Das Grinsen passt kaum noch in sein Gesicht, als Neel Jani die erste schnelle Driftrunde in den Schnee brennt. Lenkrad einschlagen, den rechten Fuss bis zum Anschlag aufs Gaspedal und dann in Querfahrt um die Haarnadelkurve. Der Profi-Rennfahrer lässt Kursteilnehmer für «Taxi-fahrten» neben und hinter sich einsteigen, gibt Gas und sorgt mit seinen Kreiseln für angemessen erregtes Kreischen. Hier oben, direkt neben dem Pass-Tunnel am Grossen St. Bernhard, hat die Stuttgarter Sportwagenschmiede ein Übungsgelände des Automobilclubs TCS gebucht. Denn hier lässt sich gefahrlos die Fahrdynamik ihrer Fahrzeuge erfahren.
Doch Jani kann nicht nur Achtzylinder über Schnee und Eisplatten jagen. Er bewegte Zehnzylinder in der Formel 1, hat auf 1000-PS-Monstern mit Hybridmotoren die 24 Stunden von Le Mans gewonnen und wurde in dieser Klasse 2016 Weltmeister. Ab der kommenden Saison startet der Schweizer für Porsche in der aufstrebenden Formel E. Dann surrt ein Elektroantrieb in seinem Heck.
Doch während sich die Fahreigenschaften der E-Renner von ihren Verbrenner-Kollegen gar nicht so sehr unterscheiden, ändern sich andere Umstände enorm: «Man kann sich dann nicht mehr auf das Gehör als Gradmesser für die Geschwindigkeit verlassen», sagt Neel Jani – Rennfahrer schauen ja nicht auf einen Tacho, sie beachten vor allem die Anzeigen für Drehzahl und eingelegten Gang. Im E-Racer, sagt Jani, «muss man viel mehr mit den Augen arbeiten».
Alte Welt und neue Welt
Die alte und die neue Welt der Mobilität – bei Jani, dem Schweizer Porsche-Werksfahrer, kommen sie zusammen. Sein Arbeitgeber, der noch wohltuend altmodisch unter «Dr. Ing. h.c. F. Porsche Aktiengesellschaft» firmiert, gibt jedoch beim Selbstumbau von Alt nach Neu derzeit genauso viel Gas wie Jani auf der Strecke: Noch dieses Jahr kommt der erste reine Elektro-Porsche namens Taycan, ein bisher namenloser Bruder mit grösserem Kofferraum und Heckdeckel steht bereits in den Startlöchern. Und die SUV-Baureihe Macan, die über ein Drittel der gesamten Fahrzeugproduktion der Marke bestreitet, soll in der kommenden Generation, für das Jahr 2021 erwartet, nur noch mit reinem E-Antrieb ausgeliefert werden. Ein ganz schön forscher Plan.
Denn Porsche – das sind doch die mit dem Sechszylinder-Boxer im Heck, der schon im Standgas schön dreckig röchelt und beim Beschleunigen akustisch immer weiter zulegt. Die mit den weit über 30'000 Rennsiegen, mit der Ikone 911 im Programm. Warum rennt ausgerechnet der klassische Stuttgarter Sportwagenbauer der Elektromobilität so rasant entgegen? Warum lassen sie nicht Massenmarken den Vortritt?
Auf den ersten Blick einleuchtende Begründungen liefert Porsche-CEO Oliver Blume selbst. «Mit ihrer hohen Effizienz und überragenden Performance-Werten passt die Elektromobilität bestens zu Porsche», und selbstverständlich baue man weiter Sportwagen und «keine Verzichtsfahrzeuge». Vor allen Dingen bekenne man sich zu den Pariser Klimaschutzzielen, «ohne Wenn und Aber». Wenn also Blume den CO2-Ausstoss seiner hochmotorisierten Fahrzeugflotte eigenständig senken möchte, ohne Quersubventionierung durch Kleinwagen anderer Konzernmarken, dann muss er in die E-Mobilität – so das «Narrativ» dieser Strategie.
Die Akzeptanz im Markt scheint Blume zu bestätigen. Der erste reine E-Renner aus Stuttgart namens Taycan, für den Porsche offiziell mit einer Jahresproduktion von 20'000 Exemplaren plant, gilt schon vor dem Start als voller Erfolg. Die Vorbestellungen sollen laut Insidern rund beim Doppelten liegen, die Produktionskapazitäten im Stammwerk Zuffenhausen entsprechend ausgeweitet werden.
Eine Milliarde Euro hat Porsche für die Taycan-Montage im Werk investiert, erstmals weltweit werden die Karossen nicht per Fliessband, sondern auf einzelnen führerlosen Transportplattformen «im kontinuierlichen Fluss» montiert. Wenn der noch unter seinem Projektnamen «Mission E Cross Turismo» firmierende Crossover-Ableger des Taycan startet, werden die Zahlen noch kräftig weiter zulegen.
Schub für Abnormale
Zugleich steigen nun langsam, aber sicher die Marktanteile der Elektroautos in Europa, China und weltweit. Die Konkurrenz, darunter Audi, Mercedes oder Volvo, kommt ihrerseits mit E-Autos oder ist, wie Jaguar oder Tesla, längst am Markt. Letztlich nimmt auch das europaweite Schnelllade-Netz für Stromer Gestalt an: Das Autobauer-Konsortium «Ionity» will die Hauptverkehrsachsen Europas in 18 Ländern bis zum Jahr 2020 mit 400 Ladestationen überziehen; in der Schweiz sind bereits sieben Stationen aktiv.
