Seit der Mitte des letzten Jahrzehnts hat die chinesische Kunst der Gegenwart einen beispiellosen Boom erlebt. Keine der grossen Kunstmessen von Basel bis Miami kommt an der Chinese Contemporary Art vorbei, die im internationalen Kunstbetrieb mittlerweile fest verankert ist. Auch in China schiessen Kunstmessen wie Pilze aus dem Boden. Die Art Hong Kong ist nach der Tefaf Maastricht und der Art Basel zur drittgrössten Kunstmesse der Welt avanciert.

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Als das Auktionshaus Sotheby’s 2004 seine erste Auktion mit chinesischer Kunst durchführte, setzte es 2,9 Millionen Dollar um, 2007 waren es bereits 134 Millionen. Im selben Jahr befanden sich allein 36 Chinesen auf der Liste mit den 100 teuersten Künstlern. Diese Entwicklung hat dazu geführt, dass China im internationalen Kunstmarkt 2010 London überrundete und inzwischen den zweiten Platz hinter New York einnimmt. Dies ergab die diesjährige Studie von The European Fine Art Foundation, welche jeweils anlässlich der Tefaf Maastricht präsentiert wird. Waren es vor einigen Jahren noch Bieter aus Taiwan, Singapur, Indonesien, Korea und Amerika, welche die Preise in Hongkong und Peking bewegten, sind es heute vor allem chinesische Sammler vom Festland, die den Ton angeben.

Nicht immer ist es allerdings die jüngere chinesische Kunst, welche die höchsten Preise erzielt, sondern klassische Malerei, die entweder dem westlichen Stil oder der klassischen chinesischen Bildtradition verpflichtet ist. Seit 2009 lassen sich kontinuierliche Steigerungen im klassischen Segment ausmachen. Im Mai dieses Jahres brachte ein Werk des Malers Qi Baishi (1864–1957) im Auktionshaus China Guardian in Peking umgerechnet 47 Millionen Euro ein und setzte damit die höchste Preismarke, die je für ein Werk moderner chinesischer Tuschmalerei erzielt wurde. Gemäss Artnet erzielten Qi Baishis Werke seit 2009 den weltweit dritthöchsten Jahresumsatz nach Werken von Pablo Picasso und Andy Warhol.

Mit ihren Auktionserfolgen für Werke etwa von Zhang Xiaogang, Yue Minjun oder Zeng Fanzhi wird die chinesische Gegenwartskunst ein Lieblingskind des internationalen Marktes bleiben – trotz aus westlicher Perspektive häufig beunruhigender Sujets und eines heiklen Balanceakts zwischen Kitsch, Kunst und Plagiat. Einiges spricht dafür, dass die chinesische Gegenwartskunst viel Steigerungspotenzial für die nächsten Jahre, wenn nicht Jahrzehnte bietet. Fachleute attestieren ihr langfristig eine ebenso wichtige Rolle wie der europäischen oder amerikanischen Kunst.

Massgeblich zur Entwicklung junger chinesischer Kunst haben westliche Sammler beigetragen, von denen die ersten ihre Werke in den 1990er-Jahren direkt in China einkauften. Das belgische Sammlerpaar Guy und Myriam Ullens etwa löste seine Sammlung mit Aquarellen von William Turner auf und gründete in Peking ein Zentrum für chinesische Kunst. Daneben sind mittlerweile auch französische Grosssammler wie der Christie’s-Eigentümer François Pinault auf den Plan getreten. Eine Schlüsselrolle spielen auch Schweizer Sammler wie etwa Urs Meile mit seinen Galerien in Luzern und Peking oder Lorenz Helbling, der Begründer der Galerie ShangArt in Shanghai, sowie der Schweizer Industrielle und Diplomat Uli Sigg. Letzterer hat schon früh eine wegweisende Kollektion moderner chinesischer Kunst zusammengetragen. Davon sind derzeit 70 bedeutende Werke von 36 zeitgenössischen chinesischen Künstlern/Künstlerinnen in der Sommerausstellung mit chinesischer Landschaftsmalerei «Shansui – Poesie ohne Worte?» im Kunstmuseum Luzern zu sehen. Als Ko-Kurator wirkt der Konzeptkünstler, Architekt und Aktivist Ai Weiwei, eine Schlüsselfigur und Mentor der chinesischen Kunstszene. Die gezeigten Werke zeugen von einer überraschend differenzierten Auseinandersetzung vor allem der jüngsten Generation chinesischer Kunstschaffender mit ihrem kulturellen Erbe.

«Shansui – Poesie ohne Worte?» – Werke aus der Sammlung Sigg. Die Ausstellung ist im Kunstmuseum Luzern bis 2. Oktober 2011 zu sehen.