Die Liebe der Amerikaner für italienisches Design und klassische Karosseriebaukunst war die Basis für viele aussergewöhnliche Fahrzeuge, eines davon und wohl eines der seltensten war der Ghia L.6.4, Luxus pur auf 5,33 Metern Länge.
Bereits 1956 hatte ein gewisser Eugene Casaroll einen Wagen namens Dual-Ghia auf den amerikanischen Markt gebracht, der als Weiterentwicklung des Konzeptfahrzeugs Chrysler Firearrow IV aus dem Jahr 1954 entstand, zu dem sich Casaroll die Design- und Herstellungsrechte gekauft hatte.
Bis 1958 assemblierte Casaroll 117 dieser Cabriolets aus von der Carrozzeria Ghia gelieferten Aufbauten und Dodge-Bodengruppen. Sie waren USD 7’646 teuer, was aber die Stars der Zeit wie Dean Martin oder Frank Sinatra nicht daran hinderte zuzugreifen.
Vom Dual-Ghia zum Ghia
Nach einem Prototyp namens Dual-Ghia 400, der sich optisch an das Ghia Dart Showcar anlehnte, einigten sich Gene Casaroll und Paul Farago, Vizepräsident von Dual Motors, auf ein konventionelleres Design, das am Pariser Autosalon im Herbst 1960 erstmals öffentlich gezeigt wurde.
Die Automobil Revue beschrieb den Neuankömmling im Oktober 1960 detailliert:
«Die Karosseriefirma Ghia hat für ihre in kleinen Auflagen gebauten, grossen Luxusfahrzeuge schon immer eine Vorliebe für Chrysler-Aggregate gezeigt. Während die letzte Ausführung des Dual Ghia in den Jahren 1957 bis 1959 von Dual Motors, einem Unternehmen in Chicago, in rund 120 Exemplaren von Hand hergestellt wurden, erfolgt der Bau des neuen Dual Ghia L 6.4 in der Carrozzeria Ghia in Mailand unter der Leitung des früheren Vizepräsidenten von Dual Motors, Paul Farago. Für die Jahresproduktion von 35 Wagen übernimmt der Leiter der amerikanischen Transportfirma Auto Shipper in Chicago die Garantie.
Der extravagant elegante Wagen weist bei einem Radstand von 292 cm eine Länge von 533 cm und eine Höhe von nur 132 cm auf. Als. Motor gelangt eine 6,3-Liter-V8-Maschine von Chrysler mit 340 SAE-PS Leistung bei 4600 U/min zum Einbau. Entsprechend den Chrysler-Chassis sind die vorderen Räder über Dreiecklenker und Torsionsstäbe, jene der Antriebsachse über Halbelliptikfedern abgestützt. Das rund 1800 kg wiegende Luxusfahrzeug wird mit Lenkhilfe, Servobremse und automatischer Torque-Flite- Kraftübertragung ausgerüstet und soll eine Spitzengeschwindigkeit von 225 km/h erreichen. Das Interieur dieses zwei- bis viersitzigen Wagens lässt erkennen, dass auch dem kleinsten Detail grösste Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Zur serienmässigen Ausrüstung gehören Drehzahlmesser, Radio mit Zusatzlautsprecher, Defrosteranlage auch für das hintere Wagenabteil, gefärbtes Glas sowie eine geschmackvoll auf die Aussenfarbe abgestimmte Lederpolsterung.
Mit einem Preis von 65’000 bis 70’000 Franken dürfte der neue Dual Ghia L.6.4 als Prestigefahrzeug seine Käufer vor allem unter Multimillionären und Filmstars finden.»
Im Gegensatz zu seinen Vorgängern konnte der Ghia L.6.4 nicht mehr auf ein komplettes Fahrgestell zurückgreifen. Ghia konstruierte daher eine eigene Plattform und nutzte Chrysler-Komponenten, wo es möglich war.
Neben mehreren Präsentation an den Autosalons von Paris und Turin, machte das Coupé auch in Genf im Jahr 1962 seine Aufwartung, was die Automobil Revue entsprechend kommentierte: «Auf dem eigenen Stand zeigt Ghia auch den riesigen 6,4-Liter, auch auf Chrysler-Chassis, ein Coupé, das trotz seiner beachtlichen Dimensionen dank seiner strömungsgünstigen Profilierung auf gegen 250 km/h kommen soll.»
