Die ganze Schweiz stellte sich heute die Frage: Muss Post-Chefin Susanne Ruoff den Konzern verlassen oder darf sie bleiben. Jetzt ist klar: Sie bleibt, vorerst. Der Verwaltungsrat spricht ihr das Vertrauen aus, erklärte VR-Präsident Urs Schwaller heute in Bern. Und will nun mittels einer speziell geschaffenen Organisation die Angelegenheit bis zum Sommer klären.
«Die Post hat grossen Schaden erlitten, das ist nicht wegzureden», sagte Schwaller. «Doch Schuldzuweisungen und Vorurteile bringen nichts.» Noch könne keine abschliessende Darstellung der Sachverhalte gegeben werden, doch der Verwaltungsrat unterstütze die lückenlose Aufklärung. Schwaller sagt: «Wir werden ein neues Compliance-Programm für die Subventionen etablieren, damit so etwas nicht noch einmal geschieht.» Die Post werde die Verantwortlichkeiten offenlegen und die Strukturen im Konzern überprüfen und reformieren.
Sofortmassnahmen seien bereits beschlossen worden. Die zu Unrecht bezogenenen Subventionen würden zurückbezahlt, so Schwaller. Die Boni für Geschäftsleitungsmitglieder würden aufgeschoben. Auch Ruoff erhalte keinen Bonus für 2017.
Team von externen Experten
Für die Aufklärung des Postauto-Skandals wird die Post eine eigens dafür geschaffene Organisation einrichten, in der ein Team von externen Experten die Sachverhalte durchleuchtet. Dieses Team wird vom Anwaltsbüro Kellerhals Carrad und der Unternehmensberatung EY gestellt und dem Verwaltungsrat unterstellt sein. «Erst wenn die Ergebnisse vorliegen, werden wir in der Lage sein, Entscheide auf sämtlichen Stufen unserer Organisation zu machen. Auch zu Frau Ruoff», sagte Schwaller. Ruoff freizustellen, sei keine Option gewesen. Es gelte die Unschuldsvermutung. «Wir können nicht die Konzernleitung freistellen und dann nach zwei Monaten wieder zurückbringen.» Susanne Ruoff war an dem Medienanlass in Bern nicht zugegen.
Die Postauto-Affäre war Anfang Februar öffentlich geworden. Mit Buchhaltungstricks hat sich die Post-Tochter Postauto 78,3 Millionen Franken Subventionen mehr erschlichen, als ihr zugestanden wären – und das mindestens über einen Zeitraum von acht Jahren. Den Betrag muss das Unternehmen an Bund und Kantone zurückzahlen.
Strafanzeige gegen unbekannt
Am Mittwoch hat das Bundesamt für Verkehr (BAV) eine Strafanzeige eingereicht. Sie richtet sich gegen alle möglicherweise in Frage kommenden Organe der Post und ihrer Tochter Postauto. Mögliche Straftatbestände sind Verletzungen des Verwaltungsstrafrechts, Betrugs- und Urkundendelikte sowie ungetreue Geschäfts- respektive Amtsführung.
Während Konzernchefin Ruoff zu Beginn von einem Vorfall «in einer Ecke der Postauto AG» sprach, stellte sich nach wenigen Tagen heraus, dass sie wohl seit 2013 von der Praxis wusste.
VR-Präsident Urs Schwaller hat darauf der Postchefin das Postauto-Dossier entzogen. Der Verwaltungsrat unterstütze die eingeleitete Aufklärung bezüglich des Sachverhalts über die ganze Zeitperiode, hiess es vergangene Woche in einer Mitteilung.