Mild scheint die provenzalische Sonne. Grasse, das Mekka der Düfte, besteht aus Baustellen, leicht maroden Villen und gesichtslosen Mehrfamilienhäusern. Eine steile, staubige Strasse führt in engen Kurven den Hügel hinauf. Plötzlich ein Kulissenwechsel: Ein strahlend weisses Anwesen mit Türmchen verbreitet mediterranen Chic des 19. Jahrhunderts. «Molinard» prangt in weissen Lettern auf einer lila Tafel.

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Kennern von Luxusparfums ist Molinard ein Begriff. Das 1848 gegründete Unternehmen hat mit seinen exquisiten Duftkreationen Geschichte geschrieben – allen voran mit Habanita, einer Komposition aus den 1920er Jahren mit Vetiver, einer Essenz, die damals als Parfumbestandteil avantgardistisch war. Im originalen Lalique-Flakon ist sie nun als luxuriöse Reedition erneut auf dem Markt. Eine feine Sache, auch für die kleine Anzahl exklusiver Parfümerien, die sich freuen, dass der Vintage-Duft wieder in ihren Regalen steht.

«Habanita ist kein Blümchenwasser, sondern ein unverwechselbarer, selbstbewusster Duft», urteilt zum Beispiel Werner Abt, Geschäftsführer der Parfümerie Osswald an der Zürcher Bahnhofstrasse und einer der besten Parfumexperten im Land.

Neben Molinard treten mit Caron, Floris oder Penhaligon’s auch andere legendäre, aber etwas in Vergessenheit geratene Parfummarken aus dem Schatten ins Rampenlicht. Die alten Labels werden wieder gekauft und getragen. «Das ist vergleichbar mit dem Sauerampfer in der Küche», erklärt lachend Werner Hariegel, Geschäftsführer des Deutschen Parfümerieverbandes, «auch den entdeckt die Spitzenküche neu.»

Nischenprodukte mit herausragender Qualität sind gefragt. Neben den Traditionshäusern hat sich eine Avantgarde herauskristallisiert, die das traditionelle Handwerk mit neuen Impulsen beflügelt und für das Aussergewöhnliche steht. Diese Art Luxus erlebt in der Duftwelt ein Revival. Es sind Produkte für einen Markt, der sonst mit Allerweltsdüften überschwemmt wird. Jährlich erscheinen 60 bis 80 neue Erzeugnisse. Viele bleiben nur ganz kurz auf dem Markt, weniger als ein Prozent haben das Potenzial, zum Klassiker zu werden, 97 Prozent aller Neuheiten erleben das dritte Jahr am Markt nicht mehr. Das Geld wird oft nicht in die Qualität des Inhalts, sondern ins Marketing investiert. Nicht Hände und Nasen machen die Arbeit, sondern der Computer.

Die Produkte riechen zwar meist ganz passabel, berauschend sind die Düfte indes nicht. Und so kurz, wie sie im Laden stehen, verweilen sie meist auch auf der Haut. Kaum aufgesprüht, sind sie schon wieder vom Winde verweht. «Industriepansche, die hungrige Verbraucher hinterlässt», meint Connaisseur Werner Hariegel. Und Experte Werner Abt hält fest, was für alle guten Düfte gelte: «Sie müssen auch nach längerem Tragen noch eine Aussage haben.»
Wer das Haus Molinard betritt, erfährt, was Tradition und Qualität in der Parfumherstellung bedeuten. Hier scheint die Zeit stehen geblieben zu sein. Klassisch, distingué und ganz Patron alter Schule, führt Jean-Pierre Lerouge Bénard, CEO von Molinard, höchstpersönlich durch das Unternehmen. Voller Stolz öffnet der Nachkomme des Firmengründers Henri Bénard Vitrinen und zeigt antike Kristallflakons von Lalique und Baccarat. Erzählt von wertvollen Inhaltsstoffen wie den heute verbotenen Amber- oder Moschus-Essenzen. Enthusiastisch geht er in die Knie, weist auf winzige Döschen aus buntem Bakelit hin: «Schauen Sie, so wurden früher Düfte in Form von Balsam mitgetragen.» Er zieht Schubladen auf, zupft alte Etiketten und Werbeprospekte hervor und schwelgt im Vermächtnis seiner Ahnen.

Ein spannendes Sammelsurium. Alles ist authentisch. Hier hat noch kein Innenarchitekt Hand angelegt, keine Dekorateurin gestylt. «Molinard ist auf sympathische Weise altmodisch», kommentiert Experte Werner Abt. «Im Vordergrund stehen Qualität und Geschichte.» Molinard kann es sich seit über 100 Jahren leisten, nicht auf Dufttrends aufzuspringen.

Hochwertige Düfte sprechen spezielle Interessen an, sind elitär und selten. Sie werden immer von «Nasen» erschaffen. Nasen werden die Spezialisten genannt, weil sie ein ausserordentliches Talent zum Riechen haben müssen. Von insgesamt 32 000 Grundsubstanzen müssen sie etwa 3000 bis 5000 Essenzen kennen und voneinander unterscheiden können. Wenn es um die Arbeit der Parfümeure geht, sprechen die Szenenkenner denn auch unisono von «schöpferischem Akt, vergleichbar mit der Komposition von Musik».

