BILANZ: Frau Hayek, Sie könnten es sich leisten, das Leben in vollen Zügen zu geniessen und sich nur um Ihre Pferde zu kümmern. Stattdessen sind Sie ohne Ende beruflich unterwegs, haben eine prallvolle Agenda und einen der härtesten Jobs im Land. Warum tun Sie sich das an?
Nayla Hayek: Wir haben in der Familie Hayek nicht das Gefühl, wir täten uns mit der Arbeit etwas an. Es gibt zwar durchaus Momente, in denen ich mich nach einer Woche Ferien sehne und von der einsamen Insel träume. Aber nach einem Tag fände ich das zu langweilig. Da bin ich meinem Vater sehr ähnlich.
Ihr Vater pflegte zu sagen, er arbeite nicht wirklich, er amüsiere sich nur. Wie macht man das?
Nun, das trifft bei mir zugegebenermassen nicht immer 100-prozentig zu. Und es traf sicherlich auch bei ihm nicht immer 100-prozentig zu. Aber generell macht die Arbeit Spass, viel Spass.
Was macht den Spass aus?
Mir gefällt die Herausforderung. Erfolg ist schön, gewiss. Und es tut gut, wenn der Erfolg auch in den Zahlen sichtbar wird. Aber viel wichtiger ist es für mich, etwas aufzubauen und weiterzuentwickeln.
Sie sind jetzt seit anderthalb Jahren Präsidentin des Verwaltungsrates. Ihr erstes Fazit?
Gott sei Dank hat sich nicht so viel verändert bei der Swatch Group. Es ist, als wäre mein Vater immer noch da.
Soll es so sein?
Natürlich treffen wir gewisse Entscheidungen anders. Mein Vater hätte sich zum Beispiel wegen des starken Frankens wahrscheinlich schon länger viel lauter bemerkbar gemacht als wir und eine Fixierung des Euro verlangt. Wir sind andere Charaktere als er.
Zurückhaltendere?
Nicht einmal. Mein Vater hatte die ganze Erfahrung seines Lebens, die ihn anders reagieren liess. Aber wir haben auch Gespräche geführt, nur eben leiser.
Wie war es, als Tochter eines Übervaters wie Nicolas G. Hayek aufzuwachsen?
Ich kann dazu nur ein Wort sagen: schön. Mein Vater war einfach mein Vater, und ich habe ihn immer sehr bewundert. Mein Vater gab mir Sicherheit. Und ich wusste: Ich kann ihm glauben und trauen, er sagt, was er denkt, er steht zu seiner Meinung und beugt sich nicht irgendwelchen politischen Gründen.
War er nicht mitunter eine erdrückende Autoritätfür ein Kind?
Nein, das war er nie. Mein Vater war sicher ein Übermensch, für mich war er ein Genie. Wir hatten mitunter auch unsere Differenzen, etwa wenn ich wieder ein Pferd kaufen wollte und er fand, ich hätte schon genug Pferde. Aber das waren ganz normale Vater-Tochter-Beziehungsgespräche. Ich habe meinen Vater in der Rolle, die er mir gegenüber einnahm, immer als positiv empfunden.
Hat er Ihnen eine Mission mitgegeben?
Ja, sicher.
Nämlich?
Sie sehen es, ich sitze da. Und er hat nicht nur mir eine Mission mitgegeben. Mein Vater war ein riesiger Kommunikator. Das hörte nicht an der Bürotür auf. Wir haben am Familientisch, auch mit meiner Mutter, immer über alles gesprochen. Und er hat uns oft gesagt, was wir tun sollten, wenn er einmal nicht mehr da sei. Der Tod meines Vaters ist plötzlich gekommen, ja. Aber er hat uns nicht unvorbereitet getroffen.
Sie sind Verwaltungsrats-Präsidentin, Ihr Bruder Nick Hayek Konzernchef. Wie ist es, wenn man Chefin des eigenen Bruders ist?
Wir arbeiten sehr gut zusammen. Das mag nach heiler Welt und Courths-Mahler-Roman klingen, aber es ist einfach so. Ich bin seine Chefin, richtig, er ist umgekehrt aber auch mein Chef. Denn ich leite ja auch die Marke Tiffany & Co., und in dieser Rolle bin ich ihm, dem CEO, unterstellt.
Von Ihrem Vater haben Sie einmal gesagt, er sei stets gegen den Strom geschwommen. Und Ihr Bruder hat vor seinem Büro eine Piratenfahne aufgehängt. Was schreiben Sie sich auf Ihre Fahne?
