Die Augen tränen, die Haare knistern, die Hitze krallt sich in die Haut. Auf dem orangerot glühenden See schwimmen handtellergrosse Wassertropfen wie Eigelb auf einem Spiegelei. Sie haben keine Chance zu verdampfen, denn die höllische Hitze ist überall. «Wasser giessen wir in den Ofen, damit man die Oberfläche der Flüssigkeit überhaupt erkennt», sagt Rudolf Moser und schiebt mich noch näher an den Schlund des Vulkans heran. «So nahe gehen die Glasbläser beim Schöpfen», sagt er. Im Fegefeuer kann es nicht heisser sein.

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Es gleisst und brennt und knallt und lärmt wie in einem Stahlwerk hier in der Glashütte, in der sich die Glut der Schmelzöfen leuchtend orange vom Rostbraun und Stahlgrau der Halle abhebt. Die Arbeiter tragen weisse Hemden statt Asbest-Schutzanzügen. Vierhundert Mal am Tag beugt sich ein Schöpfer zum Ofen, um – je nach Form – etwa 60 Gramm Glasschmelze zu schöpfen. Vierhundert Mal schlagen ihm dabei 1200 Grad Hitze entgegen. Hier bei der Glasmanufaktur Riedel im österreichischen Kufstein bekommen die Arbeiter Schweissausbrüche für den guten Geschmack.

Die Männer vollbringen Herkulisches, wenn man Glasbläsermeister Moser zuhört: «400 Kilo Glas habe ich früher täglich geblasen, dabei fünfzehn bis zwanzig Liter Wasser getrunken», sagt er. Moser lächelt wie George Clooney. Mit seinem rosig glatten Gesicht nimmt man ihm die 65 Jahre kaum ab. «Damals wog ich auch noch 153 Kilo», schiebt er nach. Der Harley-Davidson-Fan sitzt an seinem Schreibtisch mit Blick auf die neun Schmelzöfen in der Halle. Eine schwarze Plastikschlange windet sich um die Schreibtischlampe. Der 34-jährige Maximilian Riedel, Sohn des Firmenchefs und verantwortlich für die Marke in den USA, hat sie als Inspiration für die Karaffenserie Mamba nach Kufstein geschickt.

Moser betreut die rund 70 Glasbläser, die für die Manufaktur Riedel feine Weingläser und Karaffen von Hand herstellen und mit dem Mund blasen. Denn Glasblasen ist das gekonnte Zusammenspiel aus dem Pusten in ein mannshohes Stahlrohr und dem stetigen, ruhigen Drehen dieser sogenannten Pfeife.

Geschmacksintensivierer. Mundgeblasene Gläser – das ist die Krönung des Geschmacks für Weingourmets. Und Riedel ist einer der berühmtesten Hersteller. Auf das Familienunternehmen, das 1756 in Böhmen gegründet wurde, geht ausserdem das Prinzip der rebsortenspezifischen Glasformen zurück. Der Vater des heutigen Firmenchefs Georg Riedel hatte Ende der fünfziger Jahre die Idee, für die einzelnen Weinarten eigene Glasformen zu entwickeln, um ihre individuellen Geschmacksnoten zu verstärken.

In Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern, Sommeliers und Winzern ist diese Idee in über einem halben Jahrhundert zum Grundstein der riedelschen Glasherstellung herangewachsen: Die exklusive Serie Sommelier enthält mittlerweile 38 verschiedene Formen – inklusive Gläsern für andere Spirituosen. Heute bestellen Winzer wie Bollinger, Dom Pérignon und Krug bei Riedel speziell ihren Getränken angepasste Gläser. «Wir machen Massanzüge für jeden», sagt Maximilian Riedel.

Mit diesen Massanzügen verdient seine Familie viel Geld: Alleine 2009 setzte Riedel Glass Works 220 Millionen Euro mit Glaswaren um. In ihren sechs Werken in Europa produziert die Firma knapp 130 000 Gläser, Karaffen und Vasen pro Tag. Handgefertigte Gläser aber sind und bleiben exklusive Ausnahmen: In Kufstein entstehen weniger als 3000 Stück pro Tag.

