Adolf Hanhart war es, der 1882 in Diessenhofen ein Uhren- und Schmuckgeschäft eröffnete. Sein ausgeprägter Geschäftssinn kam allerdings in der kleinen Thurgauer Ortschaft nur ungenügend zur Geltung. Seine Vision, eigene Uhren herzustellen, scheiterte zudem am Fehlen von qualifizierten Uhrmachern in der Ostschweiz. Also packte er 1902 seine Siebensachen, um in der aufstrebenden Uhrenstadt Schwenningen am Neckar eine zukunftsträchtigere Existenz aufzubauen.
Sein Konzept ging auf: Bald schon war Hanhart auf weiter Flur die grösste handwerkliche Unternehmung ihrer Art. 1920 erklärte sich der 18-jährige Sohn Wilhelm Julius, genannt Willy, unter massivem väterlichem Druck bereit, in das schweizerisch-deutsche Familienunternehmen einzusteigen und für einen rasanten Aufstieg zu sorgen.
Weiterhin binational ausgerichtet
Auch in der neusten Unternehmenskonstellation, begründet durch das personelle wie finanzielle Engagement des ehemaligen Carl-F.-Bucherer-CEO Thomas Morf (siehe Kasten), ist die Hanhart Group AG weiterhin binational: Unter dem Dach befindet sich zum einen die am Gründungsort angesiedelte
Hanhart AG, Diessenhofen, welcher Marketing, Product Management sowie der Vertrieb von Armband- und mechanischen Stoppuhren an Juweliere unterliegen, und zum anderen die
A. Hanhart GmbH & Co. KG im deutschen Gütenbach. Hier befinden sich traditionsgemäss die Manufaktur, der Kundendienst sowie der Industrieverkauf und Grosshandel für Stoppuhren.
Und noch etwas ist wissenswert im Zusammenhang mit Hanhart: Seit der Gründung im Jahre 1882 hat das Unternehmen, auch wenn es manchem retrospektiv anders erscheinen mag, trotz einiger Verwerfungen ununterbrochen existiert und produziert.
Kontinuität nur bei den Stoppuhren
Allerderdings erlebte die Marke in den 1970er- und 1980er-Quarz-Revolutionsjahren analog zu vielen anderen Uhrenherstellern heftige Turbulenzen. Bereits 1962 hatte Hanhart die Herstellung von Armbanduhren bis auf weiteres eingestellt. Später dominierte die Elektronik. Und das – wie sich bitter zeigen sollte – mit allen Nachteilen. Im permanenten Wettkampf mit der fernöstlichen Billigkonkurrenz konnten die Gütenbacher auf Dauer nicht bestehen. Die Epoche des chronometrischen Umbruchs stand deshalb im Zeichen eines heftigen Schlingerkurses.
Gleichwohl lehnte Hanhart zu Beginn der 1980er-Jahre ein Fusionsangebot von Jack W. Heuer ab, der sich bekanntermassen auf ähnlichen Terrains bewegte und den die gleichen Sorgen plagten. Aber die Konzentration auf Stoppuhren rettete Hanhart seine Unabhängigkeit. 1992 übernahmen drei Münchner Unternehmer die Mehrheit der Hanhart-Anteile. Die damit verknüpfte neue Ausrichtung brachte für 170 Mitarbeiter allerdings den Verlust ihres Arbeitsplatzes.
Im Zuge des Revivals besann sich Hanhart in den 90er-Jahren auch auf jene Armbanduhren, die bei Sammlern sehr hoch im Kurs stehen. Gemeint sind funktionale Chronographen. Diese Geschichte hatte bei Hanhart in den Jahren 1938 und 1939 mit der Kreation der ersten Ein-Drücker- sowie des legendären Flieger-Chronographen mit der 15½-linigen (Durchmesser 35 Millimeter) Kaliberfamilie 4x begonnen. Sie beinhaltete die Ein-Drücker-Version 40, das Kaliber 41 mit zwei Drückern für Additionsstoppungen sowie das 42 mit Temposchaltung, was in modernem Sprachgebrauch einer Flyback-Funktion entspricht. Besondere Kaliber-Kennzeichen waren Schaltradsteuerung sowie beim Kaliber 41 asymmetrisch angeordnete Drücker.
