München, Nördliches Schlossrondell 8. Diese Adresse klingt nicht nur edel, sie ist es auch. Zwar schreitet man hier nicht durch das Hauptportal von Schloss Nymphenburg, doch auch in den Nebengebäuden herrscht höfische Pracht. Die Sommerresidenz der bayrischen Herrscher, im 17. Jahrhundert erbaut, ist sowohl für ihre barocken Säle wie auch für die 250 Jahre alte Porzellan-Manufaktur Nymphenburg berühmt.

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Im blauen Salon empfängt Egbert Freiherr von Maltzahn, Geschäftsführer der Manufaktur. Während in edlem Porzellan Kaffee und Tee gereicht werden, spricht von Maltzahn mit Begeisterung über seine Konzepte. Unter ihm hat sich das kleine und feine Unternehmen zu einem innovativen Label gewandelt. «Wir reproduzieren nicht nur die alten Entwürfe, sondern arbeiten mit renommierten internationalen Gestaltern», sagt von Maltzahn. Und tatsächlich spielt die Marke mit deren Handschrift nun auch im Bereich Avantgarde eine Rolle. So sind die Arbeiten des deutschen Konzeptdesigners Konstantin Grcic von Industrieprodukten inspiriert. Seine Salz- und Pfefferstreuer zum Beispiel erinnern an die Isolierungen von Strommasten. Beim amerikanischen Formästheten Ted Muehling wiederum ist die Natur zentrales Thema. Seine Objekte sind von Muscheln, Blättern oder Ästen inspiriert. Und die Holländerin Hella Jongerius hat sich mit dem Fundus von über 700 Tierfiguren der Manufaktur auseinander gesetzt. Indem sie diese farblich leicht verfremdet und in eine schlichte weisse Schale setzt, verwandelt sie den Zierrat in Gebrauchsgegenstände.

Dass man sich auf dem Schloss von Kreativen inspirieren lässt, ist nicht neu. «Die Zusammenarbeit mit zeitgenössischen Künstlern hat Tradition», sagt von Maltzahn. «Bereits in der Rokokozeit verhalf der Bildhauer Anton Bustelli der Manufaktur zu einer Blüte.» Heute hat der innovative Input der Designer noch einen weiteren Nutzen: «Über die zeitgenössischen Designer finden immer mehr Menschen auch Zugang zu den Klassikern.»

Ein neu erwachtes Interesse an Porzellan wird nicht nur bei Nymphenburg konstatiert. Auch andere berühmte Porzellanhäuser aus dem 18. Jahrhundert wie Meissen, Wedgwood und Royal Copenhagen finden mit innovativen Strategien wieder Zugang zum gedeckten Tisch (siehe Nebenartikel «Porzellanhäuser: Tafeln wie die Könige»). Förderlich ist diesem Trend ganz allgemein eine Rückbesinnung auf alte Werte. Luxus mit Klasse und Tradition ist angesagt.

Allen Labels gemeinsam ist die Symbiose von Tradition und Moderne. Bei Meissen, der berühmtesten Manufaktur in Sachen Porzellan, werden Dekors aus dem 18. Jahrhundert wie etwa der Ming-Drachen modernisiert, und sogar die Mutter aller Dekors, das Zwiebelmuster aus dem Jahre 1739, hat Meissen umgestaltet. Zudem werden entsprechend dem heutigen Lifestyle auch Kaffeebecher, Müeslischalen oder Sushi-Geschirr produziert.

«Authentisches Heute mit Verbindung zur Vergangenheit», formuliert Hannes Walter, Geschäftsführer der Porzellan-Manufaktur. An Vergangenheit mangelt es Meissen nicht. Im Fundus des Unternehmens lagert ein Sortiment von gut 175 000 Artikeln. Entstanden sind die ersten im 18. Jahrhundert, sie wurden in den folgenden Stilepochen ergänzt. «Hier wurde alles bewahrt, unabhängig von der Nachfrage. Logistisch ist es natürlich eine Katastrophe», sagt Walter und lacht. Die Manufaktur besitzt noch fast 90 Prozent des Formenbestandes, darunter auch Originalvorlagen aus der Zeit von Anfang des 18. Jahrhunderts. «Wir haben die Verpflichtung, den nachkommenden Generationen die Qualität zu erhalten und Impulse für Neues zu geben», ergänzt er.

Auch Wedgwood stöberte für die neuste Kollektion im Museumsarchiv und setzt auf die Entwürfe aus dem 18. Jahrhundert für «Queen’s Ware»: blumenverzierte Platzkartenhalter, Saucieren in Muschelform und Butterschälchen, geformt in den vier Farben der Spielkarten. Mit dem Designer Jasper Conran hat das Haus zudem sehr erfolgreich eine junge und günstigere Linie auf den Markt gebracht. Auf ein ähnliches Konzept setzt Royal Copenhagen: Aktualisierung der alten Entwürfe und Zusammenarbeit mit zeitgenössischen Gestaltern. Gut verkauft sich das berühmte Service Flora Danica, das seit über 220 Jahren im Angebot ist.

Allen Manufakturen gemeinsam ist ein überliefertes Know-how bezüglich Herstellung und Kunsthandwerk. Ihr Porzellan schmückte über Jahrhunderte die fürstlichen und königlichen Tafeln. Heute noch wird bei allen Unternehmen entsprechend auf exklusive Handarbeit Wert gelegt. Je nach Label mit unterschiedlichem Schwerpunkt. Auf Schloss Nymphenburg etwa ist die reine Handarbeit ein wichtiger Teil der Strategie. Wer die Produktion besichtigt, fühlt sich in eine andere Zeit versetzt. Draussen zwitschern die Vögel, man hört das Rauschen eines Baches, der die Mühle antreibt, die für die Porzellanherstellung seit über 250 Jahren mahlt und mischt. Über eine Parkanlage betritt man die Werkstätten – auch diese wurden im 18. Jahrhundert erbaut.

