Die Uhr zeigt fast Mitternacht an diesem Mittwoch, 6. März 1996, als fünf Männer im Basler Hotel Le Plaza darangehen, Geschichte zu schreiben. Hinter der Tür mit der Nummer 640, in einem nüchtern eingerichteten Zimmer mit Blick hinunter auf den Messeplatz, haben sie sich rund um den Sitzungstisch versammelt. Seit Stunden sind sie zäh am Ringen, um die letzten Differenzen zu bereinigen. Nun ist der Moment gekommen, die bislang weltgrösste Firmenheirat zu besiegeln.
Als Erster setzt Marc Moret, der Architekt dieser Fusion, seine Signatur unter das 22-seitige Vertragswerk. Ausgerechnet Moret. Von der «guten Gesellschaft» wurde er, trotz seinem unternehmerischen Erfolg, jahrelang gemieden. Und jetzt reformiert der 72-jährige Sandoz-Patriarch die Schweizer Wirtschaft so tief greifend wie niemand sonst in den Jahrzehnten zuvor.
Moret wirkt erschöpft an diesem Abend. Feierliche Gefühle kommen deshalb nicht auf bei ihm, zu strapaziös sind die letzten Wochen gewesen. Noch kann er sich hier im Hotelzimmer nicht vorstellen, wie euphorisch die Finanzmärkte reagieren werden: Um 22 Milliarden Franken schiesst der addierte Börsenwert von Ciba und Sandoz am nächsten Morgen in die Höhe.
Als Zweiter unterschreibt Hans-Jörg Rudloff, der Vizepräsident des Sandoz-Verwaltungsrats. Der langjährige Chef der Credit Suisse First Boston und Chairman der britischen Barclays Capital zählt zu den profiliertesten Schweizer Investment Bankers. Deshalb hat ihn Moret während der Verhandlungen regelmässig konsultiert und um seine Meinung gefragt. Rudloff übernimmt im Novartis-VR die Funktion des Vizepräsidenten.
Dann kommt die Reihe an den Ciba-Präsidenten Alex Krauer, dessen Vater und Grossvater schon Cibaner waren. Mit der Unterzeichnung des Vertrages wird er zum Präsidenten der neuen Novartis. Krauer hat ein unerfreuliches Jahrzehnt hinter sich: Seit er 1987 die Führung der Ciba übernommen hat, ist sie in der Rangliste der grössten Medikamentenhersteller vom dritten auf den zehnten Platz abgerutscht. An der Börse ist Sandoz um volle 40 Prozent höher bewertet als Ciba, dabei beschäftigt Morets Unternehmen 34 000 Mitarbeiter weniger.
Obwohl der 65-jährige Alex Krauer aus der schwächeren Position in die Verhandlungen gestiegen ist, bietet er Hand zu einem mutigen Sprung vorwärts – der vorerst jedoch grosse Opfer verlangt. Dem Ciba-Chef wird es am folgenden Tag obliegen, der Belegschaft den Abbau von weltweit 10 000 Arbeitsplätzen mitzuteilen.
Der Vierte am Tisch ist Helmut Sihler. Der Vizepräsident der Ciba strahlt eine gelassene Autorität aus, mit der er auch an diesem Abend die Gemüter wiederholt zu beruhigen vermag. Seine Stationen: Chef des Chemieriesen Henkel, Präsident der Deutschen Post, der Deutschen Telekom und von Porsche. Wie Rudloff wird Sihler Vizepräsident im Novartis-VR – später dann, nach Krauers Rücktritt 1999, zusätzlich Lead Director.
Schliesslich fehlt im Vertrag nur noch die Unterschrift von Daniel Vasella, dem designierten CEO von Novartis. Im Vergleich mit der übrigen Runde aus gestandenen Topmanagern besitzt der 42-Jährige erst wenig Führungserfahrung: Vor gerade mal acht Jahren hat er seinen Arztberuf an den Nagel gehängt und bei Sandoz als Vertreter im Aussendienst begonnen. Nach einer Blitzkarriere soll Vasella nun also zwei stolze Traditionsfirmen, die sich zudem seit Jahren juristische Scharmützel geliefert haben, zum neuen Basler Pharmagiganten verschmelzen – eine Herkulesaufgabe, die ihm sein Mentor Marc Moret da zugedacht hat.