Wenn man den Glasbläsern in der Manufaktur zuschaut, bekommt man Ehrfurcht vor der Handwerkstradition, bei der die Männer die wie Sirup fliessenden, orange glühenden Glastropfen aus dem Feuer holen. Hier wird schnöder Quarzsand in glitzernde Kunstwerke verwandelt. Und: Bei unabhängigen Tests stellt sich immer wieder heraus, dass Wein aus mundgeblasenen Gläsern besser schmeckt als aus maschinell hergestellten. Wenn man bei Riedel in den Ofen und auf die Pfeifen schaut, ahnt man, woran das liegt. Schliesslich könne man von Hand ja viel dünnwandigere Gläser herstellen als mit einer Maschine, erklärt Meister Moser.

Um aus dem 1200 Grad heissen Brei aus Glasbruch, Quarzsand, Bleioxid, Soda und Kalium Kelche für den Weingenuss zu zaubern, sind fünf Personen notwendig: Der Glasbläser und sein Assistent, der Kölbelmacher, sind dabei für den Kelch verantwortlich, der Glasmachermeister, der Umdreher und der Kaier für Stiel und Boden.

Diffizile Hand- und Mundarbeit. Wie choreografiert greifen die einzelnen Arbeitsschritte ineinander, wenn der Kölbelmacher einen Tropfen Glas aus dem Schmelzofen zieht, auf die Pfeife setzt und zu einer kleinen Blase formt. Diese Pfeife reicht er an den Glasbläser weiter, der sich mehr flüssiges Glas aus dem Schmelzofen fischt. «Und zwar aufs Gramm genau», wie Moser erklärt. «Das ist Kunst und braucht jahrelange Erfahrung.» Dabei dreht der Glasbläser die Pfeife wie eine Gabel über dem Käsefondue, damit nichts herabtropft.

Mit einer hölzernen Suppenkelle, dem sogenannten Wulgerholz, formt er das Glas vor. Dann stellt er sich mit seiner Pfeife an einen Vorsprung über eine feuchte, zweiteilige Schale aus Birkenholz. Sie gibt die endgültige Form des Glaskörpers vor. Der Glasbläser hebt den Glastropfen vorsichtig hinein, bläst und dreht die Pfeife. «Das in der Holzform verdampfende Wasser schützt das Glas wie ein Dampfkissen», erklärt Moser. Der fertige Kelch, der wie ein unförmiger Ballon oben immer noch an der Pfeife klebt, ist mittlerweile auf unter 700 Grad abgekühlt. Ihn übergibt der Glasbläser an den Umdreher.

Der schwenkt die Pfeife gekonnt und reicht sie an den Glasmacher weiter – den Einzigen in der Runde, der sitzt. Er passt Stiel und Boden an. Dafür erhält er von seinem Assistenten, dem Kaier, einen weiteren Tropfen des glühenden Glases, den er auf der Unterseite des Kelchs platziert und mit einer Metallschere abschneidet. Hieraus formt er mit einer Holzschablone den Stiel durch Drehen der Pfeife über den Oberschenkel. Der Kaier setzt ein weiteres Tröpfchen Glas an, aus dem der Fuss entsteht.

«Das fertige Glas wird von der Pfeife geschlagen und auf ein Fliessband gelegt», erklärt Moser. Dann fährt es innerhalb von eineinhalb Stunden durch einen Abkühltunnel, bevor mit einem Laser der Deckel vom Kelch getrennt und der Schnitt mit einer Gasflamme geglättet wird. «Wir wollen keinen wulstigen Rand wie bei einem Weissbierglas», grinst Moser. «Das ist wie in einem Fluss: Über einen scharfkantigen Stein sprudelt das Wasser und bekommt mehr Luft – so soll das auch beim Wein sein.»

