Vor 66 Jahren verschmolz Nestlé den Firmennamen mit der Nahrungsmittel-Chiffre «Café». Das Resultat der Silbenvermählung, «Nescafé», ist heute die wertvollste Marke der Schweiz und die Nummer 23 der Welt. Inzwischen zwar im Rentenalter, hat der Power-Brand nichts an Vitalität eingebüsst. Die Marke verfügt heute über eine Leistungskraft, welche die Konkurrenz erblassen lässt.
Weltweit setzt Nestlé mit löslichem Kaffee über acht Milliarden Franken um; der Löwenanteil davon geht auf das Konto der Marke Nescafé. Pro Sekunde werden auf dem Globus rund 4000 Tassen Nescafé getrunken; der Marktanteil beträgt beeindruckende 57 Prozent. In der Schweiz liegt der Marktanteil mit 60 Prozent sogar noch leicht höher. Pro Jahr werden hier zu Lande 900 Tonnen Nescafé produziert und mit der Marke über 50 Millionen Franken umgesetzt. Der Begriff «Nescafé» ist längst mit dem Produkt verschmolzen, zum globalen Synonym für Instantkaffee avanciert – und hat damit die höchste Stufe der Markenbildung erklommen. Dass es so weit gekommen ist, ist Folge einer Mixtur aus Markenbewusstsein, Strategieüberlegungen und einer ganzen Reihe von zum Teil kuriosen Zufällen.
Am Anfang stand der Firmengründer selbst. Henri Nestlé, der gebürtige Deutsche, wanderte 1843 an die Gestade des Lac Léman aus, und kaum hatte sich der damals dreissigjährige Apothekergehilfe dort niedergelassen, sah er sich mit einem ernsthaften Problem konfrontiert. Der Vorname des Zugezogenen klang so gar nicht frankofon: So wurde aus dem teutonischen Heinrich ein Henri, was in den Ohren der Romands Wohlklang hatte. Der Nachname war noch schlimmer. In den Familienannalen des ursprünglich aus dem Württembergischen stammenden Familienclans existiert eine ganze Reihe von Namensvarianten – Nästlin, Nästlen, Nestlin, Nestlen –, denen eines gemeinsam ist: Sie klingen sehr deutsch. Ungeeignet für Menschen französischer Zunge, ungeeignet für die Markenbildung. So wurde aus dem deutschen Zungenbrecher das samtene «Nestlé», das – Zufall oder nicht – in praktisch allen europäischen Sprachen locker über die Lippen geht. Kein Zufall ist, dass Henri Nestlé seine Namenskreation zur Unternehmensbezeichnung macht, das aus seinem Familienwappen stammende Vogelnest avanciert zum Firmenlogo. «Sie können mein Nest nicht durch das Schweizer Kreuz ersetzen. Das Nest ist nicht nur mein Markenzeichen, es ist auch mein Familienwappen», urteilte der Firmengründer, «jeder hat das Recht, ein Kreuz zu benutzen, doch niemand darf sich meines Wappens bedienen.»
Dank dieser Exklusivität wird die erste Silbe des Firmennamens Jahrzehnte später Bestandteil der wertvollsten Marke im Konzern. Die zweite Silbe freilich bereitete dem Nahrungsmittelhersteller einiges an Kopfzerbrechen – so lange, bis Nestlé in der Lage war, konsumierbaren Instantkaffee zu produzieren.
«Ei! Wie schmeckt der Coffee süss, lieblicher als tausend Küsse, milder als Muskatenwein …» Diese Huldigung an das braune Gebräu dichtete kein Geringerer als Johann Sebastian Bach in seiner «Kaffee-Kantate». Mit seiner Hymne auf den Braunen hat Bach den aufgegossenen Kaffee geadelt, kaum aber die Instantvariante. Bis diese einigermassen geniessbar war, bedurfte es der wissenschaftlichen Arbeit ganzer Forschergenerationen. Viele von ihnen gaben mangels Erfolg auf.
Ein Japaner namens Sartori Kato war der Erste, dem es gelang, Kaffee-Extrakte zu pulverisieren, die durch die Zugabe von heissem Wasser ein braunes Gebräu ergaben, das man mit etwas Goodwill als Kaffee bezeichnen konnte. Hoffnungsvoll präsentierte Kato im Jahr 1901 anlässlich der Panamerikanischen Ausstellung in Chicago das Ergebnis seines Forschergeistes. Die Besucher zeigten sich beeindruckt von der Schnelligkeit, mit welcher der Japaner ihnen den Kaffee unter die Nase hielt. Doch kaum hatten die Messebesucher den ersten Schluck getrunken, war es mit der Freude vorbei: Der Kaffee war ungeniessbar. Von Sartori Kato hat seither niemand je wieder etwas gehört.
Im Jahre 1910 war es wieder ein Ausländer, der versuchte, den Amerikanern Kaffee in Pulverform schmackhaft zu machen. Ein englischstämmiger Belgier mit dem für amerikanische Ohren wohlklingenden Namen George Washington präsentierte der Nation erneut einen «Instant Coffee», einen Augenblickskaffee. Doch auch dieser Versuch ging buchstäblich in die Hosen. Der eigene Geschmackssinn lag den aufrechten Demokraten jenseits des Atlantiks näher als der Name ihres ersten Präsidenten und das ungeniessbare Produkt des Namensvetters.