Als Vasella seinen Namen aufs Papier setzt, verspürt er eine grosse Erleichterung. Er ist froh, dass die Verhandlungen bis zur letzten Minute geheim geblieben sind und kein unerwartetes Ereignis die ganze Arbeit auf den Kopf gestellt hat. Zwar ist der Vertrag nun perfekt, doch auf eine Feier verzichten die fünf Männer. Im Zimmer 640 fliesst kein Champagner. Kaum ist die Tinte getrocknet, verabschieden sie sich für eine kurze Nacht.
Tags darauf verkündet ein sichtlich befriedigter Marc Moret in die Kameras aus aller Welt, mit Novartis sei «eine neue Ära» angebrochen, derweil sich die Bevölkerung verblüfft die Augen reibt. «Was wir hier machen, ist auch ein politischer Akt mit Blick auf die Schweiz», preist er sein Werk – gänzlich unbescheiden – im Interview mit der BILANZ. Und weiter: «Die Schweiz benötigt gerade jetzt ein Signal. Denn während die Politiker häufig über banale Dinge reden, bauen wir hier etwas wirklich Aussergewöhnliches auf. Das soll vielen Menschen Mut machen.»
Zehn Jahre später steht fest: Die Saat des Marc Moret ist voll aufgegangen, die Novartis-Fusion eine echte Erfolgsgeschichte. Die BILANZ zählt sie zu den zehn bedeutendsten Weichenstellungen der Schweizer Wirtschaftsgeschichte, vergleichbar mit der Einführung des Schweizer Frankens, der Gründung der ETH oder der Rettung der Uhrenindustrie (siehe Artikel zum Thema «Historie: Zehn Meilensteine»). Die Fusion von Ciba und Sandoz markiert den endgültigen Abschied von der «Chemiestadt» Basel. In über hundert Jahren hatte diese Industrie die gesamte Region wohlhabend gemacht. Doch mit der Fokussierung von Novartis auf die Life Sciences, auf den Gesundheitsbereich, beginnt eine neue Zeitrechnung: diejenige der «Pharmastadt» Basel. Andere ehemalige Chemie-Hochburgen, etwa das deutsche Leverkusen, haben im letzten Jahrzehnt einen schleichenden Niedergang erlebt. Jürgen Dormann, der frühere Chef von Aventis, hält es für möglich, dass Ciba und Sandoz ohne Fusion ein ähnliches Schicksal erlebt hätten wie die Leverkusener Firma Bayer (siehe Artikel zum Thema «Jürgen Dormann: Ich habe grossen Respekt vor Vasellas Leistung»). Dagegen beherbergt Basel heute mit Novartis und Roche gleich zwei weltweit führende Pharmakonzerne sowie eine beeindruckende Zahl aufstrebender Biotechfirmen.
Die Bilanz nach zehn Jahren Novartis lässt sich sehen: Der Konzern erzielt laufend neue Rekordgewinne, stellt seit Jahren wieder zusätzliche Mitarbeiter ein und hat an der Börse besser abgeschnitten als sämtliche Konkurrenten inklusive der erfolgreichen Roche. Einzig die Aktionäre der französischen Sanofi sind seit 1996 noch besser gefahren.
Die Geschichte, die schliesslich zur Novartis-Fusion führte, begann 1981: Kaum hatte Marc Moret bei Sandoz das Zepter übernommen, verordnete er dem Stammhaus ein hartes Sparprogramm, das zum Abbau von 900 Stellen führte. Während eine solche Massnahme heute kaum noch Schlagzeilen provoziert, ging damals ein Aufschrei durchs Land, selbst die «Neue Zürcher Zeitung» sprach von einer «Eisenbart-Kur»: Erstmals in der Schweiz hatte ein Firmenlenker ohne äusserlich sichtbare Not zur Sparaxt gegriffen. Die Initiative stammte vom McKinsey-Partner Hans Widmer, der sich danach einen Namen mit der Sanierung der Oerlikon Bührle machen sollte, sowie von seinem damaligen Assistenten Lukas Mühlemann, dem späteren CEO von Swiss Re und Credit Suisse. Die Projektleitung auf Sandoz-Seite lag bei Rolf Soiron, dem heutigen Präsidenten von Holcim, Nobel Biocare und Lonza.
