Es geschieht, als ich mit dem Porsche 911 Turbo S langsam ein kleines Zürcher Quartiersträsschen hinauffahre und den vollen satten Ton des Motors geniesse. Zu Fuss kommt mir eine Frau mit ihrem Sohn entgegen. Das Velo mit Kindersitz, das sie neben sich herschiebt, ihre alternative Kleidung und vor allem ihr böse abweisender Blick lassen keinen Zweifel daran aufkommen, dass die Frau Autos generell nicht liebt und Sportwagen gar hasst. Dem Knirps indes ist dies egal. Er strahlt begeistert, winkt, streckt vom Kindersitz die Hände aus, ruft, dreht den Kopf, will stehen bleiben, das Auto berühren, schauen, hören, mitfahren.
Es muss an den Genen liegen. An seinen. Und an denen des 911ers. Die Mutter, sichtlich unzufrieden, zerrt den Jungen weiter. Vermutlich, so denke ich, wird sie ihm den Vortrag halten, den ich an der Schule so oft gehört habe. Sie wird ihm erklären, dass Sportwagen direkt in die Hölle fahren. Und dass nur auf Schienen der SBB der Weg ins Paradies zu finden sei.
AC/DC röhren aus dem Lautsprecher: «Hells Bells». Der Knirps kommt mir nochmals in den Sinn. Ich denke, dass die Ermahnungen der Mutter keine Spuren hinterlassen werden. Die Gene sind stärker – seine und die des 911ers.
Die Gene. Selten hat in der jüngeren Vergangenheit ein Neunelfer so schön das Urmodell evoziert. Mit den riesigen Lufteinlässen an der Seite. Mit dem breitesten Hüftschwung, den je ein Neunelfer hatte. Mit dem schönen Heckspoiler. Nur die Leuchten, die fand ich beim Grossvater schöner. Aber okay – die neuen LEDs leuchten dafür die Strasse um Welten besser aus.
Und die technischen Daten des Autos lesen sich wie ein Lockruf für Tempo-Aficionados: Sechs-Zylinder-Boxermotor, 3,8 Liter Hubraum, 560 PS. In 3,1 Sekunden beschleunigt der Wagen laut Werk von null auf 100 Kilometer pro Stunde, die Spitze liegt bei 318 km/h. Die Rundenzeit auf dem Nürburgring, eine Referenz für Schnellfahrer, wurde mit dem Auto auf unter 7 Minuten und 30 Sekunden gedrückt – und zwar mit Serienpneus. Dazu gibts einen neuen Allradantrieb, aktive Hinterachslenkung, adaptive Aerodynamik und allerlei technische Gimmicks. Doch das Lesen der Datenblätter schieben wir mal auf – los gehts!
Gelungenes Cockpit
Am Steuer sitzt Kirsten, die beste Autofahrerin, die ich kenne. Wir haben uns noch rasch einen Kaffee geholt und die Becher in die Getränkehalter gesteckt. Es sind die ersten Getränkehalter, dies sei nur am Rande vermeldet, die hübsch gestaltet sind. Überhaupt: Das Cockpit ist gelungen, man sitzt sehr bequem in diesem Auto, das in Wildleder gefasste Lenkrad fühlt sich sehr angenehm an, Knöpfe und Hebel sind dort, wo man sie sucht.
Los also. Porsche hat auf einen Startknopf verzichtet, was uns sehr gefällt. Kirsten steckt den Schlüssel ins Zündschloss, links wie immer bei Porsche, dreht ihn und startet. Dann ist kein Halten mehr. Die Beschleunigung ist atemberaubend – bei Messungen wurden sogar schon die Werksangaben unterboten: In 2,9 Sekunden von 0 auf 100 Kilometer pro Stunde schafft es der Sportler mitunter, vom Stillstand bis Tempo 200 braucht er nur 9,6 Sekunden.
Man muss das erlebt haben, und dafür setzen wir die Blinker nach Basel und schliesslich nach Freiburg im Breisgau. Es regnet, es ist grau, aber im Fahrzeug ist die Stimmung prächtig. Kurz vor Freiburg hört der Regen auf, hier beginnt auch die Strecke ohne Tempolimit, und da wollen wir es wissen. Kirsten drückt das Pedal durch: Roarrr!! – würde es im Comic heissen. Das Auto geht ab wie eine Rakete, Fahrerin und Beifahrer werden in die Sitze gepresst. Die Tachonadel schnellt empor. Sie zeigt, eh man richtig durchgeatmet hat, 150, 180, 200, 220, 240. Mehr riskieren wir angesichts der Verkehrsverhältnisse nicht.
Das Auto hängt die ganze Zeit sauber am Gas – ein Turboloch gibt es nicht. Bei Tempo 120 fahren automatisch die beiden Ecken des Spoilers aus. Das Doppelkupplungsgetriebe schaltet blitzschnell und ruckfrei, man kommt nicht in Versuchung, manuell via Paddel oder Schaltknüppel einzugreifen. Wer beim Fahren die Zeit dafür findet, kann auf dem Armaturenbrett allerlei Infos abrufen. Der Reifendruck etwa wird angezeigt und – hübsch mit Balkendiagrammen – auch die Kraftverteilung auf die vier Räder.
Segensreicher Wendekreis
Das Auto, muss man nämlich wissen, ist ein Allradler. Mehr noch: Es hat eine Allradlenkung, die Hinterräder werden in Kurven mitgesteuert. Und das geht so: Bis Tempo 50 schlagen die Heckräder in die entgegengesetzte Richtung ein, ab 80 lenken sie parallel mit den Vorderrädern. Davon spürt der Fahrer nichts, ausser vielleicht, dass man wirklich akkurat um die Kurven kommt. Und beim Parkieren ist der Wendekreis ein Segen: 10,7 Meter.
Nach Zürich zurück fahren wir via Titisee sowie Schaffhausen. Und diese Strecke macht noch viel mehr Spass als die Tempobolzerei auf der Autobahn. Kirsten jubelt. Und pilotiert den Neunelfer um die Kurven, dass es eine pure Freude ist. Blitzschnell und präzise. Auf dieser Strecke bringt das Drücken der Taste «Sport» mächtig Schub und Freude: Das Auto, das sich sonst auch ganz gemütlich fahren lässt, wird definitiv zum Boliden. Und das Überholen geht schneller, als Blechpolizisten blitzen können.
Autos verändern Menschen. Sie diktieren den Fahrstil. Oder sagen wir es so: Sie beeinflussen ihn. Ein Rolls-Royce Ghost kann zwar durchaus als Bolide gefahren werden, man wird mit ihm aber in der Regel ganz entspannt durch die Landschaft cruisen. Ein Jaguar F-Type kann wie eine Limousine gesteuert werden, man wird mit dem Auto aber immer wieder die Kurvenhatz suchen. Mit der Mercedes-E-Klasse fährt man erhaben, gelassen und souverän, die Hektik lässt man draussen. Das alles hat mit den Genen eines Autos zu tun.
Wegen seiner Gene ist das Fahren innerorts mit dem Turbo S nicht wirklich spassig. Und in Tempo-30-Zonen sogar eine Qual. Wegen seiner Gene sucht man mit dem Porsche eben das Asphaltabenteuer: Die rassige Fahrt um den Vierwaldstättersee. Den Spurt auf der Autobahn. Den Slalom in den Alpen. Kirsten sagt es so: Dieses Auto taugt nicht für romantische Stunden. Zum Abschleppen eines Lovers aber allemal.