«Nikolaus Senn war ein zugänglicher, offener, intelligenter und charmanter Mensch», sagt Gertrud Erismann. Als langjährige Pressesprecherin der Schweizerischen Bankgesellschaft (SBG) erlebte sie den Appenzeller bestens kennen. «Ich habe sehr gerne mit ihm gearbeitet.» Und dies, obwohl der knorrige Appenzeller in der Öffentlichkeit durchaus auch als Polterer wahrgenommen wurde. «Er war sicher ein sehr temperamentvoller Mensch», so Erismann, «doch Temperament ist ja nichts Negatives.»
Nikolaus Senn, der ehemalige Präsident der Generaldirektion und des Verwaltungsrats der SBG, ist am vergangenen Sonntag im Alter von 88 Jahren nach langer Krankheit verstorben. Bis Mitte der 90er-Jahre war der Jurist mit Doktortitel eine der prägenden Figuren in der Schweizer Bankenszene gewesen. Er blieb dabei während seiner gesamten Berufskarriere der SBG und ihrer Nachfolgerin UBS treu.
45 Jahre im gleichen Betrieb
Eingestiegen als Praktikant im Jahr 1951 stieg er 1968 in die Geschäftsleitung (damals Generaldirektion) auf. Ab 1980 war Senn während acht Jahren Präsident der Generaldirektion und anschliessend für weitere acht Jahre Präsident des Verwaltungsrates. Auch nach seinem Rücktritt blieb er als Ehrenpräsident seiner Bank verbunden und scheute sich nicht seine Nachfolger zum Teil heftig zu kritisieren – auch in der Öffentlichkeit.
Ein Graus waren ihm überrissene Boni für Topbanker. Dieses System komme aus Amerika und habe ganz Europa verdorben, sagte Senn 2010 in einem Interview mit der «Weltwoche». In der Diskussion um das 27-Millionen-Salär für Marcel Ospel legte er offen, was er seinerzeit als Generaldirektor und Verwaltungsrats verdient hatte: 1,5 Millionen Franken Lohn und eine Gratifikation von einer halben Million Franken.
Konzernumbau und Machtkampf
Böse ist man ihm bei der UBS deswegen nicht. «Dank seiner kreativen Ideen und schöpferischen Impulsen gelang es ihm, die Bank in den 80er-Jahren zu modernisieren, durch Akquisitionen im Ausland zu vergrössern und auf den zunehmend internationaleren Wettbewerb vorzubereiten», schreibt die Konzernleitung der UBS in der Todesanzeige vom Mittwoch. «In seiner Funktion als Verwaltungsratspräsident war Nikolaus Senn der Initiator einer neuen und zukunftsgerichteten Führungs- und Organisationsstruktur.»
In Erinnerung bleiben wird auch Senns Machtkampf mit Martin Ebner. Der Finanzinvestor hatte sich in den 90er-Jahren einen – aus Sicht von Senn zu grossen – Einfluss in der Bank sichern wollen. Doch er hatte die Rechnung ohne den Senn gemacht, der die Auseinandersetzung um die Herrschaft über die Bank in einem jahrelangen Rechtsstreit für sich entschied. Die fast schon legendäre Durchsetzungskraft hatte sich Senn unter anderem im Militär erworben, wo er bis zum Oberst im Generalstab aufstieg – aber auch als Eishockeyspieler. Eine Saison lang spielte er als Verteidiger gar beim Topklub SC Bern.
Ecken und Kanten
Nicht immer kamen Senns Standpunkte gut an. Als Präsident der Generaldirektion in den 80er-Jahren verteidigte er das Engagement der SBG in Südafrika. Den Apartheidstaat beschrieb er 1983 in der «Bilanz» als «eines der interessantesten Länder». Die Rassenprobleme seien «eine ganz natürlich menschliche Erscheinung.»
Auch zu den Problemen der UBS im Zuge der Finanzkrise 2007 und 2008 hatte Senn seine pointierte Meinung. Er verstehe nicht, weshalb gegen die UBS-Führung unter Marcel Ospel keine Anklage erhoben worden sei, sagte er im «Weltwoche»-Interview. Der Beinahe-Untergang der Bank sei «mehr als unangenehm» gewesen für ihn, denn er hätte das meiste anders gemacht. Er sei schon um Rat gefragt worden, «allerdings meist erst im Nachhinein».
Banker einer anderen Zeit
Für Gertrud Erismann ist klar: «Nikolaus Senn hat die Bank auf einem guten Weg gehalten.» Zu sagen, wie sich die Bank unter ihm weiterentwickelt hätte, wäre jedoch reine Spekulation. «Die Schweiz und die Welt haben sich in den letzten 20 Jahren so grundlegend gewandelt, dass niemand wissen kann, wie es herausgekommen wäre.» Wie sehr sich das Bankgeschäft verändert habe zeigten etwa der Steuerstreit und die aktuellen Diskussionen ums Bankgeheimnis, vor allem aber natürlich die damals undenkbare starke Internationalität.
«Er war zu einer Zeit aktiv, als die Banken und die Wirtschaftsführer in der Schweiz noch eine ganz andere Rolle hatten als heute», sagt Erismann. «Die SBG unter Nikolaus Senn war ein typisches Schweizer Unternehmen, zu einer Zeit, als die Wirtschaft noch stark mit der politischen und gesellschaftlichen Elite liiert war.» Dies sei der Grund, warum ein Unternehmer und Mensch wie Nikolaus Senn einen viel nachhaltigeren Eindruck hinterlassen hat, als zahlreiche heutige Manager.