Der erste heisse Junitag. Durch die geöffneten Fenster strömt der scharfe Geruch von frischer Gülle herein, einer, der so gar nicht zum Namen des am Rande von Einsiedeln gelegenen Lokals passen will: Restaurant Rosengarten. In Glaskästen sind bunt zusammengewürfelte Preisauszeichnungen ausgestellt, an den Wänden hängen Urkunden und Belobigungen. Hier feiert sich der Verein der Sportschützen Einsiedeln. Und auch der Kegelclub des Klosterdorfs genehmigt sich nach dem schweisstreibenden Schieben von Kugeln im Wirtshaus gerne ein kühles Helles.

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Was an langen, klobigen Tischen die durstigen Kehlen hinunterrinnt, stammt aus kupfernen Sudkesseln, die in einem schmalen Gebäude gleich neben dem Restaurant stehen. In der angeschlossenen Brauerei Rosengarten wird seit über 130 Jahren Bier gebraut – und dies mit viel Erfolg. «Seit Mitte der neunziger Jahre hat sich unser Ausstoss auf jährlich 18  000 Hektoliter verdoppelt», sagt Braumeister Alois Gmür stolz. Der 54-Jährige führt die Brauerei in vierter Generation. Ein Familienbetrieb, im wahrsten Sinn des Wortes: Die Firma steht seit 1905 in Familienbesitz, und von den 20 Beschäftigten in der Brauerei und im dazugehörigen Getränkemarkt tragen deren sieben den Namen Gmür.

Sechs Millionen Stangen, eine gewaltige Schwemme an Bier. Und dennoch verschwindend klein im Marktvergleich. Im vergangenen Jahr haben die Schweizer 449 Millionen Liter Gerstensaft gesüffelt. Die Einsiedler Brauer kommen dank der starken lokalen Verankerung – von den 150 Restaurants, die Rosengarten-Bier ausschenken, befinden sich drei Viertel rund um Einsiedeln – auf einen regionalen Marktanteil von enormen 75 Prozent; landesweit liegt er bei 0,4 Prozent.

Rauer Wettbewerb. Der Biermarkt wird beherrscht von zwei internationalen Braukonzernen, die sich mit massig Kapital in die Schweiz eingekauft haben. Die dänische Carlsberg mit den Marken Feldschlösschen, Cardinal, Gurten, Hürlimann und Warteck reklamiert einen Marktanteil von 42 Prozent für sich. Die aus Holland stammende Heineken mit Bieren wie Eichhof, Calanda und Haldengut beansprucht 30 Prozent für sich. Nach Abzug der Importbiere, die gegen ein Fünftel vom Markt ausmachen, bleiben knappe zehn Prozent; in diese teilen sich die Klein- und Mittelbrauereien der Schweiz.

Das Biergeschäft ist seit Jahrzehnten von einem rauen Wettbewerb gekennzeichnet. Vor etwas über 120 Jahren gab es in der Schweiz noch gegen 500 Brauereien. Eine Konsolidierungswelle liess von den Betrieben bis in die siebziger Jahre noch einige Dutzend übrig. Heute zählt der Verband IG unabhängiger Klein- und Mittelbrauereien wieder 205 Braustätten. Für den Aufschwung zeichnen ausschliesslich die Kleinbrauereien verantwortlich. Die boomenden Kleinen konzentrieren sich auf Spezialbiere und brauen wieder wie die Altvorderen. Meist werden die Gerstensäfte nicht pasteurisiert und nur wenig gefiltert; damit gewinnen sie spürbar an Geschmack, können dafür nur drei Monate gelagert werden. Industrielles Lagerbier bleibt dagegen neun bis zwölf Monate trinkbar.

Ungeachtet einer 137-jährigen Tradition zeigen sich auch die Gmürs aufgeschlossen und setzen auf Spezialitäten wie Dinkel- oder Alpenbier. Einen grossen inneren Ruck brauchte es, als Alois Gmür 1978 von einer Mühle angefragt wurde, ob er mit Mais ein Bier brauen wolle. Gmür wollte, obgleich mit einigen Wenn und Aber. Das erste in der Schweiz gebraute Maisbier, unter «Maisgold» vermarktet, fand schnell reissenden Absatz. «Heute liefert uns Maisgold 40 Prozent vom Umsatz», sagt der Braumeister.