Dieser Paukenschlag gleich beim Amtsantritt setzte die verschlafene Sandoz unter Strom: «Meine Herren, jetzt müssen Sie wieder gehorchen!», wies Moret seine Direktoren, die sich zuvor als Könige gefühlt hatten, an. Unter seiner Ägide steigerte die Nummer drei der Basler chemischen Industrie ihre Eigenkapitalrendite von 7 auf über 24 Prozent, auf die doppelte Höhe von Ciba. Auch an der Börse lag Sandoz um Längen voraus.
Im Stile eines Feldherrn schmiedete Marc Moret aus der eher schmächtigen Sandoz ein hochprofitables Powerhouse. Die Börsenkapitalisierung katapultierte er in seiner 15-jährigen Ära von 3 auf 43 Milliarden Franken. Zu seinem Vorbild zählte er dabei Otto von Bismarck, auch der «eiserne Kanzler» genannt, der 1871 das Zweite Deutsche Reich begründet hatte. Gleichzeitig jedoch bewahrte Moret die bäuerlichen Wurzeln seiner Heimat, eines 300-Seelen-Dorfes im freiburgischen Broye-Tal. «Dieser visionäre Weitblick, gepaart mit seiner Bodenständigkeit, gemahnte mich an Winston Churchill», beschreibt Hans Widmer Morets Charakterzüge.
Zu Morets Machtbewusstsein gehörte indes auch ein ausgeprägtes Misstrauen. Von seinen Vertrauensleuten verlangte er absolute Loyalität, die er zuweilen gar über deren Sekretärinnen kontrollierte. Der Presse wollte er anfänglich verbieten, sein Foto abzudrucken. Dieser argwöhnische Wesenszug wurde für ihn am 1. November 1986 zum Handicap: Im Pestizidlager der Sandoz in Schweizerhalle brach eine Feuersbrunst aus. Das giftige Löschwasser vernichtete die Fischbestände im Rhein.
Der Volkszorn entlud sich darauf am Sandoz-Chef, der sich lange Zeit vor einer öffentlichen Stellungnahme drückte. Seine Familie wurde gar mit Morddrohungen eingedeckt. «Der sture Big Boss Moret will nichts von Rücktritt wissen», titelte der «SonntagsBlick». Den konziliant auftretenden Alex Krauer hingegen würdigte das gleiche Blatt als den «Gorbatschow der Wirtschaft».
Nach diesem Kesseltreiben zog sich Moret noch mehr aus den Salons, den von ihm wenig geliebten elitären Zirkeln, zurück. Doch bei Sandoz regierte er weiter mit eiserner Hand. Die wichtigste Entscheidung, um die spätere Fusion zu ermöglichen, fällte er Anfang 1990: Moret nahm Abschied von der über Jahrzehnte gepflegten Strategie der Diversifikation und setzte stattdessen auf eine Konzentration der Kräfte. Zur Seite stand ihm dabei erneut der McKinsey-Berater Lukas Mühlemann.
Während der Ciba-Konzern sein Konglomerat, bestehend aus 14 Divisionen und 34 Geschäftseinheiten, über eine schwerfällige Matrixstruktur steuerte, erlebte Sandoz einen weiteren radikalen Wandel: Mit der Divisionalisierung wurden alle sieben Sparten zu unabhängigen Tochtergesellschaften. Damit hatte Moret sein Ziel erreicht, sämtliche Kräfte auf das zukunftsträchtige Pharmageschäft zu fokussieren. Eine weitere Folge dieser Restrukturierung war die spätere Abspaltung der Chemietochter Clariant.