Ich würde schon sagen, dass ich ziemlich rebellisch sein kann. Eine Piratenfahne habe ich aber nicht.
Auch Ihr Sohn Marc Alexander ist im Konzern, unter anderem als Chef der Marken Blancpain und Breguet. Sähen Sie es gerne, wenn er dereinst die Swatch Group führte?
Ich sähe gerne, dass mein Sohn glücklich und zufrieden ist mit dem, was er tut. Das ist er im Moment. Er hat viel Spass dabei, und er leistet eine hervorragende Arbeit. Aber ob es sein Ziel ist, dereinst die Swatch Group zu führen, müssen Sie schon ihn fragen.
Wie war das bei Ihnen: Wollten Sie den Job?
Als mein Vater zu verstehen gab, dass er mich als künftige VR-Präsidentin sieht, habe ich zuerst einmal leer geschluckt. Und gedacht: Nein, das wäre ein Riesenberg, der auf mich zukäme.
Was hat Sie umgestimmt?
Mein Vater hat mich gebeten, die Sache ruhig, sachlich und mit der gebotenen Ernsthaftigkeit zu überdenken. Und ich wollte im Gegenzug von ihm wissen, warum er mich vorgesehen hatte.
Die Antwort?
Die möchte ich hier nicht verraten. Aber er hat mich überzeugt. Er hat mir ein paar Dinge gesagt, die richtig und überzeugend waren. Mein Vater war ein Mensch, der viele Dinge sehr schnell beurteilen konnte. Ich habe nie erlebt, dass er eine Situation falsch eingeschätzt hätte.
Wenn man sich derzeit in der Uhrenbranche umhört, hat man das Gefühl, es zähle nur noch das Luxussegment. Und die Preise erreichen ein atemberaubendes Niveau. Eine gute Entwicklung?
Eine Tendenz, die nicht ungefährlich ist. Wir haben das schon einmal gehabt. 2009 brach dann das oberste Segment regelrecht ein. Marken wie Omega, Rado, Longines, Tissot oder Swatch haben bei uns kompensiert, was die obersten Segmente verloren hatten. Sonst wäre es nicht gegangen.
Wie führt man eigentlich einen Konzern, der 19 zum Teil komplett verschiedene Marken unter seinem Dach hat?
Manchmal ist es schwierig – als hätten Sie 19 Kinder. Da müssten Sie auch immer schauen, dass nicht plötzlich eines eine Dummheit macht. Wir lieben jedes Kind. Und jedes hat seine eigene Individualität. Jede Marke muss ihre DNA, ihr Gesicht, ihre Markenidentität haben und ausleben können. Das ist manchmal ein Seiltanz. Denn gleichzeitig müssen alle als Gruppe zusammengehalten werden. Das hat mein Vater so implementiert.
Indem er mit klaren Grenzen verhinderte, dass sich die Marken gegenseitig konkurrenzieren?
Die Marken haben alle ihre Geschichte. Man kann schon das eine oder andere ausprobieren und neu machen. Aber es wäre zum Beispiel wenig sinnvoll, bei Certina plötzlich mit Digital-Keramik-Uhren zu kommen. Und die Manufakturmarken Breguet, Blancpain und Jaquet Droz spielen in einer besonderen Liga. Man kann nicht nur von einem Segment leben, das wäre viel zu gefährlich.
Und doch setzen wieder alle auf Luxus.
Es ist für mich in Ordnung, wenn Manufakturuhren immer komplizierter und aufwendiger werden, das liegt in der Natur der Sache. Aber wenn jemand einfach irgendwo ein Werk einkauft, sich ein Gehäuse beschafft, das Ganze mit ein paar farbigen Steinen garniert und als Luxus verkauft, dann mache ich schon ein Fragezeichen.
Heute kann man für 1500 Franken eine Certina DS Podium von der Swatch Group kaufen. Darin tickt als Werk ein Valjoux 7750. Das gleiche Werk gibt es in der Stahluhr eines Konkurrenten von Ihnen zum zehnfachen Preis. Wer macht da etwas falsch?
Fragen Sie doch den Konkurrenten.
Wir fragen Sie.
Man muss auch ein bisschen aufpassen. Man kann den Preis einer Uhr nicht nur über ihr Werk definieren.
Korrekt. Aber in der Autowelt zum Beispiel gibt es kein Modell, das zehnmal so viel kostet wie ein Konkurrenzprodukt mit dem exakt gleichen Motor.