In altehrwürdigen Räumen der Manufaktur wird mit äusserster Konzentration ohne Schablone Pinselstrich an Pinselstrich gesetzt. Freihand modelliert werden auch die aus 54 Einzelteilen bestehenden Figuren aus der Commedia dell’Arte des Rokoko-Bildhauers Anton Bustelli. Die Betonung dieser handwerklichen Tradition ist ein wichtiges Kriterium der Firmenphilosophie von Nymphenburg: «Wir machen das schönste Porzellan der Welt, indem wir es in hundertprozentiger Handarbeit herstellen», erzählt von Maltzahn.

Neben dem Kunsthandwerk ist die Porzellanmasse ausschlaggebend. Nymphenburg stellt sie noch selbst her. «Das ist ähnlich wie bei der Herstellung von Wein oder Champagner, auch Porzellanmasse muss zwei Jahre reifen», sagt von Maltzahn. «Nur dank diesem Material können wir ein sehr feines und dünnes Porzellan mit einer Wandstärke von 1,6 Millimetern herstellen.»

Das moderne Meissen setzt neben der Handarbeit und dem Kunsthandwerk auf technische Innovation. Wetterbeständige Farben für den Aussenbereich werden entwickelt. Zusammen mit der Uhrenmanufaktur Glashütte hat das Haus handbemalte Zifferblätter aus hauchdünnem Porzellan von einem Millimeter Stärke produziert, die den Standards in der Uhrenbranche gerecht werden. Auch Spezialeditionen von Montblanc-Füllfederhaltern wurden mit teurem Meissen-Porzellan verziert.

Auch in Meissen zieht einen die Vergangenheit in ihren Bann. In diesem vor über 1000 Jahren gegründeten Städtchen wurde auf der Albrechtsburg vor bald 300 Jahren das «weisse Gold» aus Europa erstmals produziert. Heute steht die Manufaktur für die Symbiose von Tradition und Moderne. Ein Teil besteht noch aus originalen Gebäuden aus dem 18. Jahrhundert – ergänzt durch die moderne und reduzierte Architektur des diesen Frühling fertig gestellten neuen Besuchertraktes.

Ganz klar hat Porzellan der Spitzenqualität seinen Preis. «Es ist für Menschen, die Sinn für Kunst und gutes Design haben und das Aussergewöhnliche schätzen», charakterisiert von Maltzahn seine Klientel. Ohne den internationalen Markt gehe heute gar nichts mehr. Darum hat Maltzahn gezielt nach London, Paris und Mailand expandiert und mit Erfolg begonnen, den amerikanischen Markt aufzubauen. Ausstellungen im letzten Jahr bei Moss, einem angesagten Interior-Design-Geschäft, oder bei Bergdorf Goodman in New York wurden viel beachtet. Und die Strategie geht auf. Nymphenburg macht in der Zwischenzeit 13 Prozent des Umsatzes mit Produkten, die vom amerikanischen Designer Ted Muehling gestaltet worden sind.

Die innovative Strategie bringt Nymphenburg Präsenz in der internationalen Presse. «Vogue» und «Elle» schreiben über die Deutschen. «Wir haben keinen grossen Werbeetat, und so müssen wir mit anderen Mitteln den Markt aufbauen», sagt von Maltzahn. Auch Meissen muss sich nach neuen Absatzmärkten umschauen. «Ein zwölfteiliges Service verkauft sich heute selten. Die McDonald’s-Generation hat nichts am Hut mit traditioneller Esskultur», sagt Geschäftsführer Hannes Walter. Langsam immerhin spüre man wieder die Sehnsucht nach ein bisschen mehr Stil. Der grösste Absatzmarkt sind auch bei Meissen nach wie vor Deutschland und Europa; der Ferne Osten, vor allem Japan und Taiwan, werden jedoch immer wichtiger. Auch Meissen erzielt an Auktionen Spitzenpreise. Neuster Rekord ist der Verkauf eines Reiherpaares aus dem Jahre 1730 für 5 612 000 Euro bei Christie’s in Paris.

Im Hinblick auf den 300. Geburtstag schaltet Meissen zurzeit eine Testimonial-Kampagne mit historischem Objekt. Das Sujet Loriot’s Favourite Meissen zeigt einen Mops mit Schellen aus dem Jahr 1741. Kurt Masurs Favourite wiederum ist eine Figur aus der Affenkapelle von 1765 (siehe Nebenartikel «Glossar: Arkanum oder Mops»). Mit dem Besucherzentrum und den Veranstaltungen sucht Meissen die Nähe zum Kunden, denn man weiss im Haus, dass exquisites und teures Porzellan erklärungsbedürftig ist.

Und Meissen ist eine Reise wert: Busladungen von Touristen informieren sich in den Schauwerkstätten oder wandeln durchs Museum, wo hinter Vitrinen die Schätze des Hauses stehen und von vergangenen Zeiten erzählen. Wer Feuer gefangen hat, geht sicher mit Geschäftsführer Walter einig, wenn er einer seiner Vorgänger zitiert: «Porzellan ist der schönste Werkstoff, den sich der Mensch je selbst geschaffen hat. Entstanden in der Zeitdes Barocks, verkörpert Porzellan pure Lebensfreude.»