Dieses Herstellungsverfahren ähnelt sich in jeder Glashütte. Was sich aber unterscheidet, sind die Glasformen. Galt Riedels Formentheorie lange als das Nonplusultra, halten manche Weinkritiker das ehemals visionäre Konzept heute für reines Marketing. Und einige wissenschaftliche Studien widerlegen die Theorie gar, nach der verschiedene Glasformen auch unterschiedliche Geschmackserlebnisse ergeben.

Riedel hält am Konzept fest – auch das sei schliesslich wissenschaftlich belegt – und baut das Weinglassystem weiter aus. Ist man in Kufstein überzeugt, dass die Nase je nach Rebsorte anders über der Flüssigkeit positioniert werden muss und die Flüssigkeit je nach Geschmackserlebnis auf unterschiedlichen Teilen der Zunge auftreffen soll, so haben andere Glashersteller sich mittlerweile ihre eigene Trinkphilosophie erarbeitet.

Erika Lagerbielke (51), Professorin für Glasgestaltung an der Linnaeus University in Stockholm, entwirft seit 29 Jahren Gläser für die schwedische Glashütte Orrefors. «Für uns steht nicht die Idee des perfekten Weinglases im Vordergrund, sondern die eines gut gedeckten Tischs. Und Weingläser betrachten wir vom Standpunkt des Benutzers aus, nicht aus der Sicht des Winzers, wie das bei Riedel geschieht», erklärt sie. «Ich finde eine Glas-Serie schwierig, bei der man tatsächlich das falsche Glas für einen Wein wählen kann», sagt sie.

Geschmackssache. Auf der Suche nach einem für sie schlüssigen Konzept habe sie natürlich sehr viel Wein getrunken, lacht Erika Lagerbielke. Und zusammen mit einem Sommelier massenweise Gläser ausprobiert. Bei einem der vielen Tests traf sie sich mit einer südafrikanischen Künstlerin. «Die Frau hatte eine poetische Ansicht: Bei einem runden Glas erinnerte sie der Geschmack an einen Sonnenuntergang in Südafrika. Und als sie aus einem länglichen Glas trank, fühlte sie sich wie bei einem kühleren nordischen Sonnenuntergang», erinnert sich Lagerbielke. «Das hat mir die Augen geöffnet.» Und es hat das Orrefors-Konzept begründet: «Lange, schmale Gläser verstärken die Säure, und der Wein schmeckt knackiger, erfrischender. Runde Glasformen dagegen verstärken die komplexen, warmen Nuancen», erklärt sie.

Mit dem Sommelier konnte sie daraufhin die einzelnen Aromen bestimmen, die sie betonen wollte. Der Rest sei klassische Designarbeit gewesen – immer mit Blick auf die Ästhetik und nicht wie bei Riedel nur auf die Weinsorte. Lagerbielkes Überlegungen führten zu einem kleinen Sortiment mit nicht mehr als je zwei Glasformen für Rot- und Weisswein. Ein Konzept, das auch für Laien einfach zu verstehen sei, wie sie sagt.

Aber auch Georg Riedel ist nicht weit von dieser Idee entfernt: «Fünf Gläser, mehr brauche ich eigentlich nicht», sagt er. Eines für fruchtige Weissweine, eines für kräftige Burgunder, eines für die zarten Pinots noirs, eines für Cabernets und Merlots sowie ein fünftes für den kräftigen Syrah.

Auch wenn die Glasform Geschmackssache bleibt: Für gute Gläser gibt es bestimmte Qualitätsmerkmale. Je dünner das Glas beispielsweise ist, desto weniger verändert es die Weintemperatur. Mundgeblasene Gläser, sagt Rudolf Moser, seien auch viel elastischer und deshalb haltbarer als maschinell hergestellte. Und überhaupt sei Bleikristall das beste Material: «Die spezielle Oberfläche lässt den Wein beim Schwenken besser atmen.» Maximilian Riedel geht sogar noch einen Schritt weiter: «In jedem mundgeblasenen Glas steckt der Atem des Glasbläsers.» Damit erhält natürlich jeder Wein eine ganz besondere Note.