Als ich aus der Tiefgarage fuhr, regnete es in Strömen. Und weil die S-Klasse als «Langversion» antrat, lenkte ich noch vorsichtiger als ohnehin schon auf den ersten Kilometern in einem unbekannten Testwagen, zumal bei miesem Wetter. Doch ich war noch nicht mal in Dietikon angekommen, da hatte ich schon zwei Mal beinahe Bekanntschaft mit dem Randstein gemacht – zwar nur beinahe, aber dennoch alarmierend. Immerhin überkam mich die Erkenntnis zügig: Das Problem war, dass ich, obwohl selbst Pilot, fast eindämmerte beim Fahren.
Dass der Vorfall zeitlich nahe am berühmten Fünf-Uhr-Loch lag, mag eine Rolle gespielt haben, aber der Hauptgrund war mit Sicherheit die fast unheimliche Abschottung von der Aussenwelt. Geräusche dringen so gut wie keine in den Innenraum, keine Querfuge bringt auch nur die leiseste Unruhe in die Karosse, und der Lederfauteuil stützt gekonnter und bequemer als der Herrensessel im Wohnzimmer.
Cheffiger ging es nicht
Das ist die Mercedes-S-Klasse: Keine profane Baureihe, sondern eine Ikone des Autobaus, ein Statement gesellschaftlicher Stellung, vor allem in Deutschland. Der Chef des Chefs fuhr S-Klasse, der Fabrikant vom Nachbarort und der Sparkassendirektor aus der Universitätsstadt. Das zufriedene Brummen der Achtzylinder in einer herrschaftlichen Karosserie prägte Generationen im grossen Kanton: Cheffiger als mit S-Klasse ging es nicht.
Lang, lang ists her. Nicht nur, dass BMW mit dem 7er und Audi mit dem A8 ins Segment vorgestossen sind – ganz grundsätzlich leiden die Luxuslimousinen an Käuferschwund: Geländewagen haben ihnen als standesgemässes Oberschichtvehikel den Rang abgelaufen. Die wichtigsten Märkte für die S-Klasse sind heute China, die USA und Südkorea, dann erst folgt Deutschland, dahinter Japan.
In der Schweiz jedoch verkaufen die Elektriker von Tesla mittlerweile ein Mehrfaches als die S-Klasse. Ironischerweise ist der Tesla S wohl die einzige viertürige Limousine, die hierzulande richtig gute Absatzzahlen erzielt. Aber wie sagt man so schön: Der Markt hat immer recht.
Alles State of the Art
Am Produkt jedenfalls kann es nicht liegen. Strassenlage (komfortabel, aber nicht weich), Interieur, Verarbeitung, Assistenten, Kameras, Funktionalität der Bedienung, Sitze und Lenkung – alles State of the Art, alles etwas distinguierter als bei der Konkurrenz, typisch Mercedes eben, und die Optik schön herrschaftlich – so will man das haben.
Der Diesel-Sechszylinder, den ich fuhr, passt bestens zur Karosse; mehr Motor braucht der Sternenkreuzer nicht. Es wäre jammerschade, wenn die automobile Gattung der Luxuslimousine den allgegenwärtigen SUVs zum Opfer fiele!
Mercedes S-Klasse
Antrieb: 2,9-Liter-R6-Motor
Verbrauch: 5,7 Liter Diesel
Leistung: 286 PS (210 kW)
0–100 km/h: in 5,8 s
Vmax: 250 km/h
Preis: S 350 d Allrad Langversion ab 106'945 Franken