Die Rebenlandschaft der Rioja mit ihren farbigen Böden breitet sich wie eine Patchwork-Decke aus. Auf den Falten des Rioja-Gebiets zwischen der Cordillera Cantábrica im Norden und der Sierra de la Demanda im Süden ragen die Dörfer in den Himmel.
Die Häuser mit den massiven Mauern, die dem bissigen Atlantikwind trotzen, die Kathedralen und die Herrschaftssitze zeugen davon, dass sich hier mit Wein schon seit langer Zeit viel Geld verdienen lässt.
In dieser ruralen Landschaft wirkt der glänzende Stahlbau des amerikanischen Stararchitekten Frank Gehry mit den goldenen und rosa Kringeln auf dem Dach wie eine Patisserie, die versehentlich in der Wurstabteilung platziert wurde. Bauherr ist der ebenfalls weltberühmte Produzent Marqués de Riscal. Dass sich die Firma einen Mann mit grossem Namen und internationaler Ausstrahlung für den Bau ihres Hauptsitzes am Dorfrand von Elciego geholt hat, ist kein Zufall: In der Rioja wird Wein auch über die Architektur verkauft.
Es gibt viel zu sehen
Nicht nur in Elciego werben Gebäude, die von Gestaltern mit klingenden Namen erbaut wurden, für die Erzeugnisse aus dem archaischen Tal. Architektonische Preziosen von Santiago Calatrava, Zaha Hadid oder Philippe Mazières gehören zu den Höhepunkten einer Reise durch das Ebro-Tal und locken Besucher von weit her an. Die Strategie geht auf.
Es gibt viel zu sehen in der Rioja – und noch mehr zu degustieren. Trotz zunehmender Konkurrenz der aufstrebenden Gebiete Navarra, Priorat und Ribera del Duero ist und bleibt die Rioja mit ihren 60 000 Hektaren, den 18 000 Winzern, den 550 Bodegas und einer Jahresproduktion von 300 Millionen Litern die wichtigste Weinregion Spaniens. Diese gigantischen Zahlen manifestieren sich auch in der sympathischen Tatsache, dass in der Rioja beinahe an jeder Ecke eine Bodega wartet.
Entlang des Ebro
Etwa in Haro, dem Hauptort der Rioja Alta, wo sich Weingüter mit bekannten Namen – Federico Paternina, Muga, Tondonia – dicht an dicht aneinanderreihen. Wer kleine, hübsche Châteaux erwartet, wie man sie im Bordelais antrifft, wird enttäuscht sein. In der Rioja richtet man mit der grossen Kelle an: Riesige Hallen bieten dem Wein ein Dach über dem Kopf. Das einzige filigrane Element im sperrigen Umfeld ist die Weinboutique der Viña Tondonia.
Die irakisch-britische Architektin Zaha Hadid, bekannt für ihre eigenwilligen Interpretationen der Geometrie, hat eine überdimensionierte gläserne Flasche entworfen, die sich unter dem auffälligen Kupferdach scheinbar federleicht an die altgediente Bausubstanz anlehnt. Drinnen sind Licht und Luft Trumpf – ein schöner Ort, um die Nase zum ersten Mal ins Glas zu stecken.
Von Haro aus sticht der Weg direkt ins Tal, man kann ihn nicht verfehlen: Die Hauptstrasse folgt dem Fluss Ebro, der auf seiner Reise vom Kantabrischen Gebirge zum Mittelmeer durch die Böden aus Kalk, Lehm und Sand mäandert. Immer wieder lohnen sich kleine Abstecher zu den besiedelten Hügeln, die aus dem Rebenteppich herausragen.
Laguardia muss man gesehen haben
Unbedingt einen Besuch wert ist das Städtchen Laguardia im baskischen Teil der Rioja. Dort schlendert man nicht nur gemütlich durch die Gässchen des mittelalterlichen Dorfkerns mit den grandiosen Patrizierhäusern. Man geniesst von der Stadtmauer aus auch einen Blick auf die umliegenden Lagunen, die wie Spiegel in der Sonne blitzen, und fasst die nächsten Ziele ins Auge: den sehr eigenwilligen Bau des Franzosen Philippe Mazières für die Viña Real und den gelungenen Wurf von Santiago Calatrava für die Bodegas Ysios.