Von Meistern gezeichnet
Optisch zeichnete sich der neue Wurf durch eine überraschende Schlichtheit aus, die deutlich Abstand zu reinen Showcars nahm. Besonderes Merkmal der 5,33 Meter langen Karosserie war das schräg abfallende Hardtopdach, das komplett verglast war.
Das Design wird Ghia zugeschrieben, Virgil Exner soll aber ebenfalls seinen Teil beigetragen haben und tatsächlich findet man denn auch Details der damaligen Chrysler- und Dodge-Modelle am Wagen.
Gebaut in der Tradition der Spezialkarosserien
Die Karosseriefirma Ghia hatte nicht nur federführend bei der Konzeption des neuen Autos mitgearbeitet, sondern fertigte auch die kompletten Wagen. Im Gegensatz zum Vorgänger Dual-Ghia entfiel damit die Komplettierung in den Staaten. Die Karosserien wurden von Hand mit Hammerschlägen über Holzböcke geformt.
Ein Muscle Car
Der Motor mit 6,3 Litern Hubraum mit der Bezeichnung «Chrysler Golden Lion V8» kam aus dem Grossserien-Fundus und wurden 1961 auch in die Modelle Dodge Dart und Polara eingebaut. Mit hängenden Ventilen und zentraler Nockenwelle entsprach der Motor den damaligen US-Trends, dank Fallstrom-Vierfach-Vergaser und einer Verdichtung von 10:1 leistete die Maschine aber immerhin 335 PS bei 4’600 Umdrehungen. Das maximale Drehmoment lag bei 56,7 mkg bei 2’400 Umdrehungen. An Kraft mangelte es dem Coupé also nicht.
Über eine Torque-Flite-Automatik (Drehmomentwandler und 3-Gang-Planetengetriebe) gelangte die Leistung auf die Hinterachse.
Die Vorderräder waren einzeln an Querlenkern aufgehängt, die Hinterräder wurden an einer starren Achse geführt. Gebremst wurde mit Trommeln an allen vier Rädern.
Dem Komfort verpflichtet
Den Käufern wurde einiges versprochen und geboten. «Sie sitzen sozusagen im Schoss des Luxus», pries der Verkaufsprospekt den Luxus-Tourer an, und: «Silenziosa ist das Wort, das den geräuschlosen Komfort des Ghia L.6.4 beschreibt; die kräftige 335 PS Maschine lässt nur ein Flüstern erklingen, dank freizügiger Versorgung mit Geräuschisolation und exklusiven neuen Aufhängungskomponenten, die den Wagen zur Sänfte machen.»
Natürlich war eine Servolenkung an Bord und auch die Seitenscheiben mussten nicht mit Muskelkraft hochgekurbelt werden. Sogar die vorderen Dreiecksfenster wurden elektrisch geöffnet. Das «High Fidelity» Radio mit Mittel- und Ultrakurzwelle und mehreren Lautsprechern war genauso serienmässig wie die Weisswandreifen und die umfangreiche Instrumentierung, die auch ein acht Tage lang laufendes Uhrwerk beinhaltete.
Ausserordentlich teuer
13’500 amerikanische Dollar kostete der Ghia L.6.4, die Klimaanlage und ein assortiertes fünfteiliges Gepäckset mussten separat bezahlt werden. Damit wurde der Käufer locker das Doppelte an Geld los, das eine Alternative von Cadillac gekostet hätte. Und auch ein Rolls-Royce war kaum teurer.
Dies hielt Hollywood-Filmstars wie Lucille Ball oder Frank Sinatra aber nicht davon ab, (erneut) einen zu kaufen, und auch andere gut situierte Leute konnten der Eleganz des schnellen und komfortablen Wagens nicht widerstehen. Kommerziell aber wurde das Auto trotzdem nicht zum Erfolg, denn die Produktions- und Logistikkosten waren schlichtwegs zu hoch.
Einen Wagen pro Woche sollte jeweils auf Bestellung gebaut werden, am Schluss betrug die Gesamtproduktion von 1961 bis 1963 gerade einmal 26 Fahrzeuge. Dann war Schluss.
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