So kam der Drücker zu seiner Farbe
Die für militärische Cockpits bestimmten Exemplare brachten auch den signifikanten roten Drückerbei der 4 ins Spiel. Hierbei handelt es sich um den Nullstelldrücker, welcher gerade bei der Ausführung mit Temposchaltung im Eifer des Gefechts – also auf dem Flug – ja nicht versehentlich betätigt werden sollte. Kurzerhand färbte ihn die besorgte Frau eines Piloten zur Warnung mit rotem Nagellack ein ...
Eine zeitschreibende Legende war geboren, welche sich auch noch durch einen roten Farbtupfer auf der gerändelten Drehlünette auszeichnete. Dieser Merkpunkt erinnerte beispielsweise an den Ablauf eines längeren Zeitintervalls, das der Chronograph mit seinem 30-Minuten-Totalisator nicht erfassen konnte.
Dass gerade diese Produkte unter der Leitung von Thomas Morf, einem ausgewiesenen Chronographen-Fan und Bewunderer der immensen persönlichen Leistungen des Jack W. Heuer, zu neuer, noch grösserer Blüte kommen sollen, steht schon jetzt zu 100 Prozent fest.
Dass man ohne Ziele keine Marke entwickeln kann, weiss Thomas Morf nur zu gut. Immerhin hat er Carl F. Bucherer in Luzern zur echten Manufaktur gemacht und als solche auf internationalen Bühnen platziert. Ähnliches schwebt ihm nun auch bei Hanhart vor: «Bis 2015 glauben wir, jährlich 10 000 Armbanduhren herstellen und verkaufen zu können. Die Produktion wird in Deutschland erfolgen, denn das Made in Germany gehört traditionsgemäss zu Hanhart.» 35 Leute sind gegenwärtig in Gütenbach beschäftigt. Ihrer Arbeitskraft entspringen, man höre und staune, jährlich rund 25 000 mechanische Stoppuhren mit Manufakturkalibern, die bei Oldtimer-Fans und Vintage-Rallye-Klubs weiterhin hoch im Kurs stehen. Mit zurzeit rund 1000 Exemplaren hält sich der Sektor Armbanduhren dagegen in sehr überschaubaren, nach Auffassung von Thomas Morf aber gewaltig ausdehnbaren Grenzen.
Der Vision steht die Realität gegenüber
Mit Verve hat sich der CEO daher auf die Produktentwicklung gestürzt: «Wir müssen unsere grossartige DNA aufgreifen und in einer neuen Kollektion signifikant zum Ausdruck bringen.» Wer die Liefersituation eidgenössischer Werke- und Komponentenhersteller kennt, weiss bestens, dass so etwas unmöglich innerhalb weniger Monate geht. Der Schwenk des CEO von einer namhaften Schweizer Uhrenmanufaktur mit entwickelter Interimskollektion zu einer neuen Produktfamilie, welche letztlich auch wieder Manufakturwerke mit Chronographenfunktion beinhalten soll, wird einige Jahre in Anspruch nehmen. Morf: «Langfristig sehe ich Hanhart bei jährlich sogar 30 000 bis 40 000 Zeitmessern.»
Aber das sind Morfs Visionen. Die Realität des Jahres 2011 bringt den Pioneer Twin Dicator in mehreren Ausführungen. Diese Automatik-Armbanduhr auf der Basis eines von La Joux-Perret modifizierten Valjoux 7750 kann man als Retro-Modell bezeichnen. Wie bei den Originalen von 1939 stehen die Drücker unterschiedlich weit von der Krone ab. Ein vorderseitig befestigtes Modul täuscht ein grösseren Kaliber vor. Durch zusätzliche Zahnräder vergrössert sich der Abstand der Kleinen Sekunde sowie der Totalisatoren von den Valjoux-üblichen 8,8 auf stattliche 12,2 Millimeter. Damit der zusätzliche 12-Stunden-Zähler den Eindruck vom Original nicht verwässert, rotiert er konzentrisch zur Kleinen Sekunde bei der 9. Und der Nullstelldrücker erstrahlt getreu grosser Tradition in leuchtendem Rot.
An Rallye-Freaks hat Thomas Morf, der gelegentlich selbst einen betagten Mustang Shelby GT steuert, ebenfalls gedacht. Die neuen Bordinstrumente mit Manufaktur-Stoppern finden auf dem Schreibtisch ebenso Platz wie im Cockpit des fahrbaren Untersatzes.
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