Vielleicht bezahlen Sie da auch für den Markennamen.
Und vielleicht hat die Swatch Group die Branche ganz schön verwöhnt. Sie hat zuverlässige Werke geliefert, wenn die Marken Werke brauchten. Und musste selber schauen, wie sie mit Überkapazitäten fertig wurde, wenn in schwierigeren Zeiten plötzlich keine Werke mehr gefragt waren. Sie haben es Ihrer Konkurrenz recht einfach gemacht.
Nicht nur recht einfach – es war ein Supermarkt, wie mein Bruder sagt. Aber wir wurden dazu gezwungen. Den ersten Schritt dagegen unternahm mein Vater, als er ankündigte, dass wir keine Einzelkomponenten mehr liefern wollten, nur noch ganze Werke. Viele Leute merkten erst da, wie zahlreich selbst renommierte Marken Teile und ganze Werke der Swatch Group verwenden. Das tun fast alle unsere Mitkonkurrenten. Aber etliche behaupten gerne, sie bauten ihre Werke ganz alleine.
Viele behaupten sogar, sie seien eine Manufaktur.
Es wird immer Firmen geben, die ohne uns nur schwer existieren könnten. Aber es gibt genügend Firmen, die Geld in die Produktion investieren könnten und das auch tun sollten. Wenn sie aber statt in Arbeitsplätze, Werke, Gehäuse, Zifferblätter etc. nur ins Marketing investieren, riesige PR-Anlässe inszenieren, gigantisches Sponsoring betreiben, dann finden wir das etwas gar einfach. So kann das nicht weitergehen.
Wer soll denn noch Teile bekommen? Unternehmen, die keine Marke von Ihnen direkt konkurrenzieren?
Das hat damit gar nichts zu tun. Im Moment haben wir ganz klare Auflagen von der Wettbewerbskommission. Jeder muss weiterhin beliefert werden. Wir können lediglich die Lieferungen pro Kunde ein bisschen reduzieren. Aber alle müssen weiterhin beliefert werden, und daran halten wir uns.
Sie haben eine unglaubliche Macht. Wenn Sie zum Beispiel keine Nivarox-Spiralfedern mehr liefern würden, stünde die Branche praktisch still.
Daran haben wir gar kein Interesse. Die Swatch Group ist nicht der Feind der Schweizer Uhrenindustrie. Wir wollen nicht die Schweizer Uhrenindustrie allein besitzen und die anderen kaputt machen.
Ihr Ziel könnte es aber sein, selber mehr Uhren zu produzieren und zu verkaufen, statt die Werke an Dritte zu liefern.
Klar möchten wir unsere eigenen Marken beliefern. Aber wir haben auch Partner, mit denen wir immer sehr gut zusammengearbeitet haben. Wir haben Forschungs-und-Entwicklungs-Programme am Laufen, die wir gemeinsam mit Patek Philippe oder mit Rolex durchführen. Das sind Marken mit Menschen dahinter, die auch investiert haben und die gute Partner sind, die wollen wir weiterhin beliefern. Aber es gibt Leute, die keine eigene Marke haben, die Teile nicht für sich brauchen, sondern einfach weiterverkaufen. Sogar nach Asien. Warum sollen wir Leute beliefern, die Werke nach Asien liefern, die dann in Fakes zurückkommen?
Dazu kann Sie ja auch niemand ernsthaft zwingen.
Doch. Und darum hat mein Vater rebelliert. Es kann doch nicht sein, dass wir unsere Industrie so schwächen. Wir haben viele gute Partner, etwa Rolex, Patek Philippe, Breitling, Audemars Piguet, Vacheron Constantin. Wenn man solche Unternehmen nicht richtig beliefern kann, weil man gezwungen ist, irgendwelche Leute auch noch zu berücksichtigen, dann stimmt etwas nicht. Wir hoffen, dass dies bald richtig beurteilt wird.
Apropos Fakes. Wenn 50 Prozent einer Uhr schweizerisch sind, reicht das dann, um sie als Swiss made auszuweisen? Finden Sie das streng genug?
Sie können heute eine Uhr aus irgendwelchen Bestandteilen irgendwelcher Herkunft nehmen, Sie in der Schweiz zusammenbauen, mit einem Rotor aus Gold versehen, und, schwupps, schon haben Sie eine Uhr made in Switzerland. Denn nur 51 Prozent des Werkes – wertmässig – müssen schweizerisch sein. Das ist gefährlich.