Die Erfolge der Brauerei Rosengarten blieben der Konkurrenz nicht verborgen. «Wir erhalten immer wieder Übernahmeangebote», so Alois Gmür. Ans Verkaufen denkt die Familie nicht, dazu hätte sie schon früher Gelegenheit gehabt. Beispielsweise 1925. Damals starb der Urgrossvater von Alois Gmür, seine Frau blieb zurück mit vier Kindern sowie einer mehr schlecht als recht laufenden Brauerei samt Restaurant. Da klopften in Einsiedeln die Herren Hürlimann aus der gleichnamigen Zürcher Brauerei an, genehmigten sich im Restaurant ein Bier und unterbreiteten der Witwe ein Übernahmeangebot. Diese liess sich nicht übertölpeln. «Sie sagte den Herren: Wenn das ein Geschäft für euch ist, ist es auch ein Geschäft für mich», erinnert sich Alois Gmür an die Erzählungen seiner Urgrossmutter. Die beherzte Unternehmerin führte beide Betriebe erfolgreich bis 1956 und hörte erst im Alter von 90 Jahren auf.

Die Brauerei Hürlimann wurde 1996 von Feldschlösschen geschluckt. Damals gingen in Zürich die Wogen der Empörung hoch gegen den Schluckspecht aus Basel. «Wir haben schon einige Zeit davor mit dem Einstieg ins Braugeschäft geliebäugelt. Und das war für uns die Gelegenheit», erinnert sich Adrien Weber. Mit zwei Freunden und einem Startkapital von einer Million Franken gründete er 1997 im Zürcher Industriequartier, gleich neben der einstigen Turbinenproduktion der Sulzer-Escher-Wyss, eine eigene Mini-Brauerei, die TurbinenBräu. «Bis zum ersten Bier sind lediglich sechs Monate verflossen», so der ETH-Lebensmittelingenieur.

In der Alternativszene stiess man subito auf grosse Akzeptanz. Im ersten Jahr wurden 1000 Hektoliter gebraut, im Jahr darauf musste die Kapazität verdoppelt werden. Als das neue Bier immer mehr Anhänger fand, zogen die Jungbrauer in ein altes Industriegebäude an der Badenerstrasse. «Vom Sympathiebonus der Hürlimann-Schliessung profitieren wir schon seit Jahren nicht mehr», meint Weber. Das hat die Firma auch nicht nötig. Inzwischen werden jährlich 14  000 Hektoliter verkauft, weit über 100 Restaurants schenken TurbinenBräu-Bier aus. Sogar Coop, Lidl und Spar wollten die Trendbiere in ihre Regale stellen. Doch davon mag der 46-jährige Weber nichts wissen: «Den Detailhandel werden wir wohl erst dann beliefern, wenn unser Bierabsatz stagniert.»

Neues Geschäft. Da müssen sich die Detailhändler noch lange gedulden. Die Brauerei verzeichnet jedes Jahr Zuwächse von zehn bis zwanzig Prozent. Im zwölften Betriebsjahr blieb bei einem Umsatz von 2,9 Millionen Franken ein Cashflow von 0,8 Millionen hängen. Adrien Weber ist inzwischen alleiniger Chef und hält die Mehrheit der Aktien. In den Rest teilen sich 400 Kleinaktionäre. Hatten die Initiatoren einst Mühe, das Startkapital zusammenzukratzen, sind die Aktien heute gesucht. «Ich habe eine lange Liste von Interessenten, die Aktien kaufen wollen. Doch von den bestehenden Aktionären will niemand verkaufen», sagt Weber.

Aus ganz anderen Beweggründen heraus entstand 2006 die Brauerei Aare Bier am Dorfrand der Berner Seelandgemeinde Bargen. Max Hermann betreibt dort Trocknungsanlagen für die industrielle Herstellung von Tierfutter. Als die Anlagen nicht mehr voll ausgelastet waren, hatte er eine Bieridee und beauftragte seinen Betriebsleiter Cesare Gallina (36), die Möglichkeiten eines neuen Geschäftszweiges abzuklären: Bier brauen. Gallina ging mit Begeisterung ans Werk, absolvierte ein Praktikum in einer Brauerei, besuchte eine Schule für Betriebswirtschaft und schrieb die Diplomarbeit über die künftige Brauerei. Sein Enthusiasmus steckte auch Hermann an; der investierte drei Millionen Franken in eine moderne Brauanlage.

Seither stellt ein Braumeister drei Sorten Gerstensaft her – alle weder filtriert noch pasteurisiert. Die Jungbrauerei machte sich in der Region schnell einen klangvollen Namen; an den Biertagen in Solothurn heimste der Newcomer ein Jahr nach dem ersten Sud für jedes Bier eine Medaille ein. Absatzsorgen kennt Aare Bier nicht. «Wir verzeichnen jedes Jahr Absatzsteigerungen von 25 bis 30 Prozent», freut sich Geschäftsführer Gallina.

