BILANZ: Design ist heute zum Allerweltsbegriff geworden. Was verstehen Sie darunter?
Rolf Fehlbaum: Im angelsächsischen Sinn bedeutet er zunächst einmal nichts anderes als «entwerfen» und wird wertfrei gebraucht. Neuerdings wird Design häufig mit Styling gleichgesetzt. Man spricht von Designerbrillen, Designerjeans, Designermöbeln. Dahinter steht der Wunsch der Hersteller, ihren Produkten in der überfüllten Warenwelt eine unverwechselbare Signatur zu geben.
Also geht es letztlich darum, den Absatz anzukurbeln?
So einfach ist es nicht. In der Schweiz steht die Designbewegung in der Tradition der «Schönheit aus Funktion und als Funktion», ein Begriff, den Max Bill geprägt hat. Der Designer will die Warenwelt zivilisieren. Das schliesst die kommerzielle Seite nicht aus.
Gutes Design heisst demnach, Geld und Geist zu verbinden?
Es ist klar, dass ein Designunternehmen wie wir für den Markt produziert. Die kommerzielle Tätigkeit vermischt sich aber mit der kulturellen Absicht, die jedem produzierten Stück als Haltung innewohnt. Wir produzieren, was wir unter dem Aspekt des Designs für richtig halten. Und hoffen, es verkauft sich auch.
Heute sind schnelllebige Produktzyklen angesagt. Ist gutes Design unter dieser Prämisse überhaupt möglich?
Ein Aspekt von gutem Design ist tatsächlich seine Langlebigkeit. Nicht nur, dass ein Produkt nicht auseinander fällt, sondern auch visuell lange hält. Die heutige Warenwelt lebt aber von einer künst-lichen Alterung. Design stemmt sich dagegen, weil dies gegen das Ideal der Nachhaltigkeit verstösst. Nicht umsonst geben wir bis zu dreissig Jahre Garantie auf unsere Stühle.
Wo bleibt da die Innovation beim Design?
Grosses Design hat im Grunde genommen immer drei Dimensionen: Es ist notwendig, innovativ, und es ist epochal. Es steht also immer in Verbindung mit der Zeit, in der es entsteht. Es ist notwendig: Wenn man es erlebt, hat man das Gefühl, es sei nicht willkürlich, es muss so sein. Und es erschliesst etwas, was wir so bisher nicht gesehen oder empfunden haben. Insofern ist grosses Design immer innovativ. Styling dagegen bietet das Neue ohne Innovation. Da geht es nur um den neuen Kick. Dieses oberflächliche Neue nutzt sich innert Kürze ab.
Schliessen Massenproduktion und Design einander aus?
Die besten Designer stehen, ob sie sich darüber im Klaren sind oder nicht, im Bannkreis der Reformbewegungen, und die Massenproduktion ist ihr wichtigstes Betätigungsfeld. Was früher der Elite als Luxus zur Verfügung standen hat, soll vielen zugänglich gemacht werden. Die Frage ist, ob dies aufgeht. Wenn Sie den Marktanteil so genannter Designunternehmen anschauen, ist dieser gering. Aber die Designbewegung, die Idee des kreativen Autors, der die Warenwelt verbessert, hat natürlich trotzdem die Welt erobert.
Ist für Sie Raymond Loewy, einer der ersten grossen amerikanischen Designer, ein Topdesigner oder doch eher ein Verkaufsförderer?
Er ist sicher eine interessante Figur, weil er nicht nur Verkaufsförderer war. Er hat auch gute, bleibende Produkte entworfen. Aber der kommerzielle Aspekt des Designs stand bei ihm im Vordergrund. Sein MAYA-Prinzip (Most Advanced Yet Acceptable) führte zu erfolgreichen Produkten. Die kühnen Innovationen der grossen Architekten-Designer des 20. Jahrhunderts waren aber von einem anderen Geist.
Leben wir heute in einer Welt mit zu viel Design?
Es liegt nahe, in einer Überflussgesellschaft durch Produktdifferenzierung neue Bedürfnisse und damit Nachfrage zu schaffen. Oft bleibt die Differenzierung aber an der Oberfläche und manifestiert sich dann in stilistischer Übertreibung, die mit einem Designernamen in Verbindung gebracht wird. Die Folge ist eine Inflation von Zeichen und Signaturen. Das ist unerträglich. Darum verfolgt die Designbewegung heute eher das Motto «Beruhigen, weniger Zeichen setzen, reduzieren».
Um damit die Gestaltung wieder in den Vordergrund zu rücken?
Ja, erfeulicherweise stellt sich Verdruss am schnelllebigen Styling und der Allgegenwart von Signaturen ein, und es wird wieder klar, was grosses Design ausmacht. Nämlich seine Zeitlosigkeit – oder besser: Zeitresistenz. Dieses Design empfindet man mitunter nach zehn Jahren überzeugender als am ersten Tag. Ich fuhr früher einen alten Alfa Romeo. Seine Linien entzückten mich täglich, und die Freude liess auch nach vielen Jahren nicht nach.
Bedeutet dies, dass grosses Design ein Privileg für eine Minderheit ist, oder hat ein schön gestaltetes räumliches Umfeld auch positive Auswirkungen auf Befindlichkeit und Arbeitshaltung?
Jeder Raum und jedes Objekt in einem Raum senden Signale aus, die unsere Befindlichkeit beeinflussen. Das erlebt jeder im Alltag: Wer eine schummrige Bar betritt, empfindet etwas anderes, als wenn er eine dämmrige Kirche aufsucht. Die Signale, die auf uns einwirken, können ermüden, ergreifen, stimulieren, sie können einschränkend oder befreiend wirken.
Inwiefern?
Eine autoritär geprägte Umgebung mit Machtsymbolen und übergrossen Räumen wirkt einschüchternd. Da wird der Mensch zum Untertan, zum Befehlsempfänger. Die Monotonie eines bürokratischen Umfelds signalisiert den Dienst nach Vorschrift. Wenn ein Unternehmen aber davon lebt, dass die Mitarbeiter selber denken, selber Entscheide fällen, sollten die Räume Selbstvertrauen erwecken und freie Kommunikation stimulieren. Natürlich gibt es Pionierunternehmen, in denen unter miserablen Raumverhältnissen Kreatives entstanden ist und entsteht, weil alle von einer Mission beseelt sind. In einer solchen Phase ist die räumliche Umgebung nicht so entscheidend. Aber nach der Gründerphase, im etablierteren Zustand, braucht das Unternehmen eine Umgebung, die Identität vermittelt, Respekt vor dem Mitarbeiter signalisiert und die Zusammenarbeit fördert, damit ein produktives Klima erhalten bleibt.
Und Design kann diesen beruhigenden, harmonischen Einfluss erzeugen?
Besser als alle verbalen Deklarationen, weil die gestaltete Umgebung pausenlos wirkt, ohne dass der Einzelne dies bewusst wahrnimmt. Ist das Manipulation? Da vermutet man gleich böse Absicht. Sprechen wir von Beeinflussung. Eine räumliche Gestaltung kann durch ihre Signale Menschen freier oder ängstlicher, kommunikativer oder verschlossener machen. Glücklicherweise ist die befreiende, ermutigende, kommunikationsfördernde Beeinflussung im Programm des guten Designs seit seinen Anfängen verankert.