Sie wohnen beide an derselben Strasse im vornehmen St. Galler Rotmonten-Quartier. Nur gerade 400 Meter trennen die Eigentumswohnung von Philip Mosimann, dem neuen Präsidenten der «Freunde der FDP», vom Haus seines Vorgängers Peter Gomez. Doch trotz der räumlichen Nähe und des gemeinsamen Einstehens für liberale Werte – der Stabwechsel vom Universitätsprofessor und langjährigen Börsenpräsidenten Gomez zum Industriemann Mosimann markiert eine Zäsur: das Ende des Freisinns als exklusiver Lobby-Club für die Topwirtschaftskaste.
Wie zuvor schon die Partei ist nun auch ihr Gönnerverein volkstümlicher geworden. Manchem Spitzenmanager vielleicht etwas zu volkstümlich. Bei der Gründung der «Freunde der FDP» 2004 war noch alles dabei, was in der hiesigen Wirtschaftswelt Rang und Namen hatte. Doch diese Nähe zum Wirtschaftsestablishment war nicht immer gut für die Partei: Spätestens in der Bankenkrise wurden die Wirtschaftskapitäne mit ihren Pleiten und Millionensalären zur Belastung für den Freisinn. So wurde etwa der frühere UBS-Chef Peter Wuffli 2010 mehr oder weniger unsanft vom «Freunde»-Präsidentenstuhl gestossen.
Interimistisch übernahm Multiverwaltungsrat Andreas Schmid das Ruder, dann Gomez. Nun ist mit Mosimann erstmals ein Mann des Werkplatzes an der Reihe. Ein Manager ohne Starallüren, wie es heisst, einer «ohne Gorilla-Gen». Er tritt offenbar teilweise so bescheiden auf, dass man ihn in der Gruppe auch glatt übersehen kann. Er habe «le charisme d’une huitre», sagt deshalb ein welscher Politiker. Also die Ausstrahlung einer Auster, was so viel heisst wie gar keine Ausstrahlung. Von Leuten hingegen, die mit Mosimann zu tun gehabt haben, gibts praktisch nur Lob: Er sei zuverlässig, unkompliziert, clever, kompetent und bodenständig. So tönts im Freisinn, aber auch bei den anderen Parteien und in Wirtschaftskreisen. «Er ist von dieser Welt», schwärmt der ehemalige FDP-Präsident Philipp Müller. «Er ist die Idealbesetzung für das ‹Freunde›-Präsidium.»
Chef wird Präsident
Vierzehn Jahre war der ETH-Ingenieur Chef des börsenkotierten Familienkonglomerats Bucher Industries, das weltweit rund 12 000 Mitarbeiter zählt und in den Ranglisten der bestgeführten Unternehmen regelmässig Toppositionen ergattert. Viele Lorbeeren ernteten Mosimann und die Besitzerfamilie Hauser etwa für die freiwillige Einführung der Einheitsaktie. «Zum Wohle des Unternehmens», wie Mosimann heute noch betont. Und er fügt an: «Die Familie hat damals keinen einzigen Rappen bekommen.»
Vorbildlich. Umso erstaunter reagierten deshalb manche Beobachter, als Mosimann 2016 bei Bucher den Chefposten gegen das Verwaltungsratspräsidium eintauschte. Das kommt zwar in der Schweizer Firmenwelt noch immer ziemlich häufig vor, in den letzten Jahren etwa bei Nestlé, DKSH oder Schindler, gilt aber punkto Corporate Governance nicht gerade als mustergültig. Denn die Gefahr ist gross, dass der neue CEO unter dem mächtigen und allwissenden Verwaltungsratspräsidenten erdrückt wird.
Es sei eine Gratwanderung, räumt Mosimann offenherzig ein. «Aber es ist die beste Lösung fürs Unternehmen.» Auch er sei 2002 von aussen auf den Chefposten gekommen, von Sulzer, wo er zuletzt die Textildivision leitete. Und auch er musste sich durchsetzen gegen den früheren Chef und Miteigentümer Rudolf Hauser, der sich damals aufs Verwaltungsratspräsidium zurückzog. «Letztlich liegt es an den Personen, dass es gut kommt, und nicht an irgendwelchen starren Handlungsmaximen, die es abzuhaken gilt.» Ganz ohne Reibereien ging es freilich nicht, wie Mosimann zugibt. Zweimal habe ihn sein Nachfolger Jacques Sanche zurechtweisen und ihm erklären müssen, dass er sich hier nicht einzumischen habe. «Jetzt ist die Rollenverteilung klar.»
Das Beste aus zwei Welten
Konzernchef Sanche kümmert sich um die operativen, Mosimann um die strategischen Belange der stark diversifizierten Industriegruppe, die unter anderem Landmaschinen, Kommunalfahrzeuge, Pumpen, Motoren, Glasformungsmaschinen, Apfelsaftpressen und Vakuum-Bandtrockner für Ovomaltine und Instantsuppen herstellt.