Auch intern gibt es keine echte Benziner-Betonfraktion mehr. Der langjährige Chef der Baureihe 911, quasi ein Unternehmer im Unternehmen, August Achleitner, und der hauseigene Gott am Steuer, Rallye-Legende Walter Röhrl, haben beide den Taycan getestet. Und weder Achleitner («der kommt punkto Fahrgefühl in unserer Palette dem Elfer am nächsten») noch Röhrl, der bekennender E-Gegner ist, haben Herzschmerzen erlitten: So einen Vorwärtsschub, sagt Röhrl, «hat ein normaler Mensch noch nie erlebt».
Ganz offensichtlich spricht also vieles für Porsches E-Trip, trotz der glorreich röchelnden Boxermotor-Geschichte. Doch das ist nicht die ganze Wahrheit.
Denn nach Ansicht des führenden Automobilforschers in Deutschland, Professor Ferdinand Dudenhöffer von der Universität Duisburg-Essen, ist der Weg zum grossen E für Porsche zwar ein Spagat, aber eigentlich alternativlos: «Wenn Porsche das nicht macht, verliert man den grössten Teil des eigenen Weltmarktes, China, Kalifornien, Europa sind dann draussen», also als Markt verloren – vielleicht nicht kurzfristig und sicher nicht komplett, aber auf mittlere Sicht besteht grosses Verlustrisiko.
Porsche-Vertriebsvorstand Detlev von Platen, ein intimer China-Kenner, bestätigt indirekt: Zwar sei «der Zug zur E-Mobilität weltweit losgefahren» und der Anteil überall, auch in China, noch klein, dort werde er allerdings «schneller wachsen als in anderen Weltregionen». China urbanisiere sich stark, und Städte gelten als künftiges Hauptrevier für E-Autos. Punkto Verkehr «wird Shanghai mehr Ähnlichkeit haben mit San Francisco oder New York als mit ländlichen Gegenden in China», sagt von Platen. Und im Reich der Mitte haben die Stuttgarter eine «sehr junge Käuferschicht, im Durchschnitt 35 Jahre alt mit einem hohen Frauenanteil», also eine attraktive Marktperspektive für die Zukunft.
So wie die Oberklasse-Limousinen der deutschen Premium-Dreifaltigkeit, sprich Audi A8, Mercedes S-Klasse und 7er BMW, immer monströser daherkommen, weil sie für den asiatischen Geschmack gestylt sind, der sich stark an öffentlicher Positionierung ausrichtet, so passt sich auch Porsche an die Wünsche des Riesenmarktes an. Denn Porsche verkauft dort jedes dritte seiner Autos.
Intern löst das tiefgreifende Änderungen aus. «Wir brauchen bei mehr als der Hälfte unserer neuen Ingenieure einen IT oder Elektronik-Background», sagt Personalvorstand Andreas Haffner, und neuerdings sind auch halbjährige Sabbaticals oder «zwei Tage mobiles Arbeiten pro Woche möglich» – Generation Y lässt grüssen.
Immerhin wendeten sich die Petrolheads im Nachwuchs bisher nicht von Porsche ab, sagt Haffner. Und Finanzchef Lutz Meschke weiss, dass hinter den neuen Mobilitätsdienstleistungen, zum Beispiel dem Auto-Abo «Passport» mit der Möglichkeit, das Modell häufig zu wechseln, «eine gewaltige Logistik-Leistung wird stehen müssen». Hier tun sich ganz neue Berufsbilder auf, während der klassische Maschinenbauer in der Autobranche an Bedeutung verliert.
Denn immerhin, sagt Porsches Schweiz-Chef Michael Glinski, gehe er davon aus, dass schon 2025 «der globale Absatz bei zirka 50 Prozent elektrifizierter Antriebe liegen wird». Und im reifen Markt Schweiz, wo Glinski ein «ausgeprägtes Umweltbewusstsein» festgestellt hat und der Taycan «bereits stark nachgefragt wird», rechnet er mit einem «vergleichbaren» E-Anteil an den Verkäufen.
Zwei Macan-Generationen
Auto-Professor Dudenhöffer jedenfalls sieht es als den richtigen Weg für Porsche, sich als «Elektromarke mit grosser Historie bei Performance Cars zu positionieren», als «Technologieführer bei E-Sportwagen». Der ikonische 911, prognostiziert er, wird «auch 2027 nochmals mit Verbrennungsmotor kommen», dannzumal werde nur noch der 911 mit Sprit angetrieben sein, quasi als fahrendes Firmenmuseum.
In der Zwischenzeit werde der Taycan in die Rolle als «Elektro-Elfer» hineinwachsen. 911-Urgestein Achleitner sagt passenderweise, er könne sich inzwischen auch einen Batterie-911 vorstellen, «das muss ja nicht morgen oder übermorgen sein».
In der Entwicklungsabteilung richtet Porsche ohnehin «nicht alles auf Batterieantriebe aus, sondern wir arbeiten auch an der Optimierung unserer Verbrenner», sagt Achleitner. Erstens seien viele Märkte noch nicht reif für Elektro. Zweitens mache Batterieantrieb «teilweise, etwa in Städten, sehr viel Sinn, teilweise keinen». Wer von Los Angeles nach Dallas in Texas fahren muss, wird mit Batterieantrieb bald die Nerven verlieren.
Und was kaum jemand weiss und Porsche geflissentlich verschweigt: Zwar kommt die nächste Macan-Generation rein elektrisch, aber die aktuelle Baureihe mit den Verbrennungsmotoren, sagt ein Porsche-Topmanager, werde parallel weiter produziert. Falls es der Kunde, das unbekannte Wesen, also doch an Batterie-Euphorie missen lässt, hat sich Elektro-Vorkämpfer Oliver Blume abgesichert.