Haben die französischen Wähler das Ende der «populistischen Welle» in Europa eingeläutet? Die meisten europäischen Kommentatoren gehen davon aus, dass der Mitte-Links-Kandidat Macron Präsident wird.

Nach dem ersten Wahlgang in Frankreich betonen Zeitungen in Europa und weltweit die Tragweite der Entscheidung – für Frankreich wie für Europa.

«Le Monde» aus Paris: «Es ist historisch: Seit den Anfängen der Fünften Republik spielte sich das politische Leben Frankreichs um zwei grosse Parteien ab, eine links und eine rechts. (...) Das Jahr 2017 ist in dieser Hinsicht eine Ruptur: Niemals in der Geschichte haben die beiden Hauptformationen unseres politischen Lebens zusammengerechnet ein so schwaches Ergebnis eingefahren.»

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«Le Figaro» aus Paris: «Ein immenser Schlamassel (...) Die Rechte, die fünf Jahre lang in den Umfragen haushoch vor den Sozialisten lag, (...) diese Rechte, der der Sieg nicht entgehen konnte, ist jäh eliminiert worden.»

«Libération» aus Paris: «Fünfte Republik ausser Atem (...) Diese erste Runde der Präsidentschaftswahl hat unserer Fünften Republik einen heftigen und vielleicht fatalen Schlag versetzt. (...) Sie ist dabei, unfähig zu werden.»

«Süddeutsche Zeitung»: «Nach Le Pens Ergebnis gilt: Die rechtspopulistische Welle in Europa ist gebrochen. Wie bei der Präsidentschaftswahl in Österreich und der Parlamentswahl in den Niederlanden bleiben auch die französischen Rechtspopulisten hinter den eigenen Erwartungen zurück. Europa bleibt, so denn sich alle Prognosen und Wahlerfahrungen der Vergangenheit in zwei Wochen bewahrheiten, der Kollaps Frankreichs und mithin gar der Europäischen Union erspart.»

«Welt»: «Die beiden Kandidaten haben konträre Ansichten zur Zukunft Europas – was die Stichwahl auch für Deutschland zu einem entscheidenden Duell macht. (...) Für Frankreich ist das Wahlergebnis jetzt schon ein historisches politisches Erdbeben. Erstmals in der Geschichte des Landes gelangten beide Parteien, die die Geschichte der Französischen Republik bestimmt haben, nicht in die Stichwahl. Und erstmals wird der Präsident kein Kandidat einer der beiden Parteien sein.»

«Die Presse» aus Wien: «(...) die vergangenen Wochen und der erste Durchgang der Präsidentenwahl am Sonntag (spiegelten) ein Land, das zwischen Angst und Agonie schwankt, zwischen Depression und Aufruhr taumelt – und das vor allem den Glauben an sich, seine Politiker und deren gestalterische Kraft verloren hat.»

«De Tijd» aus Brüssel: «Marine Le Pen ist übrigens noch nicht von vornherein besiegt. Die Unzufriedenheit der französischen Wähler war bei diesem Ergebnis klar erkennbar. Der Populismus, von rechts wie von links, hat sich in der französischen Politik verankert.»

«The Guardian» aus London: «Emmanuel Macron wird fast sicher der nächste französische Präsident. Und die Erleichterung ist immens. Der viel beschworene Dominoeffekt nach dem Brexit-Referendum und Donald Trumps Wahlsieg ist bis jetzt nicht eingetreten. Und das europäische Projekt hat gewonnen – wenigstens für den Moment.»

«The Times» aus London: «Emmanuel Macron ist eine weitgehend unbekannte Grösse​, sieht man von seiner europafreundlichen Haltung und der Zustimmung der Wirtschaftselite für ihn ab. Sollte er die Gründe für Europas langanhaltende wirtschaftliche Stagnation nicht klar erkennen, könnte er in der Zukunft noch mehr Probleme anhäufen. Marine Le Pen wiederum hat eine toxische Mischung aus Fremdenfeindlichkeit und Protektionismus im Angebot, die keine Antwort auf Europas Probleme ist, sollte sie allen Vorhersagen zum Trotz einem Sieg in der zweiten Runde der Präsidentenwahlen nahe kommen.»

«La Repubblica» aus Rom: «Jedenfalls ist das ein historisches Ergebnis: In die Stichwahl gehen zwei Kandidaten politischer Bewegungen, die noch nie zuvor regiert haben. (...) Die Wahlbeteiligung war gut, die Franzosen haben auf den Ruf der Demokratie geantwortet.»

«Corriere della Sera» aus Mailand: «Frankreich und Europa sind nicht mehr so wie früher. Aus dem Land, das von Terroranschlägen heimgesucht wurde, kommt eine klare Aufforderung nach Veränderung, die sich zweiteilt: in die populistische Richtung von Marine Le Pen und die europäische von Emmanuel Macron. Die erste Runde stellt eine positive Überraschung dar. Angesichts der hohen Wahlbeteiligung hat Frankreich einen Beweis abgegeben für Schwung für die Zukunft, für Abwehr der Verdammung zum Niedergang und gegen den Angriff des Terrors.»

«La Stampa» aus Turin: «Die Wahl fand in einem nie da gewesenen Klima statt – mit dem Ausnahmezustand nach dem Mord an einem Polizisten im Herzen von Paris, den Geheimdiensten in Alarmbereitschaft und den Wahllokalen, die als «verwundbare Objekte» eingestuft wurden.»