Mosimann ist in der Regel noch einen Tag pro Woche im Büro am Bucher-Sitz am Zürcher Flughafen. Daneben hat der 64-Jährige Zeit für seine anderen Verwaltungsratsmandate – beim Verpackungsmaschinenhersteller Bobst, beim Blechbearbeitungs- und Schaumstoffspezialisten Conzzeta oder bei der Langenthaler Ammann-Gruppe, die der Familie von Bundesrat Johann Schneider-Ammann gehört. Alles exportorientierte Industrieunternehmen und alles Firmen mit starken Ankeraktionären.
Eine Konstellation, die Mosimann sehr behagt. Die börsenkotierten Familienunternehmen verknüpften «das Beste aus zwei Welten». Die Familie ermögliche eine langfristige Orientierung, die Börse zwinge zu Effizienz und Transparenz. Bei einer «werteorientierten Unternehmensführung», bei der grundsätzlich alle Interessensgruppen zufriedengestellt werden müssten, könne man vielleicht «kurzfristig die eine oder andere Gruppe bevorzugen oder benachteiligen, die Aktionäre oder die Mitarbeiter zum Beispiel», sagt Mosimann. «Aber langfristig geht das nicht.»
«Japan hat mich stark geprägt.»
Philip Mosimann
Dieser auf Balance ausgerichtete Stil mag auch von der japanischen Kultur beeinflusst sein. Seit Mosimann vor rund 40 Jahren während seines Studiums eine einjährige Asienreise mit zweimonatigem Praktikum in Japan machte, ist er immer wieder in das Land zurückgekehrt. «Japan hat mich stark geprägt», sagt er. Und wegen dieser Verbindung ist er heute auch Verwaltungsratspräsident der Uster Technologies und Verwaltungsrat bei der niederländischen Vanderlande-Gruppe, beides Töchter des Toyota-Konzerns.
Weiter bleibt Mosimann jetzt auch mehr Zeit für sein wirtschaftspolitisches Engagement. So hat er vor kurzem als Vizepräsident des Maschinenindustrieverbands Swissmem die Wirtschaftsdelegation angeführt, die Wirtschaftsminister Schneider-Ammann auf dessen Reise durch die Mercosur-Länder Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay begleitete.
Streng geheime Mitgliederliste
Und er hat Zeit für die «Freunde der FDP», deren Präsidium er vor knapp einem Jahr übernommen hat. Der Gönnerverein zählt heute rund 250 Mitglieder, die je 2000 Franken oder mehr einzahlen, was der Partei jährlich mindestens eine halbe Million Franken in die Kasse spült. Die Mitgliederliste bleibt streng geheim. Bekannt ist nur, dass nebst Mosimann auch seine beiden Vorgänger Gomez und Schmid sowie Swiss-Re-Doyen Walter Kielholz im Vorstand sind.
An die Öffentlichkeit gelangt sind auch einige prominente Abgänge: Novartis-Lenker Daniel Vasella etwa verliess 2007 beleidigt den Club, nachdem ihm der damalige FDP-Chef Fulvio Pelli mangelnde «Tugend der Bescheidenheit» vorgeworfen hatte. Und auch Swiss-Life- und Adecco-Präsident Rolf Dörig ist nicht mehr dabei. «Die SVP ist bürgernäher», sagte er jüngst in einem Interview mit der «SonntagsZeitung». Und weiter: «Die FDP ist mir zu akademischelitär, was gesellschaftspolitische Themen betrifft. Darum werfen heute viele FDPler an der Urne SVP ein.»
FDP oder SVP?
Dörigs Aussagen haben beim Freisinn für Kopfschütteln gesorgt, umso mehr, als die Partei wohl kaum je unelitärer war als jetzt. In Wirtschaftskreisen sorgten sie gar für viel böses Blut, stecken die Verbände doch mitten im Abstimmungskampf gegen all die SVP-Initiativen, welche die internationalen Handelsbeziehungen der Schweiz und die bilateralen Verträge mit der EU gefährden könnten. «In unseren Gremien ist er mit seiner Meinung isoliert», sagt ein Verbandsspitzenmann. In der Goldküsten-Bankerwelt hingegen erhält Dörig, der den Versicherungsverband präsidiert und im Economiesuisse-Vorstandsausschuss sitzt, insgeheim auch Zuspruch – was wiederum für einige Freisinnige als Beweis dafür dient, dass letztlich die SVP Politik für Reiche mache, wie sie hinter vorgehaltener Hand festhalten.
Der parteilose Dörig liebäugelt bereits seit Jahren mit der SVP, er hat auch schon an der SVP-Kadertagung in Bad Horn TG teilgenommen. Angesichts des offenen Positionsbezugs vermuteten jedoch nicht wenige, dass er nun eine politische Karriere in der Blocher-Partei anstrebe – und bei den eidgenössischen Wahlen 2019 antretenwerde. Vermutungen, die Dörig vehement dementiert. «Nein», lässt er ausrichten.
