BILANZ: Herr Lauber, wie gross ist Ihr Fuhrpark?
Michael Lauber: O Gott! Jede Zweigstelle hat ein oder zwei Autos. Wir haben hier in Bern drei Autos und einen Bus. Ohne Blaulicht.
Ein Chefankläger ohne Helikopter und Blaulicht? Sie zerstören unser Bild vom jederzeit einsatzfähigen Ermittler. Was macht eigentlich die Macht des Chefanklägers aus?
Die gesetzliche Stellung und das, was in die Position hineinprojiziert wird. Sicher nicht die Einsatzfahrzeuge. Ich lege keinen Wert auf solche Statussymbole.
Jetzt enttäuschen Sie uns bitte nicht auf der ganzen Linie. Sie können doch bestimmt mit einer Kleinkaliberwaffe umgehen?
Ich habe gelernt, mit dem Sturmgewehr umzugehen und mit der Zwölf-Zentimeter-Kanone eines Panzers. Ich kann in der Nacht und bei Nebel schiessen, auch vom fahrenden Panzer, und ich treffe auch fahrende Ziele. Ich war kein schlechter Panzerschütze.
Okay, das reicht.
Aber heute geht es nicht um Kanonendonner. Es geht oft um sehr chirurgische Operationen mit Instrumenten, die noch feiner sind als Kleinkaliberwaffen. Es geht ums genaue Hinsehen. Operieren ist besser als schiessen.
Die Macht des Anklägers ist eine Macht des Neinsagers. Spüren Sie Ihre Macht?
Ich sehe durchaus die Möglichkeiten, die man hat, indem man Verfahren eröffnen und Zwangsmittel anwenden kann, die nicht durch irgendjemanden in Zweifel gezogen werden können, ausser durch die Verfahrensbeteiligten und die Gerichte im normalen Verfahren. Der Bundesanwalt hat ein grosses Ermessen bei der Eröffnung von Verfahren und dem Entscheid über Zwangsmassnahmen.
Im Zweifel haben Sie mehr Macht als der CEO einer Grossbank. Sie können sein Büro durchsuchen lassen.
Die Kompetenzfülle des Bundesanwaltes ist für mich mehr Verpflichtung als ein Gefühl von Macht. Aber es ist klar: Auch wenn alles im Rahmen des Gesetzes geschieht, letztlich sind es immer auch Ermessensentscheide.
Wie erleben Sie diese Machtfülle?
Viele Menschen verhalten sich anders, das stelle ich fest. Der Michael Lauber ist der Bundesanwalt geworden. In der Wahrnehmung werden Funktion und Person vermischt.
Machtpositionen werden oft mit schönen Einladungen zu Promi-Events belohnt. Wie ist das bei Ihnen?
Aus der Privatwirtschaft erhalte ich keine Einladungen.
Den Chefankläger will man wohl lieber nicht an der Party haben.
Ja, genau. Wenn ich zum Vortrag eingeladen werde, dann höre ich schon einmal den Satz: «Eigentlich wollen wir ja mit Ihnen nichts zu tun haben.»
Jeder Bundesanwalt hat das Amt persönlich anders gestaltet und geprägt. Es gab Starankläger, Mafiajäger und technokratische Beamte. Was sind Sie?
Der, der ich bin. Ich versuche, authentisch zu sein, und ich hoffe, dass ich mich nicht zu stark verändere. Ich spüre aber, dass ich noch überlegter reagiere als früher. Ich bin kein Showman.
Mafiajäger waren Sie immerhin einmal.
Ja, und dann kommen Sie noch mit dem Geldwäschereiexperten, dem Kommunikator, dem international gut vernetzten. Ich versuche, schlicht meine Erfahrungen einzubringen. Das Rollenmodell muss in diesem Amt noch geformt werden. Ich bin als erster Bundesanwalt vom Parlament gewählt worden. Hier muss ich mich fragen, wie ich nach innen und nach aussen mit dieser sehr starken Unabhängigkeit umgehe.
