Domenico Dolce und Stefano Gabbana inszenieren selbst das Ende ihres Labels D&G glamourös. Im vergangenen September liessen die Mailänder «Kings of Bling» noch einmal Models in quietschbunten Kreationen über den Laufsteg stöckeln, nahmen lächelnd den Applaus des Publikums entgegen, um dann per Leuchtschrift zu verkünden, dass dies die letzte D&G-Schau gewesen sei. Nach 26 Jahren verabschiedete sich die kleine Schwester von Dolce & Gabbana – die beiden italienischen Designer, so hiess es, würden sich fortan auf ihre Hauptkollektion konzentrieren.

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Es war ein typisches D&G-Finale: Tränenlos und fast fröhlich verkündeten Domenico Dolce und Stefano Gabbana, gerade durch eine besonders glückliche Phase ihres Lebens zu gehen. D&G werde von nun an Teil von Dolce & Gabbana und dieser Kollektion noch mehr Kraft verleihen. Honi soit qui mal y pense – die Modewelt erschauderte dennoch. Sollte dies der Anfang vom Ende der Zweitlinien sein? Würden in diesen finanziell schwierigen Zeiten auch andere ihre günstigeren, jüngeren Brands einstellen und ihre Kräfte auf eine einzige Kollektion und Modeschau reduzieren?

Grenzen der Couture-Linien

Das Gegenteil ist der Fall. In den letzten zwölf Monaten sind eine ganze Reihe neuer sogenannter «Diffusion Lines» von bekannten Designern in die Boutiquen gekommen. Sie hängen dort neben den bereits etablierten Zweitlinien anderer Marken, denn eigentlich gibt es fast kein Modelabel mehr, das der Verlockung einer Nebenausbeute widerstehen konnte. Miu Miu (von Prada), See by Chloé, Armani Jeans, Max Mara Weekend, Strenesse Blue, Marc by Marc Jacobs, Red (von Valentino) ... Die Liste liesse sich fortführen. Zwar sind diese Zweitlinien weit davon entfernt, wirklich günstig zu sein, doch sie sind nicht ganz so teuer wie die Modelle aus der Hauptkollektion, zudem meist unkomplizierter zu tragen und ansprechend für ein jüngeres Publikum, das, so hofft man, später auch zum «Real Thing» greifen wird.

Ein gutes Beispiel ist Marni Denim, die junge, freizeitorientierte Zweitlinie von Marni, die im vergangenen Herbst in die Läden kam. Im Gegensatz zur exzentrischen, eher intellektuell angehauchten Marni-Mode, die nur von mutigen Frauen auch zum Einkaufen getragen wird, ist die Zweitlinie absolut alltagstauglich, ohne deshalb aber alltäglich zu wirken. Der eigenwillig-kreative Look bleibt auch bei bequemen Overalls, Blusen mit wilden Paisley-Drucken oder bei zweifarbigen Jeans und karierten Cord-Hosen erhalten. Marni Denim wirkt wie eine lässige Wochenend-Version der Hauptlinie und spricht eine entsprechend entspannte Klientel an. Sollte diese dann mal ein schickes Kleid für eine Vernissage benötigen, findet sie es praktischerweise im selben Laden.

Auch andere Designer haben entdeckt, dass sie mit ihren Couture-Linien an Grenzen stossen. «Jetzt ist der richtige Moment gekommen, um eine grössere Zielgruppe anzusprechen», sagte Jan-Hendrik Schlottman, CEO des New Yorker Kultlabels Derek Lam, als dessen Zweitlinie 10 Crosby Derek Lam, benannt nach der Adresse des Flagship Store in Manhattan, präsentiert wurde. Wie alle Designer, die günstigere Kollektionen lancieren, beeilte sich Derek Lam zu versichern, dass dies keine verwässerte Ausgabe der Hauptlinie sei: «Auch wenn 10 Crosby Derek Lam erschwinglich ist, geht es immer noch um Kleidung mit Design-Integrität.» Keines der Modelle der ersten Kollektion kostete über 700 Franken, und alle entsprachen einem urbanen, witzigen und jugendlichen Easygoing-Stil, der von natürlichen Materialien, lockeren Linien und gängigen Mustern geprägt ist.

Karl Lagerfeld by H&M

«Zweitlinien sind für uns sehr wichtig, denn damit sprechen wir trendige, jüngere Kundinnen an», sagt Gertrud Köppel, Buying Director Women’s Fashion für Bongénie Grieder. «Die Zweitlinien sind in der Regel ein wenig kommerzieller, ohne der Stilrichtung einer Marke untreu zu werden. Das ist aus Konsumentensicht absolut sinnvoll, und für den Designer eröffnet sich ein zweiter Markt. Wobei es durchaus Kundinnen gibt, die sich sowohl bei der First als auch bei der Second Line bedienen.»

