Der Mann mit dem silbernen Haar und dem eng geschnittenen Anzug hat einen Sinn für Symbolik: Keine andere Lage als die Punta della Dogana wollte François Pinault als Repräsentationsstandort. Schliesslich wurde von der Landspitze aus, wo der Canal Grande und der Giudecca-Kanal zusammenfliessen, einst der internationale Seehandel Venedigs kontrolliert. Und obwohl die renommierte Peggy-Guggenheim-Stiftung alles unternahm, um selber an diesem geschichtsträchtigen Ort vis-à-vis der Piazza San Marco zum Zug zu kommen, erhielt Pinault den Zuschlag für die nächsten 30 Jahre. Einen besseren Standort für sein öffentliches Privatmuseum konnte sich der französische Milliardär, Gucci- und Puma-Besitzer nicht wünschen.

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Illustre Gäste. Im vergangenen Juni, just einen Tag vor der Eröffnung der Biennale Venedig, lud der 74-jährige Pinault zur Einweihung. Er richtete seinen Dankesgruss an den Bürgermeister Massimo Cacciari und den Architekten Tadao Ando und entschwand sogleich mit dem Mahagoni-Taxiboot ins flimmernde Licht des Canal Grande. Zurück liess er eine illustre Gästeschar: Oligarch Roman Abramowitsch, Vertreter des internationalen Kunstjetsets, Stadthonoratioren und Medien.

Die ehemalige Zollstation aus dem 17.  Jahrhundert, für 20 Millionen Euro in Sichtbeton-Chic veredelt, beherbergt nun Teile von Pinaults wuchernder Kunstsammlung, darunter eindrückliche Werkgruppen der Kunststars der neunziger Jahre wie Cindy Sherman, Maurizio Cattelan und Mike Kelley. Im zentralen Kubus herrscht ein leicht disharmonisches Nebeneinander von Provokation und künstlerischer Substanz. Hier das ausgestopfte Pferd des Tausendsassas Maurizio Cattelan, das mit dem Kopf in der Wand über dem Raum schwebt, dort die eindrückliche Parade von minimalistischen bonbonfarbenen Kunstharzkuben der Britin Rachel Whiteread. Was auf den insgesamt 2500 Quadratmetern zu sehen ist, sind die Platzhirsche des Kunstmarkts oder, wie es der Kritiker der «Süddeutschen Zeitung» zusammenfasste, ein «Greatest-Hits-Spektakel der neunziger Jahre». Der linke Bürgermeister Venedigs erhofft sich von der Sammlung einen weiteren Touristenmagneten.

Pinaults Kunsttempel ist relativ neu im Kreis der Sammlermuseen. In den letzten Jahren drängte es immer mehr Kunstliebhaber dazu, ihre Kollektionen in Eigenregie der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, statt Sammlungskonvolute an traditionelle, staatlich subventionierte Museen zu übergeben. Das Sammlermuseum hat in der Schweiz Tradition. Neben Kunsthändlern wie Angela Rosengart in Luzern und Ernst Beyeler in Riehen haben auch Unternehmer und Anwälte ihre eigenen Museen gegründet. Pionier war der Kaufmann Oskar Reinhart (1885–1965), der 1951 das Museum am Stadtgarten in Winterthur mit der wichtigsten Privatkollektion deutscher Malerei des 19.  Jahrhunderts ausserhalb Deutschlands einrichtete. Der Textilindustrielle Charles Vögele (1923–2002) gründete 1976 das Kunst- und Kulturzentrum Seedamm-Center gleich neben seinem Konzernsitz in Pfäffikon im Kanton Schwyz und bestückte es mit seiner eigenen Kunstsammlung. In Burgdorf liess der Medizinalunternehmer Willy Michel (Disetronic, Ypsomed) für seine Kollektion von Werken des fotorealistischen Künstlers Franz Gertsch ein Museum errichten, das 2002 öffnete. Im selben Jahr wurde die Sammlung Bosshard in der IG Halle in Rapperswil öffentlich, ein Konvolut von 4500 Werken mit Schweizer Gegenwartskunst, die Peter und Elisabeth Bosshard, ein Wirtschaftsanwalt und eine Biologin, seit 1970 zusammengetragen haben. Herausragende Qualität und ein niveauvolles Kunsterziehungsprogramm bietet die Daros Collection in Zürich. Die Sammlung, deren Grundstock Alexander Schmidheiny, Ex-Journalist und Manager der Skiwachsfabrik Toko, zusammen mit dem Kunsthändler Thomas Ammann in den siebziger und achtziger Jahren aufgebaut hat, wird seit dem Tod der beiden Anfang der neunziger Jahre von Alexanders Bruder Stephan Schmidheiny weitergeführt. Inzwischen ist die Kunstgalerie um die Daros Latinamerica mit zeitgenössischer Kunst aus Zentral- und Südamerika erweitert worden. Daros präsentiert seit 2001 im ehemaligen Gärkeller des Zürcher Löwenbräu-Areals Wechselausstellungen von Weltniveau und brilliert mit Topwerken des amerikanischen Expressionismus, der Pop Art, der Minimal Art und der Gegenwartskunst.

Ganz gleich, ob nun Kunstliebe, Philanthropie, Narzissmus oder eine Mischung aus allem der Antrieb ist: Die Museumsgründer fordern die staatlichen Museen mit ihrer finanziellen Potenz heraus. Auch Pinault. Für die Präsentation seiner Sammlung kaufte er 2005 der Fiat-Familie Agnelli bereits den Palazzo Grassi weiter unten am Canal Grande für 29 Millionen Euro ab und präsentierte ein Jahr später die erste, dicht gedrängte Schau. Inzwischen ist Pinault eine der mächtigsten Figuren der Kunstwelt – was nicht nur daran liegt, dass zu seinem Firmenimperium auch das Auktionshaus Christie’s gehört.