Wissen Sie, wie viel Zeit vergangen ist, seit der mutmassliche Betrüger Dieter Behring bei der Polizei gebeichtet hat, dass ihm mehr als 800 Millionen Franken abhandengekommen seien?
Wenn ich mich richtig erinnere, dann sind das mehr als neun Jahre.
Richtig, das war im Oktober 2004. Und?
Ich gehe davon aus, dass wir im laufenden Jahr einen grossen Schritt weiterkommen.
Kommt endlich die Anklageschrift?
Ja, davon gehe ich aus. Der Fall ist nicht alltäglich. Wir mussten die Verteidigungssituation neu regeln, weil der Beschuldigte die amtlichen Verteidiger mehrfach abgelehnt hat.
Was ist in diesem Fall falsch gelaufen?
Die Frage ist, wie man bei der Bundesanwaltschaft umfangreiche Wirtschaftsstraffälle mit einer komplexen Beschuldigten-Situation führt. Dazu habe ich drei wichtige Änderungen durchgesetzt: Es gibt jetzt eine bessere Verfahrensplanung, wir haben ein operatives Controlling eingeführt, und wir ermitteln solche Fälle nun mit Task Forces.
Gibt es keine Fehleranalyse?
Das ist Geschichte. Ich habe diese Probleme vor zwei Jahren übernommen. Wichtig ist, dass es vorwärtsgeht.
Neun Ermittlerjahre ohne Anklageschrift: Da müssen doch Fehler passiert sein.
Ja, sicher. Es ist zum Beispiel ein Fehler, einen einzigen Verfahrensleiter in einem riesigen Fall praktisch alleine zu lassen.
Grosse Wirtschaftsstraffälle sind doch eine Kernaufgabe der Bundesanwaltschaft. Wie konnte sie dabei versagen?
Ich will fair sein. Damals war dies ein Beispielfall im Rahmen der neuen Kompetenzen der Bundesanwaltschaft. Es waren die Gründungsprobleme einer neuen Organisation. Dann ging viel Zeit verloren bei der Umstellung der Strafprozessordnung. Der Fall war einer der letzten, die noch systembedingt vom eidgenössischen Untersuchungsrichter behandelt wurden und dann wieder zu uns zurückkamen.
Klar, das sind Ihre Altlasten. Aber Sie werden daran gemessen, wie Sie diese lösen.
Genau. Deshalb habe ich nach einer Analyse des Falles die Task Force eingerichtet.
Schlummern noch weitere Altlasten in Ihren Büros?
Der Fall Behring ist tatsächlich die grösste Altlast. Ich habe festgelegt, dass alle Verfahren, die vor dem 31. Dezember 2009 begonnen wurden, abgeschlossen werden müssen. 2013 hatten wir eine hohe Quote von Verfahrensabschlüssen.
Die Arbeit des Bundesanwaltes drehte sich jahrelang um Geldwäschereifragen. Das Thema ist zur Routine geworden. Haben die Banken und die Behörden dies im Griff?
Das sehe ich gar nicht so. Die Geldwäschereibekämpfung muss glaubwürdiger werden. Sie darf nicht verwässert und politisiert werden. Wir müssen enorm aufpassen, dass wir auf der einen Seite nicht den Überblick über die Risiken verlieren und auf der anderen Seite nicht zu viel Papier produzieren.
Wieder ein Nachvollzug ausländischer Regeln?
Die internationalen Vorschriften bieten eine Chance. Das Stichwort lautet NRA (National Risk Assessment). Der internationale Finanzplatz Schweiz hat internationale Risiken. Wir müssen die Risiken analysieren und dann strategisch steuern. Das geht nur eingebettet im internationalen Umfeld. Wir müssen das Thema ganzheitlich anschauen, nicht fragmentarisch.
Welche Grossrisiken sehen Sie?
Wir müssen erkennen, dass internationale Risiken in die Schweiz überschwappen können. In der südlichen Schweiz müssen wir zum Beispiel darauf achten, dass wir nicht von der Mafia unter Druck geraten. Wir müssen wachsam sein.
Das Problem ist doch nicht neu.