«El Mundo» aus Madrid: «Sollte es keine grossen Überraschungen geben, wird Emmanuel Macron, ein 39-Jähriger, der keine andere Erfahrung besitzt, als zwei Jahre lang Wirtschaftsminister unter Präsident François Hollande gewesen zu sein, der nächste Bewohner des Élyséepalastes sein.»

«El País» aus Madrid: «Die Wahl wird eindeutig sein. Weder gibt es die Gefahr einer Verwechslung noch Gemeinsamkeiten beider Kandidaten. Es handelt sich um zwei gegensätzliche Vorschläge für die Zukunft Frankreichs und Europas. Der nächste Präsident wird entweder ein Ex-Banker mit geringer Erfahrung und einer europäischen und liberalen Botschaft sein oder die Erbin der Ultrarechten, die einen Austritt aus der EU befürwortet.»

«Gazeta Wyborcza» aus Warschau: «Le Pen hat eine Zukunft, die V. Republik ist schon Vergangenheit. Der neue Präsident muss es mit der angreifenden Front National aufnehmen und mit der unerträglichen Last der nicht funktionierenden demokratischen Institutionen. Aber für den Moment sollten wir uns freuen, dass die Demokratie in Frankreich gerettet wurde. Ohne Frankreich wären von der EU nur Schutt und Asche übrig.»

«Lidove noviny» aus Prag: «Im Anschluss an die Präsidentenwahlen erwartet die Franzosen im Juni die Entscheidung über ein neues Parlament. Die Erfahrung zeigt, dass die Wähler auch einen Sieger Macron dann nicht automatisch unterstützen müssen. Seine Bewegung En Marche! steckt noch in den Windeln. (...) Im Extremfall wird Macron ein schwacher Präsident sein, mit wirklichem Einfluss nur auf Diplomatie und Verteidigung. Das wäre für Europa eine schlechte Nachricht, fast so schlecht wie ein Wahlsieg (Marine) Le Pens.»

«Hospodarske noviny» aus Prag: «Frankreich kämpft mit einem Zerfall der traditionellen Parteien, die sich lange Zeit an der Macht abgewechselt haben. Der scheidende sozialistische Präsident François Hollande gewann die Präsidentenwahl vor fünf Jahren mit dem Versprechen, die Wirtschaft in Schwung zu bringen und die hohe Arbeitslosigkeit zu senken. Viel Erfolg hatte er dabei nicht.»

«Sme» aus Bratislava: «Und woher nimmt man überhaupt die Überzeugung, dass die geschwächten Einzelstaaten weitere Migrationskrisen besser bewältigen sollten? Auch um diesen Aspekt der europäischen Zukunft wird es in der zweiten Runde der französischen Präsidentenwahl gehen – also um die Frage, ob Europa ein globaler Player bleibt oder nicht. Auch darum betreffen Wahlen nicht nur in Frankreich, sondern auch in jedem anderen Land Europas eigentlich uns alle.»

«Pravda» aus Bratislava: «Wenn Marine Le Pen nicht Präsidentin wird, dann zwar nicht wegen eines Gegners aus den traditionellen Parteienstrukturen, aber weil von allen nichttraditionellen Kandidaten gerade der beim zweiten Wahlgang im Mai gegen sie antritt, der mit seinem uneindeutigen Programm die grössten Chancen hat, die Stimmen beider traditioneller Lager einzusammeln.»

«Ta Nea» aus Athen: «Macron hat die Unterstützung der Konservativen und Sozialisten und erzeugt neue Gegebenheiten für den Kurs Europas. Die Hass-Botschaft Le Pens hat ihr den zweiten Platz gebracht. Sie kann aber keine Allianzen für die zweite Runde bilden.»

«Kathimerini» aus Athen: «Es (der Sieg Macrons) ist eine der wenigen erfreulichen Nachrichten in einem depressiven Jahr für Europa. Frankreich folgt nicht den Entscheidungen für einen Brexit, der schockierende Wahl Trumps in den USA und ist gegen die linken und rechten Euroskeptiker. Europa kann vorübergehend aufatmen.»

«Eleftheros Typos» aus Athen: «Die antieuropäischen Stimmen Le Pens und Mélenchons haben die 40 Prozent erreicht. Dennoch ist der gemässigte Macron der Favorit für die zweite Runde.»

«Kathimerini Zyperns» aus Nikosia: «Front gegen die Nationale Front Le Pens.»

«New York Times»: «Aber das gute Abschneiden von Frau (Marine) Le Pen – die ein Referendum über das Verbleiben Frankreichs in der EU versprochen hat – ist ein weiteres Warnsignal für die steigende Gefahr durch populistische rechte Politiker, in Europa und auf der ganzen Welt.»

«Washington Post»: «Was auch immer das Endergebnis sein wird, Le Pen und ihre Partei werden nicht verschwinden. Sie stehen für Gefühle, die real sind, die in jedem westlichen Land existieren, und die nun am besten offen, Punkt für Punkt, Argument für Argument bekämpft werden müssen – denn sie stellen eine echte und grosse Bedrohung für die liberale Demokratie dar, wie wir sie kennen.»

«Sydney Morning Herald»: «Nehmen wir einmal an, dass Macron Präsident wird: Dann hätte er eine Aufgabe vor sich, die dem Mount Everest gleicht: seine Bewegung «En Marche», die es vor einem Jahr noch gar nicht gab, in eine Partei zu verwandeln, die in der Lage ist, im ganzen Land Wahlkreise zu gewinnen. Deshalb scheint es wahrscheinlicher, dass die Republikaner die Kontrolle in der Nationalversammlung und damit auch das Amt des Premierministers gewinnen werden. (...) Man kann sich bei den Franzosen darauf verlassen, dass sie die Dinge kompliziert machen.»