Im Gegensatz zur einst renommierten deutschen Kamera- oder zur britischen Autoindustrie hat die Schweizer Uhrenindustrie bisher sehr gut überlebt. Was tun Sie, dass dies so bleibt?
Entscheidend ist, dass wir unser Know-how nicht exportieren und nicht verlieren. Bei den Autos spricht man ja immer von der deutschen Qualität. Wenn Sie nun plötzlich feststellen müssen, dass ein Mercedes nicht mehr ein deutsches Erzeugnis ist, sondern weitgehend ein japanisches oder koreanisches, dann macht dies für Sie den besten Namen kaputt. Dann verlieren Sie als Kunde Ihr Vertrauen in Qualität und Know-how. Darum müssen wir für Arbeitsplätze in der Schweiz kämpfen. Und dafür, dass die Schweiz konkurrenzfähig bleiben kann.
Wie sehen Sie das Jahr 2012?
Wir sind positiv eingestellt. Aber es wird schwieriger als 2011.
Einstellige Zuwachsraten?
Mein Bruder hat für die Branche ein Wachstum von fünf bis zehn Prozent vorausgesagt.
Mit dem schwachen Euro können Sie leben?
Wir können damit leben. Aber wir wünschten uns schon einen schwächeren Franken. 1.20 ist kein idealer Wechselkurs.
Was tun Sie dagegen?
Wir kämpfen.
Was ist Luxus für Sie?
Luxus ist für mich, Zeit zu haben.
Zeit wofür?
Für mich. Das heisst für meine Familie und meine Pferde.
Haben Sie noch Zeit für Ihre Pferde?
Ich nehme sie mir.
Und wie muss man sich das vorstellen?
Ich stehe um fünf bis halb sechs Uhr auf. Dann gehe ich zuerst zu meinen Pferden.
Kann man von Pferden etwas lernen?
Ich glaube nicht, dass ein Pferd einem Menschen etwas lehren will. Aber man kann im Umgang mit einem Pferd etwas über sich selber lernen. Man muss mit sich selber gut umgehen, um mit Pferden umgehen zu können. Ich hatte immer sehr feine Pferde, die hoch im Blut sind, wie man sagt, die also sehr sensibel sind. Die merken alles, die können Sie nicht täuschen. Da können Sie noch so lange versuchen, etwas anderes auszustrahlen als das, was Sie sind. Tiere reagieren auf Ihre Körpersprache. Und die können Sie nicht manipulieren. Die haben Sie.
Hilft das im Beruf?
Ich glaube nicht an dieses Pferdeflüsterer-Brimborium, das in gewissen Führungskursen mit Pferden vermittelt wird. Aber man kann über das Verhalten eines Pferdes durchaus gewisse Rückschlüsse ziehen. Mein Vater hatte viele Gäste. Sie kamen oft zu mir in den Stall, um die Pferde zu sehen. Wenn ich beobachtete, wie Pferde auf gewisse Leute reagierten, konnte ich durchaus etwas über diese Leute erfahren.
Wie ist Ihr Verhältnis zum Geld?
Geld ist ein Werkzeug, um sich Dinge zu erlauben oder aufzubauen. Die Swatch Group hat Geld. Und das benützen wir, damit wir unser Geschäft betreiben und weiter ausbauen können. Wir benützen es aber zum Beispiel nicht, um Paläste aus Marmor für unsere Büros zu bauen. Obwohl kürzlich ein Journalist schrieb, er sei schockiert, wie grau und einfach unser Headquarter sei, wenn man es mit anderen vergleiche.
Nun, die Eingangshalle ist ausgesprochen bescheiden.
Sie meinen: nicht pompös? Den Eingang machen wir neu. Aber er wird nicht gross verändert, einfach etwas aufgefrischt.
Typisch Swatch Group?
Typisch für meinen Vater, für meine Mutter und hoffentlich auch für uns.
Erinnern Sie sich daran, wie Sie Ihr erstes Geld verdienten?
Sicher. Ich musste im Garten helfen. Und Autos waschen. So verdiente ich mein erstes Geld, um ein Pony zu kaufen.
Wie ist Ihr Verhältnis zur Macht?
Ich habe nie das Gefühl gehabt, wir hätten Macht. Wir haben dann Macht, wenn wir uns mit anderen zusammentun, um etwas zu erreichen. Wenn wir zum Beispiel mit Rolex oder mit der Richemont-Gruppe Gespräche zum Thema Swiss made führen. Dort setzen wir unsere Macht ein. Sonst nicht.