Aber es hat sich verschärft – aufgrund der wirtschaftlichen Situation in Italien. Und in der Schweizer Finanzindustrie werden teilweise höhere Risiken in Kauf genommen, um Margen zu halten. Unsere Risiken steigen.
Es dauert immer noch eine kleine Ewigkeit, bis Dokumente auf dem Rechtshilfeweg ankommen.
In der Tat müssen wir überlegen, wie wir in Zukunft mit der Rechtshilfe umgehen. Das Rechtshilfegesetz ist alt. Die neuen Amtshilfevorlagen, sei es zur Geldwäschereimeldestelle, sei es bei der Steueramtshilfe oder der Finma-Amtshilfe, zeigen, dass es effizienter und schneller gehen kann. Wir riskieren, dass dieser Weg unglaubwürdig wird.
Das klingt nach erfolgloser Ermittlungsarbeit.
Nein, wir haben viele Fälle, in denen die Rechtshilfe gut und schnell funktioniert. Wir haben derzeit insgesamt einen mittleren einstelligen Milliardenbetrag vorläufig blockiert. Das sind vor allem Gelder, die seit dem Arabischen Frühling blockiert sind, und einige Einzelfälle aus Zentralasien. Oder im Fall von Untersuchungen wegen Korruptionsdelikten in Griechenland, wo wir gerade Geldflussanalysen erstellen und vorläufig rund zehn Millionen Franken blockiert haben.
Sie verfolgen zwei deutsche Steuerfahnder. Wo steht der Fall?
Die Haftbefehle gegen die beschuldigten Beamten gelten nach wie vor. Wir haben immer noch keine Antwort aus Deutschland auf unsere Rechtshilfeersuchen. Das ist bedauerlich.
Ermitteln Sie weiter?
Wir ermitteln so lange, bis wir die Einvernahmen durchführen können. Sonst müssen wir andere Schritte einleiten. Ich brauche die Haftbefehle, weil ich mit den Beamten sprechen will.
Und wenn Deutschland Ihre Ersuchen nicht beantwortet?
Wir können nachfragen.
Wir meinen echte Gegenwehr.
Nein, ich ergreife sicher keine Retorsionsmassnahme, zum Beispiel bei der Bearbeitung der deutschen Ersuchen.
Werden Sie gegen Schweizer Banker vorgehen, die sich den USA offenbaren?
Bei einem begründeten Tatverdacht werden wir sicher eröffnen, aber ich gehe nicht Fälle suchen.
Politisch ist das doch ein Kampf auf verlorenem Posten.
Gegenfrage: Wie wäre es, wenn es keine Justiz gäbe, die das Recht durchsetzt? Ich weiss, dass wir in einem politischen Umfeld ermitteln. Aber ich versuche, nicht politisch zu agieren.
Seit einigen Monaten wissen wir, dass die US-Geheimdienste in der Schweiz Spionage betreiben. Was tun Sie dagegen?
Wir haben im November ein Strafverfahren gegen unbekannt eröffnet. Der Bundesrat hat uns dann ermächtigt, wegen verbotenen Nachrichtendienstes für einen fremden Staat zu ermitteln. Aber ich warne vor übertriebenen Erwartungen. Wir können in einer Botschaft keine Hausdurchsuchung durchführen. Die Botschaften geniessen Immunität. Ihr Personal muss sich natürlich an Schweizer Gesetze halten, aber es ist gegen die Strafverfolgung immun. Wir können eine solche Person allerdings auf dem diplomatischen Weg als Persona non grata ausweisen.
Der Chefankläger: Michael Lauber (48) ist der mächtigste Ankläger, den die Schweiz je hatte. Vor zwei Jahren wurde er als erster Bundesanwalt direkt vom Parlament gewählt. Zu Beginn seiner Karriere leitete Lauber die Zentralstelle «Organisierte Kriminalität» bei der Bundespolizei. Er baute die Anti-Geldwäscherei-Behörde in Liechtenstein auf und war Geschäftsführer des Liechtensteinischen Bankenverbandes. Er holt die Bundesanwaltschaft aus den Negativ-Schlagzeilen.