Neu dazugekommen ist auch Pierre Balmain. Die Zweitlinie von Balmain nimmt die bekannten Codes des Hauses auf und setzt sie in einer «Light»-Version von zwanglos-legeren Modellen um. Der Look ist jung, elegant, aber auch leicht rebellisch mit viel verwaschenem Denim, frischer Baumwolle und Leder, und er stammt nicht von Balmain-Designer Olivier Rousteing, sondern vom italienischen Designteam Ittierre, das auch schon Roberto Cavallis Just-Cavalli-Zweitlinie gestaltete.

Der Unterschied zu Balmain liegt – einmal abgesehen von der Zugabe des Vornamens – vor allem im Preis. «Wir sehen die Linie Pierre Balmain wie eine neue einzigartige Marke, deren charakteristischer Look den Bedürfnissen und Wünschen des Marktes entspricht», sagte Balmain-CEO Alain Hivelin bei der Einführung des Labels. Offenbar ist das Bedürfnis nach Balmain-Stücken wie der mit Sicherheitsnadeln, Nieten und dem Sternenbanner-Muster der US-Flagge verzierten Jacke für rund 20 000 Franken oder löchrigen T-Shirts für 1500 Franken begrenzt. Bei Pierre Balmain gibt es nun schmal geschnittene Biker-Jacken, Röhrenjeans mit Zebramuster, schicke Blazer und verwegene, mit Nieten verzierte Bleistiftröcke zu Preisen von 200 bis 2000 Franken. Unversehrte T-Shirts kosten ab 170 Franken, Jeans ab 350 Franken und Anzüge ab 920 Franken – nicht gerade geschenkt, aber bezahlbar.

Karl Lagerfeld war immer für Überraschungen gut

Deutlich günstiger kommen Kunden von H&M weg. In regelmässigen Abständen präsentiert der schwedische Bekleidungsfilialist das Resultat seiner Kooperation mit namhaften Designern. Ab 15. November werden die in Zusammenarbeit mit dem Couture-Haus Maison Martin Margiela entstandenen Kreationen in allen 2300 H&M-Läden der Welt hängen und vermutlich innerhalb von wenigen Tagen ausverkauft sein. So war es jedenfalls bei den vergangenen, von Stella McCartney oder Donatella Versace entworfenen Kollektionen. Keiner dieser klangvollen Namen konnte allerdings den Hype übertreffen, den Karl Lagerfeld ausgelöst hatte, als er vor acht Jahren als erster Designer den Mut aufbrachte, seinen Namen für eine Street Collection für H&M herzugeben und damit allen anderen den Weg ebnete.

Karl Lagerfeld war schon immer für ungewöhnliche Aktionen gut. Im Alleingang erfand er nicht eine, sondern gleich drei Modemarken neu (Chanel, Fendi und Chloé), gründete die eigene Linie Karl Lagerfeld Paris – und sprang dann ebenfalls auf den fahrenden Zug der Zweitlinien: Die Marke Karl wurde Ende Januar im Rahmen der Pariser Semaine de la haute couture lanciert. Die rund 100 Stücke der Kollektion umfassen Tages- und Abendkleider und sind laut Natalie Massenet, deren Online-Portal Net-a-porter.com zunächst exklusiv für den Vertrieb zuständig war, ein «grossartiger Mix aus Street Style und zeitgenössischem Chic».

Da gibt es Jersey-Kleider mit Camouflage-Prints und zarte weisse Abendroben aus Organza, schwarze Leder-Boxershorts und hellrosa getönte Skinny-Jeans, fingerlose Handschuhe oder abnehmbare, mit Perlen besetzte Krägen, wie sie Kaiser Karl selber gerne trägt. Preislich ist die Linie niedriger angesiedelt als Lagerfelds Premium-Kollektion (zwischen 70 und 360 Franken), weshalb sie als «Masstige» bezeichnet wird, eine Wortschöpfung aus «Masse» und «Prestige». Karl Lagerfeld erklärte dazu, dass er das «Elitärsein der Massen» ganz bewusst unterstütze: «Ich denke, dass es fast meine Pflicht ist, dies mit meinem Namen zu machen. Das ist der Weg in die Modernität.» Zur Kollektion Karl sagte er: «Es ist mein jetziger Geschmack und Stil und eine Reflexion darüber, wie eine grosse Anzahl von Leuten meiner Vermutung nach heute gekleidet sein möchte.»

95 statt 500 Franken

So oder ähnlich muss auch der Ansatz aussehen, der hinter der erst im Mai lancierten Marke Helmut steht: fliessende, weiche Cardigans und asymmetrische, ärmellose Tops, lange schwarze Jersey-Kleider und mausgraue Leggins – lässige Basics, die den minimalistisch-modernen Geschmack der dahinterstehenden Designer widerspiegeln. Nicole und Michael Colovos sind seit 2006 Kreativdirektoren bei Helmut Lang und beglücken nun mit einer Zweitlinie all jene, die das Label schon immer geliebt haben, aber nur ungern 500 Franken für ein einfaches Baumwoll-Kleidchen auf den Tisch legen. Helmut nimmt die beliebtesten Silhouetten des Labels auf und präsentiert Maxi-Shirts und mehrlagige Röcke in waschmaschinentauglichem Baumwolljersey zu Preisen ab 95 Franken – also so, wie jeder sie haben möchte.