Holzhändler. Mit 16 Jahren verliess Pinault die Schule und begann 1963 mit einem Kredit von 100  000 Francs als Holzhändler. In den siebziger und achtziger Jahren kaufte er rund 60 bankrotte Unternehmen auf, brachte sie auf Vordermann und verkaufte sie zum Teil wieder mit gewaltigen Gewinnen. Heute ist seine Firmengruppe PPR einer der grössten Luxusgüterkonzerne der Welt, zu dem unter anderen Gucci, Yves Saint Laurent, Bottega Veneta, Boucheron, Puma und das Weingut Château Latour gehören. Auch am Schweizer Edeluhrenhersteller Girard-Perregaux ist PPR mit 23 Prozent beteiligt.

In den letzten Jahren hat François Pinault die operative Leitung Stück für Stück an seinen Sohn François-Henri abgegeben, bleibt aber als Ehrenpräsident der starke Mann bei PPR, die jährlich 20 Milliarden Euro umsetzt. Pinault ist der viertreichste Mann Frankreichs mit einem Vermögen von 17 Milliarden Franken. Dass er so viel Zeit und Geld in seine Kunstsammlung investiert, hat auch mit dem erbitterten Wettkampf zu tun, den er seit Jahren mit Erzkonkurrent Bernard Arnault von LVMH führt. LVMH ist die Nummer zwei der französischen Luxusindustrie mit Marken wie Louis Vuitton, Moët & Chandon, Hennessy und Hublot. Arnault, der mit 25 Milliarden Franken zwei Plätze vor Pinault in der Reichstenliste rangiert, betätigt sich ebenfalls als Kunstsammler. 2011 soll im Pariser Jardin d’Acclimatation die Fondation Louis Vuitton eröffnen, die den zeitgenössischen Teil von Arnaults Kunstsammlung betreut. Das Gebäude wird von Stararchitekt Frank Gehry entworfen und soll Arnault ein Denkmal setzen.

Kunsttempel. Auch François Pinaults neuer Kunsttempel dient der Selbstdarstellung. Inzwischen beschäftigt er für seine Sammlung ganze Teams von Scouts, die in verschiedenen Ländern nach Kunstwerken für ihn Ausschau halten. Ein deutscher Sammler erzählte, wie Pinault kurzerhand in den Jet stieg und zu ihm nach Hamburg flog, weil er sich für ein begehrtes Kunstwerk von Cy Twombly interessierte, das zum Verkauf stand.

Er bestehe nur aus Instinkt, ihm fehle es an Ausbildung, sagte der Bretone Pinault von sich in einem der raren Interviews. «Der einzige Antrieb für meine Sammlung ist die Leidenschaft.» Genau wie im Geschäft weiss Pinault auch in seinem Kunstengagement die richtigen Leute um sich zu scharen, die sein Ansehen in die Welt tragen und ihn mit den Entscheidungsträgern vernetzen. Der frühere Direktor der Sammlung, Jean-Jacques Aillagon, war Kulturminister Frankreichs, dann Direktor des Centre Pompidou und heute Direktor des Schlosses Versailles. Pinaults heutige Kuratoren Francesco Bonami und Alison M. Gingeras arbeiten für namhafte Institute wie das Museum of Modern Art in Chicago, das Centre Pompidou und das Guggenheim Museum oder richteten die Biennale Venedig aus. Engster Berater Pinaults ist Philippe Ségalot, früher Christie’s-Direktor für zeitgenössische Kunst.

Pinault ist sich seines Einflusses bewusst und sagt unbescheiden: «Sobald mich jemand dabei beobachtet, wie ich ein Kunstwerk genauer betrachte, steigt der Marktwert des Künstlers.»

Am Beginn der Sammeltätigkeit stand der Erwerb einer ländlichen Szene eines bretonischen Malers. Mit wachsendem Firmenerfolg wechselte Pinault zur klassischen Moderne, kaufte Werke von Picasso, Braque, Léger. In den neunziger Jahren fügte er wichtige Vertreter der Nachkriegskunst hinzu: Robert Rauschenberg, Andy Warhol und Richard Serra. Es folgten jüngere Zeitgenossen: Damien Hirst, Takashi Murakami, Jeff Koons. Die Lust auf Neues führt Pinault in die Künstlerateliers zwischen New York und London, allerdings – und darin ist er ganz Geschäftsmann – zieht es ihn mehr zu den vom Markt bereits abgesegneten Künstlern. Oft treibt Kunstsammler vom Kaliber eines Pinault nicht nur die selbstlose Liebe zu den Künsten oder der Wunsch nach Horizonterweiterung an, sondern auch die Vorstellung, mit dem Besitz von Kunstwerken ein Stück weit der eigenen Vergänglichkeit entgegenzuwirken und Unsterblichkeit zu erlangen. «Die Werke überleben uns», liess Pinault verlauten. «Sie sind stärker als die Zeit und die Geschichte, aus denen sie hervorgegangen sind. Genau deshalb muss man sie leidenschaftlich lieben.»

So hat Pinault eine Sammlung öffentlich gemacht, welche die Crème der Kunstmessen der letzten Jahre abbildet, allerdings ohne ein harmonisches Gesamtbild zu erzeugen. Pinaults Tempel wirkt wie das Monument eines Unersättlichen. Das passt vielleicht nicht zu seinem eigenen Anspruch: «Kunst zu lieben, heisst Askese.» Aber es passt hervorragend zum Gründer eines der weltgrössten Luxusgüterkonglomerate.