Wenn Sie bei Rasieren an Epilieren denken, brauchen Sie gar nicht weiterzulesen. Hier geht es um eine Männerdomäne, die niemals fallen wird. Es geht um Rasierpinsel, Rasiermesser und Rasierseife. Es geht um kleine Unternehmen, die seit Jahrzehnten mit ihren Produkten einen festen Platz auf dem Rand des Lavabos haben. Und es geht um die zehn Minuten Ruhe im Leben, die der Mann ganz für sich alleine hat.
Drei Dinge braucht der Mann, um sich am Morgen der Stoppeln zu entledigen: Pinsel, Seife, Messer. Die Option, das elektrisch zu erledigen, bekommt im Grand Prix de Masculinité natürlich keine Punkte.
Wie immer, wenn Männer ihrer Leidenschaft für wunderbar nebensächliche Dinge frönen, wollen sie das Beste. Etwa bei Rasierpinseln. Dass man zu einem mit Schweineborsten greift, geht natürlich gar nicht. Schweineborsten! Da klingt der Goldstandard «Silberspitze», Dachshaar höchster Qualität, viel besser. Silberspitzen sind die langen Haare auf dem Rücken des Dachses, die gerade wachsen und eine feine Spitze haben. Sie werden in Handarbeit aus den Fellen gekämmt und sind hochwertiger Rohstoff für Rasierpinselmacher. «Etwas Besseres gibt es nicht», sagt Harald Schuldes, Geschäftsführer der Pinselfabrik Heinrich L. Thäter. Die Drei-Mann-Firma in Nürnberg stellt die Pinsel her, die viele Rasier-Aficionados für unschlagbar halten – handgemacht und komplett in Deutschland produziert. Das sind Argumente, bei denen Preise von 150 Franken an aufwärts für einen Rasierpinsel angemessen erscheinen.
Klasse statt Masse. «Dachshaare sind schön regelmässig, fallen bei Nässe nicht in sich zusammen und machen den besten Schaum», sagt Schuldes. Je dichter die Haare im Pinsel gesteckt sind, desto grösser ist die Ausbeute. Wenn man die Borsten eines Rasierpinsels zwischen Daumen und Zeigefinger klemmt, bekommt man schnell einen Eindruck von der Qualität. Je mehr, desto besser. Einige tausend bis zehntausend Dachshaare stecken in einem Thäter-Pinsel.
Noch vor zwei Jahrzehnten stellte das im Jahr 1913 gegründete Unternehmen mit 20 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Rasierpinsel auch für den Massenmarkt her, geriet aber durch stärkere Konkurrenz unter Druck. «Statt auf Masse zu setzen, haben wir uns für Qualität entschieden», sagt Schuldes, der natürlich gut rasiert in seinem Büro sitzt. Schwarzweissfotos seiner Vorgänger hängen an der Wand.
Wenig spektakulär wird produziert, aber grundsolide gewirtschaftet, damit man auch Dellen in der Umsatzkurve übersteht. «Andere müssen für jeden Bleistift zur Bank, ich bleibe lieber unabhängig», sagt Harald Schuldes. Handarbeit, kleine Stückzahlen und Nulltoleranz bei Mängeln in der Qualität sind die Geschäftsprämissen.
Ein Pinselmacher stösst die Dachshaare mit der Spitze voran in eine Formdose. So entsteht die abgerundete Form des Pinselkopfes. Rundschneiden mit einer Schere geht nicht, denn dann würden die feinen Spitzen abgeschnitten, die den Schaum erst zum Schaum machen. Der Pinselmacher kontrolliert, ob der Kopf perfekt, ob die Farbverteilung von Schwarz und Weiss schön ist und auch keine Silberspitze zu weit herausschaut. Wenn alles stimmt, werden die Haare mit einem Fadenbund und Kunstharz fixiert.
An zwei Tagen der Woche steckt Harald Schuldes’ Mitarbeiterin die Pinselköpfe in die handgedrechselten Griffe und verklebt sie. An anderen Tagen bedruckt sie die Griffe mit dem Thäter-Logo in Bauhaus-Typografie und verpackt die fertigen Pinsel einzeln. Schuldes bringt diese zur Post oder kümmert sich um die Kunden, meist Parfümerie-Einzelhändler.
Ortswechsel: In den letzten 20 Jahren ist auch Mühle ein Begriff für gute Rasierpinsel und Rasier-Accessoires geworden. Im sächsischen Stützengrün, eine halbe Autostunde von Dresden entfernt, produzieren heute gut 40 Mitarbeiter qualitativ hochwertige Pinsel. Nach der deutschen Wiedervereinigung kaufte Hans-Jürgen Müller das verstaatlichte Unternehmen der Familie zurück. Er und seine beiden Söhne haben es mit Fleiss, Geschick und gutem Marketing zu einer Grösse im europäischen Rasiermarkt gemacht. Mittlerweile stellt Mühle nicht nur Rasierpinsel her, sondern produziert auch Rasiersets mit Rasierern und Tiegeln und hat eigene Rasiercrèmes und Aftershaves lanciert. Mit zwei Mitarbeitern begann der Senior – heute führen seine zwei Söhne das Geschäft.