Die Arbeit von Marc Moret zahlte sich aus: An der Börse brachte Sandoz inzwischen über 40 Milliarden Franken auf die Waage, gegenüber 30 Milliarden der – umsatzmässig klar grösseren – Ciba. Für Alex Krauer war das eine bittere Lektion. Dass sein Konzern eine der besten Forschungsabteilungen besass, davon nahmen die Finanzmärkte kaum Notiz. Umso schwerer lastete der Malus des «Gemischtwarenladens» auf dem Kurs der Aktie.
Wie krass Ciba damals unterbewertet war, zeigt folgende Rechnung: Nimmt man die zehn Topmedikamente von Novartis im Jahr 2006, so entfallen 75 Prozent des daraus erzielten Umsatzes auf Produkte, die ursprünglich aus der Ciba-Forschung stammen. Die derzeit drei grössten Blockbuster – Diovan (Bluthochdruck), Glivec (Leukämie) und Zometa (Krebs) –, die zusammen einen Jahresumsatz von zehn Milliarden Franken generieren, haben ihre Wurzeln alle in den Labors der Ciba.
Für die Novartis von heute spielt diese Unterscheidung zwischen Ciba und Sandoz allerdings kaum noch eine Rolle. Daniel Vasella hat es geschafft, dem neuen Konzern eine eigene Identität und Kultur zu verleihen. Dieser Prozess habe etwa fünf Jahre gedauert, erklärt Vasella: «Man kann nicht einfach die Vergangenheit zurücklassen – all das, was man war und von wo man kommt.» Um eine gemeinsame Zukunft zu bauen, habe es bei allen Mitarbeitern ein Umlernen gebraucht: Ein neues Selbstbewusstsein und neue Ziele mussten entwickelt werden.
Die Integration erleichtert hat auch die klare industrielle Logik hinter der Fusion. Erst zusammen haben die beiden Unternehmen die nötige Durchschlagskraft auf den globalen Märkten bekommen. Speziell in den USA, wo die höchsten Margen erzielt werden, hätten Ciba oder Sandoz im Alleingang nie die gleichen Wachstumsraten erzielt.
Marc Moret liess sich bereits Anfang der neunziger Jahre von der Erkenntnis leiten, dass die kritische Grösse immer entscheidender werde, um erfolgreich zu sein. Auf der Suche nach einem Partner führte er deshalb Gespräche mit sechs möglichen Kandidaten in den USA, Grossbritannien und Deutschland. Auch die Ciba hatte er schon längere Zeit im Visier, zumal er um ihre verborgenen Schätze durchaus wusste.
Doch das traditionell frostige Klima unter den Baslern sprach lange gegen eine Annäherung. So wartete Marc Moret geduldig bis zum 23. November 1995, um den Coup seines Lebens zu realisieren. An diesem Tag, eine Woche nach seinem 72. Geburtstag, griff er zum Telefon und wählte die Nummer des 78-jährigen Ciba-Ehrenpräsidenten Louis von Planta. Dessen Sohn, der renommierte Anwalt Andreas von Planta, ist dieses Jahr übrigens neu in den Novartis-VR gewählt worden.
Der Moment der Kontaktaufnahme war geschickt gewählt – aus zweierlei Gründen: Zum einen wollte die Ciba demnächst öffentlich machen, dass Heini Lippuner, der langjährige Vorsitzende der Konzernleitung, auf den folgenden Frühling zurücktreten werde. Die Rivalität um den Posten des CEO, sonst häufig ein Hindernis bei Fusionen, fiel damit weg. Ausserdem hielt der Sandoz-Patron mit Daniel Vasella einen Joker in der Hand.
Zum andern steckte Marc Moret selber im Dilemma; er hatte keinen Nachfolger. Der Verwaltungsrat hatte seinen Vorschlag, den treuen Gefolgsmann und Konzernchef Alexandre F. Jetzer zum Präsidenten zu wählen, abgelehnt – eine Niederlage, die ihn unvorbereitet traf.
Am 30. November erschien von Planta zum Mittagessen im Séparée des Sandoz-Speisesaals. Er hatte bereits den Zusammenschluss von Ciba und Geigy 1970 durchgezogen. Moret hoffte also, der immer noch präsente Übervater könne das Eis brechen, zumal die beiden einen guten Draht zueinander hatten. Beim Essen sprachen sie über Gott und die Welt.
