Wie auffallen in einer Welt, die darauf ausgelegt ist, immer mehr zu produzieren, immer schneller zu liefern und schriller zu werben? Giuseppe Santoni entschied sich für das Gegenteil. Mit einer winzigen Prêt-à-porter-Kollektion sucht der Schuhmacher aus Norditalien derzeit den Eingang in die Modewelt.
Mit Marco Zanini hat er als Türöffner jenes Design-Grosstalent engagiert, das vor Jahren aus Rochas eines der Lieblingslabels der Paris Fashion Week machte und dann Schiaparelli neu belebte. Bevor Zanini für Santoni zu arbeiten anfing, war er drei Jahre lang von der Bildfläche verschwunden, «ich musste ausruhen». Warum er statt auf der ganz grossen Bühne beim Mode-Niemand Santoni sein Comeback gibt? «Die Entscheidung gegen den Überfluss und dafür kleiner zu denken, finde ich toll», sagt der Designer.
Preislich in einer anderen Liga
Was herauskommt, wenn ein Haute-Couture-Designer italienische Tradition interpretiert, heisst «Santoni Edited by Marco Zanini». Diesen Herbst hat Jelmoli Zürich für die Damenkollektion ein paar Quadratmeter freigeräumt – eine Petitesse für das Warenhaus, ein grosser Erfolg für Santoni. Der 50-Jährige reiste denn auch persönlich an, um seine «kleine Auswahl an perfekten Basics» zu präsentieren. Perfekt? «Fassen Sie die Kaschmirpullis der anderen an», sagt er, schnappt sich einen seiner 2190-fränkigen Oversize-Pullis aus gefilzter Kaschmirwolle vom Babykamel und eilt voraus, greift hier einen Ärmel, dort einen Rollkragen, legt sie zum Vergleichen in die Hand. «Jetzt wissen Sie, was ich meine, oder?» Ja.
Preislich spielt Santonis Pulli in der ersten Liga, beim «Touch and Feel» überflügelt er die Konkurrenz. «Ecco», Santoni nickt zufrieden, weist per Handzeichen den Weg ins Besprechungszimmer. Dort lässt er sich in einen Sessel sinken, schlägt die Beine übereinander und wartet auf die erste Frage.
Herr Santoni, warum tragen Italiener keine Socken? «Weil wir cool sind», lacht er. Und mit Blick aufs Aufnahmegerät: «Und unsere Schuhe so gut.» Seine Stichworte: pflanzlich gegerbt, chromfrei, offene Poren, atmungsaktiv, «meine Füsse sind immer trocken».
Schuhe sind Santonis Leben. «Ich besitze 400 Paar», sagt er. Gehortet hat er sie an seinen drei Wohnsitzen, in Mailand, wo die Modemusik spielt, in St. Moritz, wo er ein Haus gekauft hat, als er seine Kinder im Lyceum Alpinum in Zuoz einschulte, und natürlich in Corridonia in der italienischen Region Le Marche. Hier ist er aufgewachsen, hier hat sein Vater Andrea 1975 als Schuhmacher angefangen, von hier aus hat der Junior, der die Firma seit 28 Jahren führt, die Marke international gemacht.
Höchste Qualität
Die Attribute für Santoni-Mode sind die gleichen wie beim Schuhwerk, Betonung auf Werk: Handarbeit, höchste Qualität, Zeitlosigkeit. Gestrickt und genäht werden die Mäntel, Röcke, Pullis und Hosen in Le Marche in kleinen Ateliers, die ihr Geld normalerweise damit verdienen, dass sie für Maisons wie Dior und Chanel Muster anfertigen, die dann als Vorlage für Fabrikanten in lohngünstigen Erdteilen dienen. Für Santoni fertigen sie die Kollektionen von A bis Z.
«Unsere Teile sind nicht billig, aber wenn man den Gegenwert bedenkt, das Rohmaterial, das Handwerk, die Arbeit, dann sind sie auch nicht teuer.»
Giuseppe Santoni
Was der Italiener verkauft, ist etwas für betuchte Liebhaber von hoher Handwerkskunst und Understatement. Marco Zanini formulierte es in einem Interview mit der «Vogue» so: «Das Verhältnis zwischen dem, was ein Produkt kostet, und dem, was es wirklich wert ist, ist auf dem Luxusmarkt meiner Meinung nach in den letzten Jahren etwas aus dem Ruder gelaufen.» Objekte zu kreieren, die eine Seele hätten und kein Verfalldatum, erscheine ihm daher gerade jetzt wichtiger denn je. In den Worten des Geschäftsmannes Santoni klingt das so: «Unsere Teile sind nicht billig, aber wenn man den Gegenwert bedenkt, das Rohmaterial, das Handwerk, die Arbeit, dann sind sie auch nicht teuer.»
Mutige Entscheide
«Ich will das Familiengeschäft aufs nächste Level bringen», erklärt Giuseppe Santoni, was ihn in die Mode treibt. Mit diesem Argument hat er die skeptischen Eltern davon überzeugt, es ihn versuchen zu lassen. «Sie verstehen es zwar nicht, aber sie vertrauen mir.» Das taten sie auch, als Giuseppe Mitte der 1990er Jahre darauf bestand, das Angebot von klassischen rahmengenähten Herrenschuhen auf Sneakers auszuweiten. «Sie sagten: Hilfe, nein, das sind nicht wir», erzählt er. «Ich sagte, in den Strassen wimmelt es von Schuhen mit Gummisohlen, und wenn wir nicht mitmachen, gibt es uns in zehn Jahren nicht mehr.»
Seine Zuversicht, es mit Prêt-à-porter weit zu bringen, schöpft er aus dem Erfolg, den er mit Sneakers und gummibesohlten Schuhen geschafft hat: Sie liefern heute mehr Umsatz als die eleganten Klassiker. Der Grund ist simpel: «Unsere rahmengenähten Schuhe halten mindestens zehn Jahre, Sneakers sechs bis zwölf Monate.»
Seit 2008 stellt Santoni auch Damenschuhe her, die inzwischen 35 Prozent des Umsatzes ausmachen. Wie hoch dieser ist, ist Privatsache. Auch wie viel Geld er in die Hand genommen hat, um ins Modegeschäft einzusteigen. Sein Fazit: «Wir haben sehr klein angefangen. Einerseits weil es sehr schwierig ist, in die Absatzkanäle hineinzukommen, anderseits wollen wir auch erst lernen, diese Dinge richtig zu machen.» Und «richtig» heisst für Santoni perfekt. Denn: «In unserer Preisklasse verliert man einen Kunden nur einmal.»