Es ist kaum zu glauben. Simone Holligers Skulpturen sehen gewichtig und massiv aus. Doch sie bestehen aus Materialien, die jeder und jede zu Hause in der Schublade hat: aus Papier und Kleber. Damit arbeitet sie sich am Formenvokabular heroischer Künstlerfiguren der Moderne ab – an Henry Moore, Hans Arp –, aber so, als blinzle sie ihnen ironisch zu.
«Ich bediene mich formal bei der modernen Skulptur, interpretiere sie jedoch aus der Sicht einer zeitgenössischen weiblichen Künstlerin», sagt Holliger.
Das Ergebnis besticht: Die abstrakten Figuren, die auch zwischenmenschliche Beziehungen thematisieren, sind fragil und dabei kraftvoll und faszinieren durch den nuancierten Farbauftrag.
Die «Ästhetik der Fragilität» pries die Jury des mit 25'000 Franken dotierten Swiss Awards, den sie 2019 gewann. Mit ihrer Raffinesse im Materialumgang löst die Künstlerin Begeisterung bei Kuratorinnen und Sammlern aus. Kürzlich gewann sie den Förderpreis der Alexander Clavel Stiftung und im Juni kommt sie im Musée des Beaux Arts La Chaux-de-Fonds zu Ehren.
Die Weiterentwicklung der Künstlerin verspricht Potenzial. Gerade erarbeitet sie ihre erste Kunst-am-Bau-Arbeit – diesmal aus gebogenem Aluminiumrohr.
Das Werk wird im Mai als Geschenk der Eidgenossenschaft am Sitz der Weltgesundheitsorganisation in Genf eingeweiht werden. Wer die Antennen gerichtet hat, erwirbt jetzt. Zugelangt haben schon die Kunstsammlungen von Roche, Helvetia und Bank Julius Bär Art.
Barbara Staubli, Kuratorin der Julius Bär Kunstsammlung, attestiert Holliger einen «eigenständigen künstlerischen Ansatz».
Sie hatte bereits 2019 das Werk «Knick» während der Art Basel erspäht, und das Kunstkomitee griff zu. «Ihre Skulpturen haben etwas erfrischend Verwirrendes an sich und laden zum genauen Hinsehen ein», sagt Holliger.
«Das fragile Material kontrastiert mit der enormen Grösse und der raumgreifenden physischen Präsenz der Kunstwerke.»