Erst eine Notlage Brasiliens, des grössten Kaffeeproduzenten der Welt, führte in den Dreissigerjahren zu einer konzertierten Aktion ganzer Forscherstäbe, die schliesslich den Durchbruch brachte. In jenen Jahren erntete Brasilien Kaffee in solchen Tonnagen, dass die Überproduktion ins Meer gekippt oder verbrannt wurde. Die Kaffeeanbauer hofften, so den Zusammenbruch der Kaffeepreise verhindern zu können. 1930 wandten sich ein bekannter Politiker aus São Paulo und ein Vertreter des brasilianischen Kaffeeinstituts an den damaligen Nestlé-Präsidenten Louis Dapples. Ob es möglich wäre, fragten sie den Nestlé-Mann, eine praktikable Lösung zu finden, die Überschüsse guter Erntejahre in reduzierter Form zu lagern und dadurch den Sturz der Kaffeepreise auf dem Weltmarkt in Zukunft zu verhindern. Die beiden Südamerikaner schlugen vor, Nestlé solle ein Kaffeekonzentrat in Würfelform entwickeln, welches das Aroma bewahre und sich in heissem Wasser leicht auflösen lasse.
Louis Dapples, der Präsident, setzte das Nestlé-Forschungslabor in Vevey auf dieses Anliegen an. Acht Jahre lang tüftelten die Forscher an der delikaten Aufgabe herum, bis ihnen im Frühling 1937 der grosse Wurf gelang. Das heikle Problem, die flüchtigen Aromastoffe zu konservieren, lösten die Wissenschaftler durch die Beigabe von Kohlehydraten, und auch die Tücken der industriellen Fertigung bekamen die Techniker in den Griff. Das neuartige Erzeugnis wurde jedoch nicht in Würfelform angeboten, sondern als lösliches Pulver, was dem Konsumenten eine flexible Dosierung erlaubte. Der Instantkaffee stellte nach dem Kindermehl von Henri Nestlé und der Milchschokolade von Daniel Peter die dritte grosse Erfindung im Nahrungsmittelsektor dar, die in Vevey entwickelt worden war.
So war ein völlig neuartiges Produkt entstanden, das künftig unter dem Markennamen Nescafé verkauft werden sollte. Aus der Absicht, dieses Produkt in Brasilien herstellen zu lassen, wurde jedoch nichts. Die Zollschranken im lateinamerikanischen Land drohten den Export zu behindern, und darauf wollten sich die Nestlé-Manager nicht einlassen. So beschlossen sie, das Erzeugnis in verschiedenen Märkten herstellen zu lassen und in der Schweiz als Pilotprojekt unverzüglich mit der Produktion zu beginnen.
Die erste Nescafé-Fabrik wurde im waadtländischen Orbe gebaut, und am 1. April 1938 wurde der lösliche Kaffee als Weltneuheit in der Schweiz erstmals zum Verkauf feilgeboten. Die Markteinführung erfolgte praktisch ohne Werbeunterstützung, und das hatte seinen Grund: Die Produktionskapazität war begrenzt, und die Produktionsstrasse musste in diesen ersten Jahren immer wieder perfektioniert werden. Nach dem gleichen Muster zog der Konzern in kurzer Zeit auch Nescafé-Produktionsstätten in Frankreich, Grossbritanien und den USA hoch.
Ein Jahr nach der Markteinführung war in den Staaten hergestellter Nescafé auch in den USA erhältlich. Zunächst wurde das Produkt nur an ausgewählten Verkaufsstellen lanciert, weil der Hersteller erst die Akzeptanz beim Konsumenten testen wollte. Auch deshalb, weil Nestlé noch wenig Erfahrung hatte im Verkauf von Nahrungsmitteln, die nicht mit Milch in Verbindung standen. Die Vorsichtsmassnahme erwies sich als unnötig. Bei Beginn der ersten Verkaufskampagne im Juli 1940 rechnete Nestlé mit einem Jahresabsatz von maximal 100 000 Nescafé-Kisten – bis Ende Jahr wurden Monat für Monat bereits 6000 Kisten in 53 der 93 US-Städte mit über 100 000 Einwohnern an die Kundschaft gebracht. 1943 belief sich die Produktionskapazität in den USA auf eine Million Kisten pro Jahr.
Den Durchbruch schaffte Nescafé nach dem Angriff der Japaner auf Pearl Harbor und dem Kriegseintritt der USA. Im Gepäck der GIs verbreitete sich das Produkt überall dort, wo US-Soldaten auftauchten: als Befreier in Europa, als siegreiche Armee über die japanischen Streitkräfte. Konkurrenz erwuchs Nescafé dennoch. Da im Krieg ein wirksamer Patentschutz nicht durchzusetzen war, kopierten US-Hersteller die Erfindung der Schweizer, und bald war der Instantkaffee unter den verschiedensten Marken erhältlich. Das immerhin förderte die Verbreitung des Produkts überall auf der Welt. Und der Instantkaffee wurde in kurzer Zeit zu einem «allgemeinen Kulturgut», urteilt Nestlé-Biograf Jean Heer. Und Nescafé zu einem globalen Brand, der nach dem Krieg auch in Lateinamerika, ja selbst in der Sowjetunion und China erhältlich war – obwohl die Letztgenannten aus ideologischen Gründen den offiziellen Import verboten hatten.
Literatur zum Thema
Albert Pfiffner: Henri Nestlé (1814–1890).
Vom Frankfurter Apothekergehilfen zum Schweizer Pionierunternehmer.
Chronos, 1993.
Jean Heer: Nestlé – 125 Jahre von 1866 bis 1991.
Herausgegeben durch die Nestlé AG, 1991.
René Lüchinger: Bildmarken. Meilensteine der Markengeschichte.
Orell Füssli, 2003.