Erst als sie sich zum Kaffee in die Sofaecke zurückgezogen hatten, schnitt Moret das heikle Thema an. Ob es nicht an der Zeit wäre, eine Kooperation zwischen den Firmen anzustreben, sondierte er vorsichtig, um gleich zu versichern: «Wenn Sie Nein sagen, vergessen wir beide, dass diese Unterhaltung je stattgefunden hat, und niemand wird davon erfahren.» Von Planta enthielt sich einer Antwort. Stattdessen stand er unvermittelt auf und ging. Wenig später rief er zurück, um mitzuteilen, der Ciba-Präsident sei interessiert.
Ein erster Besuch von Alex Krauer im Büro des Sandoz-Chefs am 4. Dezember diente dem gegenseitigen Abtasten. Zum wegweisenden Treffen kam es dann am 11. Dezember: Im selben Séparée, in dem bereits von Planta gespeist hatte, sassen sich nun das Führungsduo von Sandoz, Moret und Jetzer, sowie die beiden obersten Cibaner, Krauer und Lippuner, gegenüber. Einige steife Floskeln gingen hin und her, bis Lippuner schliesslich das Wort ergriff und erklärte, dass man die Idee einer Fusion im Grundsatz unterstütze. Krauer plädierte für ein behutsames Vorgehen, erst im neuen Jahr wollte er die Gespräche intensivieren. Doch Moret ging das zu langsam.
So kamen die beiden Verhandlungsführer bereits am 19. Dezember erstmals zusammen: Ciba-Mann Lippuner sowie der junge Daniel Vasella statt Jetzer von Sandoz. Nachdem sich Moret mit mehreren profilierten Köpfen wie Rolf Soiron oder Max Link überworfen hatte, setzte er seine Hoffnungen auf den tatendurstigen und willensstarken Aufsteiger. Vasella, erst vor einem halben Jahr zum Pharmachef ernannt, hatte sich seine Meriten als Produktmanager in den USA und danach als Leiter der Entwicklungsabteilung geholt. Der Freiburger hatte, wie schon Marc Moret, das katholische Gymnasium St-Michel besucht. In dieser Zeit machte er Bekanntschaft mit Morets Nichte, die er später heiratete.
Die Achse Lippuner–Vasella harmonierte glänzend und trieb die Verhandlungen rasch voran. «Heini Lippuner handelte konsequent danach, ein konstruktives Ergebnis zu erzielen, was uns erlaubte, die gleiche Rolle zu spielen», beschreibt Daniel Vasella den Geist dieser Gespräche. Nur bei den strittigsten Punkten, namentlich bei der gegenseitigen Bewertung, bei der man sich am Ende auf ein Verhältnis von 55 zu 45 zu Gunsten von Sandoz einigte, oder bei der Besetzung der Spitzenämter, schalteten sich Moret und Krauer noch ein.
Alle Kontakte mussten geheim bleiben. Das Projekt erhielt deshalb den Codenamen «Rio Grande», in Anlehnung an den Rhein, der die beiden Firmen trennte. Die Delegationen trafen sich an ständig wechselnden Orten, meist in Autobahnraststätten oder zweitklassigen Hotels. Einmal musste Alex Krauer reflexartig handeln, als er nach einer Sitzung im sechsten Stock des Sandoz-Gebäudes plötzlich eine Hand voll Ciba-Leute erspähte, die dort einem Routinegeschäft nachgingen. Kurzerhand flüchtete er auf die Herrentoilette, um sich dort zu verstecken. «Selbst Woody Allen hätte die Szene nicht besser schreiben können», amüsierte sich Moret, als er davon erfuhr.
Damit nichts durchsickern konnte, wurden die Investment Bankers, rund 30 an der Zahl, erst kurz vor Abschluss des Deals beigezogen. Sandoz sicherte sich die Dienste der Koryphäe Joseph Perella von Morgan Stanley. Die Ciba vertraute auf Jacques Aigrain von der Bank JP Morgan, heute ist er CEO der Swiss Re.
