Was haben China, Botswana und die Schweiz gemeinsam? Diese drei Länder gelten als vergleichsweise erfolgreich in Bezug auf ihren nationalen Zusammenhalt. Das 2018 erschienene Buch «Nation Building» reiht sich in Werke berühmter Autoren wie Francis Fukuyama oder Daron Acemoglu ein, die Erfolg und Misserfolg von Ländern verstehen wollen.

Gemäss Andreas Wimmers vergleichender Analyse liegt die Schweiz vor Belgien, weil sich hier im 18. und 19. Jahrhundert eine aktive, sprachraumübergreifende Zivilgesellschaft herausbildete, welche die Entwicklung zum mehrsprachigen Bundesstaat massgeblich förderte. Botswana unterscheidet sich gegenüber Somalia dadurch, dass seine Bevölkerung effektiven Zugang zu öffentlichen Gütern etwa in Form von Rechtsstaatlichkeit, Infrastruktur, Bildung und Gesundheit geniesst. Und China gelang es im Unterschied zu Russland beziehungsweise früher der Sowjetunion, ein Riesenreich auf der Basis einer einheitlichen Kommunikationsplattform – etwa mit einer gemeinsamen Schrift – langfristig zusammenzuhalten.

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Über diese sechs Fallbeispiele hinaus zeigt Wimmer anhand umfangreicher statistischer Daten auf, dass solche Faktoren für die Identifikation der Bevölkerung mit «ihrem» Staat mindestens so bedeutsam sind wie Demokratie, Reichtum, Grösse oder Geschichte eines Landes.

Funktionierende Nationalstaaten bieten attraktive Chancen

Weshalb finde ich dieses Buch relevant? Es wirft ein Schlaglicht auf eine zentrale Ursache von Terrorismus und Massenimmigration, zwei der gravierendsten Probleme unserer Zeit. Funktionierende Nationalstaaten sind für Sicherheit, Arbeitsplätze und Wohlstand entscheidend und bieten der Bevölkerung attraktive Chancen. Fehlender nationaler Zusammenhalt begünstigt politische Instabilität und Armut und fördert so die Abwanderung.

«Nation Building – Why Some Countries Come Together While Others Fall Apart», Andreas Wimmer

«Nation Building – Why Some Countries Come Together While Others Fall Apart», Andreas Wimmer, Princeton University Press, Princeton/Oxford 2018, 376 Seiten.

Quelle: ZVG

Ernüchternd ist, dass Nation Building gemäss Wimmer eine Generationenaufgabe darstellt und nicht über eine oder zwei US-Präsidentschaften erreicht werden kann. Auch geht Identifikation mit einer Nation mit politischer Mitwirkung einher und kann deshalb nicht von aussen «fabriziert» werden. Immerhin können externe Impulse zur Stärkung staatlicher Kapazitäten und zur Förderung zivilgesellschaftlicher Organisationen beitragen.

Erfolgsmodell Schweiz nach aussen strahlen

Neben solchen zentralen Erkenntnissen ist es wohltuend, wie unverkrampft ein Schweizer Autor – wohl nicht zufällig einer, der im Ausland lebt – die Schweiz als Erfolgsmodell beschreibt, das andere Länder inspirieren kann. Diese Perspektive hebt sich positiv von unserem doch oft selbstzentrierten, defensiven innenpolitischen Dialog ab. Ich wünsche mir mehr Ausstrahlung des «Schweiz-Modells» nach aussen in dieser Art und weniger Schweiz-Untergangsstimmung nach innen.

Schliesslich zeigt die Schweiz-Diagnose Wimmers auf, wie brandgefährlich – und unpatriotisch – der auch hierzulande grassierende illiberale Populismus ist. Dessen (allzu) einfache Antworten auf komplexe Sachverhalte und mangelnder Respekt vor Institutionen und Andersdenkenden, gekoppelt mit zunehmender Dialogverweigerung in wichtigen Fragen, stellen liberale Errungenschaften seit zwei Jahrhunderten des integrierenden und toleranten Dialogs über Sprach- und andere Grenzen hinweg in Frage. In diesem Sinne ist Wimmers Buch nicht zuletzt auch ein Weckruf für die Schweiz.

*Peter Wuffli ist Gründer und Präsident der Stiftung Elea Foundation.