gag, weil das eine der am besten laufenden Überseedestinationen des Reisekonzerns ist. Da will ich bestimmt noch hin. Eher möchte ich aber bald in südamerikanische Länder wie Peru, Chile und Argentinien. Oder Japan. Ich war schon dreimal einige Tage geschäftlich in Tokio, mehr nicht. Oder Neuseeland. Ebenso Bhutan, Nepal, Tibet – auf das Dach der Welt.
«In der Schweiz kann ich übrigens auch in einem Dreisternehotel schlafen.»
Max E. Katz, Präsident des SchweizerischenReisebüro-Verbands: «Das Premiumsegmentdefiniert sich nicht über Sterne, sondern übereinmalige, exklusive Erlebnisse.»