Hochkarätig waren auch die involvierten Juristen: Vor allem der damals erst 37-jährige Rolf Watter, Partner bei der Kanzlei Bär & Karrer, lieferte mit der Fusion sein Gesellenstück. Zuvor hatte er für Sandoz bereits die Clariant-Abspaltung begleitet. Zu den vielen weiteren Transaktionen von Watter, der im Nebenamt Professor an der Uni Zürich ist, gehörte später auch der Merger von Bankgesellschaft und Bankverein zur UBS. Die Ciba wiederum setzte auf Peter Kurer von der Kanzlei Homburger Rechtsanwälte. Kurer, heute Chefjurist bei der UBS, erlangte im Herbst 2001, im Vorfeld des Swissair-Groundings, landesweite Bekanntheit. Im Auftrag der UBS führte er die Verhandlungen für das «Term Sheet Phoenix», das die Basis für die Geburt der neuen Airline Swiss lieferte.
Das Duo Watter und Kurer betrat mit Novartis juristisches Neuland. Erstmals wurde die Fusion über die Gründung einer gemeinsamen Tochtergesellschaft vollzogen. Neben steuerlichen Gründen hatte dieser Weg den Vorteil, dass die Firmenehe als ein Merger of Equals kommuniziert werden konnte – und damit liess sich die lästige Frage «Wer frisst wen?» aus rechtlicher Sicht geschickt umgehen.
Nach dem gleichen Schema erfolgen seither die meisten Fusionen in der Schweiz, etwa bei der UBS oder jüngst bei der Implenia. Als weiterer Berater, vor allem bei der Integration, stand Daniel Vasella der McKinsey-Partner Thomas Wellauer zur Seite, der später die Führung der «Winterthur» übernahm.
Bis Ende Februar 1996, so lautete das ehrgeizige Ziel Vasellas, wollte er die Verhandlungen abschliessen. Der Zeitplan wurde eingehalten. Am 1. März ging Rolf Watter auf das Handelsregisteramt Basel, um die Gründung der neuen Novartis offiziell zu beglaubigen und damit sämtliche Firmenrechte abzusichern. Damit niemand Verdacht schöpfen konnte, gab er als Geschäftszweck zunächst den Kunsthandel an. Prompt meldete sich darauf ein Galerist bei Watter, der ihm ein Picasso-Bild andrehen wollte. Der Name Novartis hatte bei Sandoz bereits in die engere Auswahl für das abzuspaltende Chemiegeschäft gehört, das dann Clariant getauft wurde.
Heute zählt Novartis zu den 50 besten globalen Marken. Vor zehn Jahren dagegen, im März 1996, stiess der neue Name noch auf Spott und beissende Kritik: Novartis klinge eher nach einer «maroden Maschinenfabrik in Nowosibirsk», höhnte etwa der Werber Dominique von Matt. Obschon die meisten Reaktionen zurückhaltender ausfielen, überwog in der hiesigen Öffentlichkeit doch eine gewisse Skepsis. «Bei vielen Leuten herrschte das trügerische Gefühl, ‹uns kann ja sowieso nichts passieren›», erinnert sich Daniel Vasella, «durch die Fusion wurden sie aufgerüttelt. Diese Belebung war positiv.»
Dass die Rolle des Reformators und Aufrüttlers selten mit Applaus bedacht wird, kann der Novartis-Gründungsvater Marc Moret nur zu gut bezeugen. An der Pressekonferenz vom 7. März 1996 schloss er seine Rede mit folgenden Worten: «Ich darf mich bei dieser Gelegenheit auch persönlich von Ihnen verabschieden. Ich behalte unsere Kontakte in bester Erinnerung, auch wenn sie nicht immer so ungetrübt waren, wie ich mir dies gewünscht hätte. Sie waren jedoch stets stimulierend.» Moret hat sich danach vollständig ins Privatleben zurückgezogen.
Lesen Sie in der nächsten Ausgabe:
«Zehn Jahre Novartis», Teil 2: Die Dekade von Daniel Vasella.