Liebe/-r Leser/-in: Sind wir womöglich die letzte Generation, die noch richtige Sportwagen fahren darf? Röhrende Motoren, brachiale Beschleunigung, ausbrechende Hinterteile? Es wäre himmeltraurig, gäbe es künftig nur noch Personenbeförderungsvehikel mit Panoramafenstern, die sich gegenseitig übers Internet kontrollieren. In Metropolen mag das sinnvoll sein. Aber im Schwarzwald? Hier bleibt uns hoffentlich der selbst gelenkte Sportler noch sehr lange erhalten.

Als ich kürzlich im Südschwarzwald den McLaren 720S gefahren bin, musste ich an einen Text über einen Porsche denken, den ich als «Skalpell» bezeichnet hatte. Leider ist dieser Begriff damit vergeben. Aber wenn der McLaren kein Skalpell mehr sein kann, muss man ihn Mikropräzisions-Laser nennen oder so ähnlich.

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Die chirurgische Exaktheit und Selbstverständlichkeit, mit der der Brite seine Spur durch die Kurven zieht – «wie auf Schienen», steht dafür in der Phrasenschublade – und niemals seine neutrale Position verlässt, wirkt enorm erwachsen. Dabei ist die Abteilung bei McLaren, die Autos für den öffentlichen Strassenverkehr baut, nicht einmal zehn Jahre alt. Ferrari oder Lamborghini sind seit über einem halben Jahrhundert am Markt.

McLaren 720S

Das Interieur ist schön puristisch gestaltet und sauber verarbeitet.

Quelle: McLaren

Etwas für Querbeschleunigungs-Fetischisten

Ich kann mich nicht erinnern, jemals einen Sportwagen gefahren zu sein, der dem Fahrer so schnell Vertrauen einflösst wie der 720S. Klar – allzu einfach möchte man es bisweilen gar nicht haben. Teil des Reizes, einen Supersportler (0–200 km/h in 7,8 Sekunden) zu bewegen, ist der Thrill, die Kraft zu beherrschen, die an der Karosse zerrt. Für solche Kunden hat McLaren den 570S – der tänzelt mehr, ist unruhiger an der Hinterachse, «agiler», nennt es McLaren vornehm, also genau das, was die Querbeschleunigungs-Fetischisten mögen. Und keine Sorge, untermotorisiert ist der mit 570 Pferden (0–200 km/h in 9,5 Sekunden) auch nicht.

Damit keine Missverständnisse aufkommen: Der 720S macht nicht weniger Spass, er liefert die Leistung einfach etwas ruhiger ab, auch im Vergleich mit einem Porsche oder einem Ferrari – die wollen vom Fahrer mehr rangenommen werden. Ansonsten sind die McLaren, seit sie 2010 starteten, verblüffend schnell erwachsen geworden. Der Fahrzeugpark hat sich beträchtlich entwickelt, nicht nur im Fahrverhalten. Das Interieur ist schön puristisch gestaltet und sauber verarbeitet, die Scherentüren gewohnt spektakulär, und dank neuem Türausschnitt besteigt man ihn jetzt wie einen normalen Sportler. Zuvor musste man sich Fakir-gleich einfädeln. Der Preis geht im Konkurrenzvergleich voll in Ordnung. Mögen uns Sportler dieser Art noch lange erhalten bleiben.

McLaren 720S
Antrieb: 4-Liter-Doppelturbo-Benziner
Verbrauch: 10,7 Liter Super Plus
Leistung: 720 PS 0–100 km/h: in 2,9 s
Vmax: 341 km/h
Preis: ab 268 000 Franken