Ein Luxusduft wird nie am Computer konzipiert. Die Macher arbeiten nach einer Duftphilosophie: Kontrollierte, natürliche Inhaltstoffe und emotionale Werte wie eine Handschrift, eine Identität sind Kriterien. Wie die Düfte des Franzosen Serge Lutens, der seit 30 Jahren in Marrakesch lebt und die Damenwelt mit orientalisch inspirierten Kreationen wie Feminité du Bois oder Ambre Sultan beglückt.

Eine weltberühmte Nase ist auch Jean-Claude Ellena. Er hat für Bulgari die Thé- vert-Serie und für Van Cleef & Arpels das Parfum First geschaffen. Heute arbeitet er exklusiv für das Haus Hermès und ist verantwortlich für die Neuheit Un Jardin sur le Nil. Sein eigenes Label, The Different Company, führt seine Tochter Céline Ellena weiter. Sie kreiert so exklusive Essenzen wie Jasmin de Nuit, worin sie für 90 Milliliter 700 000 Nacht-Jasminblüten verarbeitet.

Ein Avantgarde-Label hat Frédéric Malle ins Leben gerufen. Er beauftragte weltweit die talentiertesten Nasen, um Düfte zu kreieren. Die Edition de Parfums Frédéric Malle umfasst unverwechselbare Raritäten aus natürlichen Rohstoffen. Und Lynn Miller-Harris ist gemäss dem Experten Werner Abt zurzeit eine der kreativsten Nasen überhaupt. Schwärmerisch spricht er von ihrer «einmaligen, ungekünstelten Duftsprache», und ihr Feuilles de Tabac umschreibt er als einen Bohème-Duft, der «eine Stimmung nach der Arbeit im Café widerspiegelt».

Exklusive Düfte enthalten immer seltene Materialien wie etwa Osmantus, die Blüte einer Olivenbaumart, von denen nur wenige im Mittelmeerraum und in China wachsen. Rare Inhaltsstoffe eignen sich natürlich von der Menge und vom Preis her nicht für eine Massenproduktion, und kleine Labels schützen sich damit auch vor Kopien, denn Duftformeln sind heute leicht zu knacken.

Auch die Stars des 20. Jahrhunderts erfüllen die Kriterien eines wirklichen Luxusduftes nicht mehr. Viele berühmte Labels haben an Glanz eingebüsst, und ihre Verkaufszahlen sind rückläufig. Sie sind zwar nach wie vor im Premiumbereich anzusiedeln, durch die breite Distribution sind einst exklusive Produkte indes banalisiert worden. «Schauen Sie sich die Zürcher Innenstadt an, da ist das gleiche Parfum an etwa 20 Verkaufsstellen erhältlich», meint Experte Abt lakonisch.

Die Parfümeriebranche hat reagiert. In Deutschland wurde zum Beispiel First in Beauty, eine Qualitätsgemeinschaft der Parfümerien und Marken, geschaffen. Nur das oberste Luxussegment wird hier aufgenommen, vergleichbar mit The Leading Hotels of the World.
Branchenkenner Hariegel meint, in Deutschland sei die allgemeine Parfümerie banalisiert worden, sie sei zum Konsumtempel geworden und habe an Kompetenz verloren. Und diese Tendenz sei in ganz Europa gleich, auch in der Schweiz.

Um den anspruchsvollen Bedürfnissen gerecht zu werden, wurde eine neue Ausbildung ins Leben gerufen. In den Jahren 2004 und 2005 haben die ersten 27 Maîtres de Parfum ihren Lehrgang abgeschlossen. Man muss sich darunter so etwas wie Sommeliers der Düfte vorstellen. Diese müssen auch kulturellen Background rund ums Parfum mitbringen. Die Bedürfnisse und Gewohnheiten haben sich in den letzten 30 Jahren stark verändert. Eine parfümierte Hausfrau war in den sechziger Jahren noch suspekt, und einer blonden Frau hätte man nie einen schweren orientalischen Duft verkauft. Heute funktionieren Düfte wie Mahlzeiten und werden wie ein modisches Accessoire getragen. Sie sind zu täglichen Begleitern geworden. Zum Sport, ins Theater oder zur Arbeit werden sie variiert. Spezialisten wissen nicht nur über die Neuheiten Bescheid und lernen Beipackzettel auswendig, sondern verstehen es auch, die Kundin individuell zu beraten.

Parfumhersteller wie Molinard oder Floris sind ihren Wurzeln immer treu geblieben und bieten heute entsprechende Exklusivitäten. Neben den Traditionellen haben sich junge Künstler etabliert, die konsequent ihre eigene Linie verfolgen. Aber auch das grosse Haus Guerlain, die Ikone der modernen Parfümerie, hat die Zeichen der Zeit erkannt und positioniert sich neu: 2005 hat das Haus eine exklusive Boutique an den Champs-Elysées eröffnet. Hier gibt es die auf 250 Exemplare limitierte und nummerierte Vintage-Düfte Mouchoir de Monsieur und Violette Madame, 1904 von Jacques Guerlain kreiert. Auch Vega ist wieder erhältlich, ein Duft mit pudrigem Blütenbouquet, dem die Pariserinnen schon 1936 verfielen. Und wer etwas ganz Individuelles möchte, der lässt ein Parfum nach Mass anfertigen. Ein Service, der auch im Salon des Parfums Cartier oder im Maison Jean Patou angeboten wird. Natürlich kostet das ein kleines Vermögen. Trotzdem leisten sich viele diese «folie».

Werner Hariegel kennt den Grund: «Luxus ist immer für eine kleine Gruppe speziell Verrückter.»