Made in Great Britain. «Für unsere Rasierkurse haben wir eine Warteliste», sagt Andreas Elmer, der in Bern Nassrasieren.ch führt und im Laden sowie online feine Rasierprodukte verkauft. Ein paar Mal im Jahr organisiert er samstagmorgens einen Kurs für maximal sechs Leute. Immer wieder melden sich Frauen an. «Was die da wollen, weiss ich auch nicht», sagt Elmer und streicht sie von der Liste. «Rasieren ist schliesslich eine Männerangelegenheit.» Seine eigentliche Profession sind Brillen.
Im hinteren Bereich seines Geschäftes Büchi Optik an der Kramgasse hat Elmer einen Raum im Stil eines englischen Rasiersalons eingerichtet. Ein Chesterfield-Sessel, rote Wände, schöne Vitrinen. «Mit den Rasiersachen habe ich begonnen, weil ich die guten Produkte zum Rasieren aus England hier nicht gefunden habe», sagt er. Obwohl es natürlich hervorragende Rasiercrèmes oder -seifen in allen Ländern Europas gibt, sind die englischen bei den Heerscharen anglophiler Kontinentaleuropäer natürlich hoch geschätzt.
Tief im 19. Jahrhundert liegen die Wurzeln des englischen Rasierkults. Damals liess sich die prosperierende Mittelschicht auswärts rasieren, während sich die Männer der alten Adelsfamilien vom Kammerdiener das Messer an die Kehle setzen liessen.
Geo. F. Trumper, eine der englischen Traditionsmarken für Rasierseifen und Aftershaves, ist auch heute noch ein Coiffeurgeschäft, das in den Londoner Nobelquartieren Mayfair und St. James Salons unterhält. D.R. Harris, gegründet 1790, ist ebenfalls ein bekannter Gentleman-Rasierseifenhersteller und ursprünglich eine Apotheke – der Laden an Piccadilly sieht heute noch so aus.
«Die meisten Rasierseifen enthalten Borsäure», sagt Andreas Elmer. Sie sorgt dafür, dass sich die Fettschicht der Bartstoppeln auflöst, das Wasser an die Haare herankommt, diese leicht aufquellen, weicher werden und sauber zu schneiden sind. Rasierseifen und -crèmes gibt es mit unterschiedlicher Note. Klassisch dezent ist Sandelholz, das in der Schweiz sehr beliebt ist. In England ist Rosenduft der grosse Renner. Die italienische Rasiercrème Proraso enthält Eukalyptus und erfrischt. Omega, ebenfalls aus Italien, hat Menthol und belebt. Geo. F. Trumper hat eine Crème mit Kokosnussgeruch auf den Markt gebracht, D.R. Harris eine mit Mandeln. «Ist doch toll», sagt Elmer. «Für jede Stimmung gibt es eine Seife oder ein Rasierwasser.» Das braucht man, um die Haut zu desinfizieren, weil sich sonst die kleinen Verletzungen entzünden, die die Klinge beim Rasieren hinterlässt. «Viele Unternehmen bieten ihr Rasierwasser als Eau de Toilette oder Eau de Cologne an», sagt Elmer. Entsprechend riesig ist die Auswahl, um sich in Ferienstimmung zu versetzen, zum Beispiel mit Floïd aus Spanien, Lavanda von Ach Brito aus Portugal oder Layrite No. 9 mit Bay Rum aus der Karibik.
Boom dank Bond. Neben Pinsel und Seife ist das richtige Schneidewerkzeug das dritte Ding, das zur guten Rasur gehört. In Elmers Vitrinen liegen klassische Rasierhobel, in die man eine einfache Klinge einlegt, und moderne Rasierapparate für Wechselköpfe mit zwei oder drei Messern. Moderne Nassrasierer wurden in den USA zu Beginn des Ersten Weltkriegs im Auftrag des Verteidigungsministeriums entwickelt: Damit Gasmasken dicht sassen, musste das Gesicht glatt sein.
Rasiermesser, deren Schärfe Respekt einflösst, sind auch heute gefragt. Im James-Bond-Film «Skyfall» wird Daniel Craig von Bérénice Marlohe (als Bond-Girl Sévérine) mit einem Rasiermesser rasiert, während sie auf seinem Schoss sitzt. Nach der Premiere stieg die Nachfrage nach dem vermeintlich erotischen Schneidewerkzeug. Für den sicheren Umgang mit dem Rasiermesser braucht es allerdings Übung und, gerade in einer lasziven Situation, eine ruhige Hand. Wahrscheinlich hat das Bond-getriebene Rasiermesserfieber zu einigen blutigen Szenen in Berner Schlafzimmern geführt. Wir haben es ja gesagt: Rasieren ist einfach nichts für Frauen.