Totgesagte leben länger, lautet das Sprichwort, das auch als reisserischer Titel eines Spaghettiwesterns durchgehen würde. Doch es umschreibt auch kurz und prägnant die Geschichte und das Schicksal der einheimischen weissen Rebsorte Completer, die bereits im Mittelalter in Malans angebaut wurde. Mitte des 20. Jahrhunderts galt sie als praktisch ausgestorben, erlebt aber in den letzten Jahren eine zaghafte Renaissance. Zurzeit beträgt die gesamte Anbaufläche in ihrer Heimat Graubünden zwischen Chur und Fläsch lediglich 2,4 Hektaren. Daraus resultiert eine kleine Jahresproduktion von 15000 bis 18000 Flaschen.
Die erstmals 1321 in einer Urkunde des Domkapitels Chur erwähnte Sorte verdankt ihren Namen angeblich dem Umstand, dass die Chorherren des Churer Stifts den aus ihr gekelterten Wein nach dem Nachtgebet, dem Complet, als Schlummertrunk zu geniessen pflegten. Neuere Forschungen haben gezeigt, dass der Completer einst nicht nur in der Bündner Herrschaft, sondern auch in der Ostschweiz bis zum Bodensee, im Tessin und im Wallis verbreitet war. Der Rebforscher José Vouillamoz konnte aufgrund von pflanzengenetischen Untersuchungen nachweisen, dass diese anspruchsvolle Sorte auch heute noch im Wallis vereinzelt zu finden ist, aber oft mit der Oberwalliser Sorte Lafnetscha verwechselt wird. Auch wenn die beiden Sorten nicht identisch sind, so sind sie laut Vouillamoz’ neusten Erkenntnissen doch miteinander verwandt: Der Lafnetscha ist ein direkter Nachkomme von Completer und Humagne Blanc. Womit zweifelsfrei feststeht, dass der Weisse Malanser, wie der Completer ebenfalls genannt wird, einst auch im Wallis verbreitet war.
Der Completer macht es den Winzern nicht leicht. Da sind sich alle einig, die diese alte und einzigartige Varietät noch respektive wieder kultivieren und vinifizieren. Sie reift nur in besten Lagen und in guten Jahren voll aus, ist anfällig auf Fäulnis und unregelmässig im Ertrag, da sie während der Blüte zur Verrieselung neigt. Diese Eigenschaften waren dann auch ausschlaggebend dafür, dass viele Winzer die Geduld mit dem Completer verloren und die Stöcke kurzerhand ausrissen, um sich pflegeleichteren Sorten zuzuwenden. Dazu kommt, dass der Completer das pure Gegenteil eines unkomplizierten Mainstream-Weins ist: Kräftig von Statur, kantig-herb und säurereich in der Aromatik braucht er in der Regel einige Jahre Kellerruhe, bis er seinen faszinierenden Finessenreichtum zum Ausdruck zu bringen vermag.
An zwei Händen kann man die Winzer abzählen, die im Churer Rheintal und in der Bündner Herrschaft Completer erzeugen. Ausserhalb des Bündnerlandes keltern ihn nur gerade Hermann Schwarzenbach in Obermeilen und Werner Stucky im Tessin, der ihn für seinen Weisswein «Temenos» zu gleichen Teilen mit Sauvignon Blanc assembliert. So anspruchsvoll und schwierig seine Kultivierung ist, so unterschiedlich in der Stilistik sind auch die Weine der verschiedenen Produzenten. Gleichwohl sind zwei Hauptlinien erkennbar. Während die einen (so etwa Martin Donatsch in Malans) die ausgeprägte Säure mit Restsüsse abzupuffern versuchen, vertreten andere dezidiert die Meinung, Completer habe trocken zu sein, sonst verliere er viel von seiner sortentypischen Mineralität und komplexen Aromatik.
Zur Gruppe, die der trockenen Completer-Variante den Vorzug geben, gehören Giani Boner von der Completer-Kellerei in Malans, das Winzerurgestein Gian-Battista von Tscharner vom Schloss Reichenau sowie das Fläscher Winzerpaar Rosi und Peter Hermann. Ihre mitunter jahrelang im Eichenfass ausgebauten Completer gehören zu den Vorzeigeweinen dieser Sorte. Sie präsentieren sich mit Aromen von Nüssen und Quitten, einer mehr oder weniger präsenten Sherrynote sowie einer markanten, aber gut eingebundenen Säure. Man sollte diesen einzigartigen Weinen unbedingt einige Jahre Flaschenreife gönnen, bevor man sie bei Tisch etwa zu Speisen mit geräuchertem Fisch oder Fleisch, Pilzgerichten und reifem Alpkäse entkorkt. Denn beim Completer gilt: Geduld kann unvergesslichen Genuss bringen.