Die Aufregung rund um das Dörig-Interview zeigt auch, dass der Wettkampf von Petra Gössis FDP und Albert Röstis SVP in der Frage, wer nun die wahre Wirtschaftspartei sei, noch nicht ganz ausgestanden ist. Auch wenn der «Hype um die SVP» am Abklingen sei, wie es ein FDPler ausdrückt, und die Beziehung vieler Wirtschaftsexponenten zum Freisinn wieder enger geworden sei. Die Wege sind kurz – und mit Mosimann jetzt noch etwas kürzer. Alles ist unkompliziert. Bei Bedarf sucht Mosimann im Club der «Freunde» für alle Fragen die richtigen Ansprechpartner. «Unsere Mitglieder stehen den Politikern mit Rat und Tat zur Seite, falls die Politiker solches wünschen.» Es gebe Spezialisten für Sachfragen aus allen Wirtschaftsbereichen. Dabei gelte aber immer das Holprinzip: «Der Mandatsträger muss sich mit seinem Anliegen bei uns melden.»
Pro EU-Rahmenabkommen
Zudem gibt es die institutionalisierten Treffen – jeweils nach den Sessionen mit der Parteispitze oder die Nachtessen, bei denen zum Teil auch die freisinnigen Bundesräte teilnehmen. Und Mosimann ruft auch mal an einem Sonntag bei Gössi oder beim FDP-Generalsekretär Samuel Lanz an, wenn er sich von Aussagen von Parteiexponenten vor den Kopf gestossen fühlt. Wie jüngst bei dem öffentlich geführten Gezänk rund um das Rahmenabkommen mit der Europäischen Union. «Wir brauchen ein geregeltes Verhältnis mit der EU. Es ist unser wichtigster Handelspartner», sagt Mosimann und untermauert seine Aussagen mit allen möglichen Exportzahlen – für die Schweizer Volkswirtschaft, für die Maschinenindustrie, für Bucher Industries.
«Wir brauchen die Gewinne aus dem Export, damit wir uns im Inland das leisten können, was wir uns leisten wollen.»
Philip Mosimann
Für politische Rückzugsgefechte beim Rahmenabkommen hat er deshalb wenig Verständnis. Und Gesprächsverweigerungen findet er grundsätzlich «inakzeptabel» – sei es von Seiten der Gewerkschaften beim Rahmenabkommen oder von Seiten der Bauern bei den Verhandlungen für ein Freihandelsabkommen mit den Mercosur-Ländern. «Wir sind darauf angewiesen, dass wir das Geld im Ausland verdienen können, damit wir die abgeschotteten Bereiche im Inland finanzieren können.» Oder anders gesagt: «Wir brauchen die Gewinne aus dem Export, damit wir uns im Inland das leisten können, was wir uns leisten wollen.»
Mosimann hat eine klare ordnungspolitische Haltung: Verteidigung der liberalen Werte und einer liberalen Wirtschaftsordnung, keine Staatseinmischung, wo es nicht nötig ist, aber auch keine Staatshilfe, wenn es mal ein bisschen schwieriger ist. Und keine neuen Gesetzesvorschriften für alle, nur weil sich ein einziger Akteur schlecht benimmt.
«Wir sind Weltmeister im Aufschieben von notwendigen Reformen.»
Philip Mosimann
Übersetzt in die aktuelle politische Agenda heisst das: die bilateralen Verträge mit der EU sichern und ein Rahmenabkommen besiegeln, weitere Freihandelsabkommen aushandeln, insbesondere mit den Mercosur-Staaten, eine Vorsorgereform mit Rentenaltererhöhung anpacken, keine Kontrollen gegen Lohndifferenzen zwischen Männern und Frauen und keine Frauenquoten einführen und keine Verknüpfung sachfremder Dossiers zulassen, wie es derzeit mit der Unternehmenssteuerreform und der AHV gemacht wird. Und sicher nicht notwendige Strukturreformen mit Hilfe von Mehrwertsteuererhöhungen auf später vertagen. «Wir sind Weltmeister im Aufschieben.» Als wolle man die Probleme nicht sehen, nicht hören und nicht ansprechen. Wie bei den berühmten drei Affen im Tempel in Nikko, einer Stadt in den Bergen im Norden von Tokio, die der Japan-Kenner schon mehrmals besucht hat.
Selber politisch aktiv werden will Mosimann aber nicht. «Sicher nicht. Nie.» Während seine Frau Elisabeth Zwicky Mosimann für die FDP im St. Galler Stadtparlament sitzt und die FDP Frauen des Kantons St. Gallen präsidiert, begnügt er sich mit einer einfachen Parteimitgliedschaft. Zudem ist er in der Leitung der St. Galler FDP-Ortspartei zuständig für Wirtschaftsfragen. «Das muss reichen.»