Was alles andere denn selbstverständlich ist. Aare Bier hat, wie andere Kleinbrauereien, von der Betriebsgrösse her ein Kostenproblem. Was sich im Vergleich zu Industriebieren in höheren Verkaufspreisen niederschlägt. Bierliebhabern scheint dies egal zu sein. Die Jungbrauerei jedenfalls liefert im dritten Betriebsjahr bereits 250  000 Liter Bier an 40 Restaurants und 30 Läden. Trotz der steigenden Nachfrage wird die Kapazitätsgrenze nicht so schnell erreicht sein. Mit der Anlage lassen sich bis zu 6000 Hektoliter brauen. «Deshalb brauen wir auch einige Fremdbiere», erläutert Gallina.

Ein geringeres Wachstum verzeichnet die Brauerei Adler, mit 181 Jahren ein Methusalem unter den Kleinbrauereien. Nicht zum Leidwesen von Geschäftsführer Roland Oeschger, der zusammen mit seiner Mutter die Firma besitzt: «Wir wollen die Expansion nicht vorantreiben. Wenn wir die Produktion voll auslasten würden, könnten wir höchstens 12  000 Hektoliter brauen.» Aktuell beläuft sich der Ausstoss auf gegen 9000 Hektoliter. Der in Schwanden beheimatete Traditionsbetrieb beliefert 150 Restaurants, alle im Glarnerland gelegen. Den Braugiganten kommt Adler dabei kaum in die Quere. «Wir haben hier viele kleine Beizen. Die machen keine riesigen Umsätze und sind entsprechend wenig attraktiv für Grossbrauereien», meint Oeschger. Der Brauerei angeschlossen sind ein – verpachtetes – Restaurant sowie ein Getränkemarkt, der immerhin die Hälfte zum Umsatz beisteuert.

Bei der Brauerei Adler steht bereits die nächste Generation in den Startlöchern. Ein Sohn von Roland Oeschger hat Brauer gelernt, gegenwärtig braut er für Feldschlösschen. Jüngst fragte ihn sein Vater, was er denn heute gemacht habe. Der 20-Jährige sagte, sie hätten 8500 Hektoliter Lagerbier gebraut. «Was Feldschlösschen in einem Tag braut, das brauen wir in einem Jahr», meint Oeschger lachend.

Noch kleiner ist die Thurgauer Huus-Braui. Initiator Walter Tobler ist Pächter des 400-jährigen Bierrestaurants Zum Goldenen Leuen / National in St.  Gallen. «Ich bin kein Gastronom, sondern Bierwirt», sagt der 52-Jährige bestimmt. Er ist begeistert von Bier als Getränk und Kulturgut, hat sogar eine Ausbildung gemacht als Biersommelier. Auf einer Motorradtour kam Tobler auf die Idee, seinen eigenen Gerstensaft zu brauen. In einem alten Haus mit schönem Garten, mitten in Roggwil gelegen, liessen er und seine Partnerin Marianne Hasler eine Kleinstbrauerei einbauen.

Luxusproblem. Seit 2002 wird dort von einem deutschen Braumeister Bier hergestellt. Jährlich verlassen zwar nur 1300 Hektoliter die Sudkessel. Dennoch ist die Huus-Braui bereits an ihre Kapazitätsgrenze gestossen. «Das ist ein Luxusproblem», sagt Tobler lachend. An einen Ausbau denkt der Bierwirt nicht, «wir wollen klein bleiben». Nicht zuletzt auch aus finanziellen Gründen. Jahrelang sind Verluste angefallen, erst seit 2007 resultiert ein kleiner Gewinn. So werden gerade mal zwölf Restaurants beliefert, auch wenn die Nachfrage nach den unfiltrierten und hefetrüben Bieren weitaus grösser ist. Bier in Strömen fliesst im Restaurant der Huus-Braui, einem kleinen Gasthof mit 50 Plätzen, wo Marianne Hasler am Zapfhahn steht.

Walter Tobler muss sich um die Nachfolge keine Sorgen machen. Sein Sohn lernte zuerst Koch, nachher Bierbrauer. Die Lehre absolvierte Tobler junior in der Adler Brauerei in Schwanden. Sein Experte an der Lehrabschlussprüfung war Alois Gmür, Braumeister aus Einsiedeln. Der Kreis hat sich geschlossen.