Beide Architekten haben nicht bloss irgendeine Idee umgesetzt, sondern sich stark von der Region und ihrem wichtigsten Exportgut, dem Wein, inspirieren lassen. Mazières löste die Aufgabe wörtlich: Das Hauptgebäude der Viña Real sieht aus wie ein riesiges Holzfass, das in den Boden geschlagen wurde. Das Resultat ist Geschmackssache.
Subtiler hingegen ist der Wurf des Spaniers Santiago Calatrava für die Bodegas Ysios: Das Gebäude, niedrig und lang, schmiegt sich zwischen die Rebberge vor der felsigen Kulisse der Cordillera Cantábrica – das Dach nimmt den Rhythmus der Krete auf und spinnt ihn weiter. Fenster gibt es nur im mittleren Teil, wo sich auch der Eingang befindet. Die anderen Räume sind fensterlos und bieten den Tanks und Fässern Platz, damit der Wein bis zu seiner Abfüllung fern von Licht und Lärm reifen kann.
Die hohe Kunst des Degustierens
Die Einheimischen sind stolz. Nicht nur auf ihre Weine, die in den letzten Jahren immer besser geworden sind. Nicht nur auf ihre Traubenvielfalt: Neben der Sorte Tempranillo wachsen hier Garnacha, Mazuelo, Graciano sowie die beiden weissen Sorten Viura und Malvasia. Stolz sind sie vor allem auf ihre Weinkeller und zeigen sie dementsprechend gerne und ausführlich.
Beim ersten Besuch eines der Weingüter staunt man noch über die gigantischen Stahltanks, bewundert die riesigen Hallen voll von Fässern, die Abfüllanlagen, das Flaschenlager (bei Faustino hat das Königshaus einen eigenen Keller mit personalisierten Flaschen), die Labors und gewinnt selbst dem Geruch modriger Trauben eine romantische Note ab. Spätestens nach der dritten Besichtigung würde man aber viel dafür geben, vom Empfang direkt in den Degustationsraum zu gelangen.
Denn vom Keller allein lässt sich kaum auf die Weine schliessen, ausser man ist Winzer oder Weinfachfrau. Degustationen hingegen – die Palette der in der Rioja produzierten Weine reicht vom Zwei-Euro-Tischwein bis zum zelebrierten Autorenwein – werden von Mal zu Mal aufschlussreicher, auch für Laien.
Wein billiger als Wasser
Vor allem, wenn sie so interessant gestaltet sind wie im Weingut Marqués de Murrieta. Das Anwesen liegt im Umland von Logroño, der Hautpstadt der Provinz Rioja. Im Moment werden die Gebäude vom Gestern ans Heute angepasst. Hier beginnt die Besichtigung nicht mit dem Keller, sondern mit einer Fahrt durch die hauseigenen Rebberge. Unterwegs lernt man die verschiedenen Facetten des Rebbaus kennen und erfährt Spannendes über die Geschichte der Gewächse, die viel jünger ist, als man angesichts der verwachsenen Hänge annehmen könnte.
Wein gab es hier zwar schon immer. So viel sogar, dass er billiger als Wasser verkauft wurde und deshalb beim Bau von Häusern dem Beton beigemischt wurde, was die vielen rosaroten Fassaden erklärt. Eine richtige Weinkultur etablierte sich aber erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, als Emigranten aus Frankreich und Rückkehrer aus den Kolonien Südamerikas das fachliche Wissen um die Gärung und die Stabilisierung an den Ebro brachten.
Bevor man die Rioja wieder verlässt, sollte man freilich nicht nur ein paar Weingüter besucht haben, sondern auch eine Nacht oder zwei in Logroño verbringen und einen weiteren Trumpf der Region kennen lernen: das gute Essen. Der Abend fängt in den Tapas-Strassen gleich hinter dem Markplatz im Stadtzentrum an und endet in einem der vielen Restaurants bei den anderen Spezialitäten der Region: Spargeln, Artischocken, Käse und ausgezeichnetem Fleisch. Alles passt bestens zu den schönen Weinen.