Scott Galloway, bei Facebook sind 50 Millionen Datensätze für Wahlkampfwerbung durch die Firma Cambridge Analytica missbraucht worden. Ist Facebook ein Opfer, wie es Mark Zuckerberg darstellt, oder ist die Firma selbst verantwortlich, weil sie ein Monster geschaffen hat, das nicht mehr zu kontrollieren ist?
Facebook ist sicher kein Opfer. Facebook ist ein Monster, ja! Aber Zuckerberg kann es immer noch kontrollieren. Er ist der mächtigste Mensch der Welt – weder Trump noch Putin können per Algorithmus beeinflussen, was ein Drittel der Menschheit sieht. Was Zuckerberg nicht kann, ist Krisenmanagement.
Sie meinen, weil er fünf Tage lang geschwiegen hat?
Wenn man der CEO einer Firma ist, die mehr Anhänger hat als das Christentum, und wenn es aussieht, als wäre diese Firma von fremden Geheimdiensten als Waffe eingesetzt worden, dann muss man das Problem sofort angehen. Aber es scheint, als hätten sich Mark Zuckerberg und Sheryl Sandberg erst einmal tagelang in die Höhlen von Kandahar zurückgezogen. Wo zum Teufel waren sie? Wir sind in der Mitte einer der am schlechtesten gemanagten Krisen der modernen Geschichte. Es ist ein Lehrbuchbeispiel, wie man es nicht tun soll.
Inzwischen hat Zuckerberg eine Reihe von Gegenmassnahmen angekündigt, damit so etwas nicht mehr passieren kann.
Das ist gar nichts. Als käme man mit einer Wasserpistole zu einem Vollbrand! Facebook sollte sofort alle politische Werbung stoppen, das würde das Problem lösen. Aber Zuckerberg weigert sich, das zu tun, weil die Umsätze dann sinken würden. Solange Facebook so hohe Gewinne macht, wird das Monster weiter wüten.
Ist jetzt die Regierung gefragt? Muss Facebook reguliert werden?
Das wäre jetzt wahrscheinlich fällig. Aber Regulierung ist schwerfällig und teuer, und clevere Firmen können sie umgehen. Ich glaube auch nicht, dass Washington den politischen Willen oder überhaupt die Expertise hat, die grossen Techfirmen zu regulieren. Die effizienteste Lösung wäre, Facebook zu zerschlagen. Bestimmt würde sich eine der neu entstandenen Firmen dann so positionieren: «Wir haben eine ganze Reihe an Sicherheitsmassnahmen installiert, um unsere Inhalte zu schützen. Und unsere Plattform kann nicht von fremden Mächten missbraucht werden.» Ich glaube, viele Anzeigenkunden wären dafür sehr empfänglich. Wettbewerb ist die Antwort auf dieses Problem, nicht Regulierung.
Wie viel Schaden aus diesem Vorfall wird Facebook davontragen?
Kurzfristig ein bisschen, mittel- oder langfristig fast gar keinen. Die Firma wird auch weiterhin immer schneller wachsen. In Washington wird man zetern, aber passieren wird nichts. Die Revolution wird auch nicht vom Konsumenten kommen. Die Leute sind stinksauer. Und wo drücken sie ihre Wut aus? Auf Facebook und Instagram! Der Schaden entsteht woanders, denn ich bin überzeugt: Der Missbrauch dieser Plattform wird noch schlimmer werden. Die Demokratie stirbt ein Like nach dem anderen!
Sie schreiben in Ihrem Buch, die vier Techgiganten Google, Apple, Facebook und Amazon, kurz GAFA, hätten mehr Einfluss und Macht als jede andere Organisation in der Geschichte. Warum ist das so?
Die kombinierte Marktkapitalisierung dieser vier Firmen ist grösser als das Bruttoinlandprodukt jeder Nation, mit Ausnahme von Deutschland, Japan, den USA und China. Zusätzlich haben sie gewaltigen Einfluss auf unser tägliches Leben: Facebook verändert Ihre Laune. Google sagt Ihnen, welche Informationsquelle die beste Antwort auf Ihre Fragen hat. Apple hat eine fast religiöse Anhängerschaft. Und Amazon übernimmt langsam, aber sicher jeden Bereich des Handels und des Konsums. Diese Firmen existieren länger als jede Regierung und sind mächtiger als jede Regierung! Vor 20 Jahren waren die fünf mächtigsten Firmen der Welt eine Mischung aus Finanzfirmen, Ölkonzernen und einem Technologieunternehmen, nämlich Microsoft. Heute sind alle fünf Big Tech.
Warum ist das ein Problem in der digitalen Welt?
Der Grundpfeiler des Kapitalismus ist Wettbewerb. Die GAFA sind so mächtig geworden und haben Zugang zu so viel billigem Finanz- und Humankapital, dass es sehr schwierig für kleine Firmen geworden ist, mit ihnen in Wettbewerb zu treten. Und gleichzeitig sterben deswegen andere etablierte Firmen, die oft grosse Arbeitgeber sind. Wenn Sie die Wirtschaftspresse lesen, könnten Sie vermuten, dass rund um die Welt neue Firmen entstehen in diesem grossartigen Innovationszeitalter. Die Wahrheit ist: Die Anzahl Neugründungen hat sich in den letzten 30 Jahren halbiert. Es ist fast nicht möglich, ein neues soziales Netzwerk erfolgreich aufzuziehen, das sehen Sie etwa an Snapchat. Es ist fast nicht möglich, eine neue E-Commerce-Firma finanziert zu bekommen. Die Investoren kaufen lieber gleich die Amazon-Aktie.
Amazon stösst in immer neue Bereiche vor. Gibt es irgendeine Branche, die vor Amazon sicher ist?
Das ist eine interessante Frage. Denn eine Grundidee der Wirtschaftslehre ist die der Kernkompetenz: Firmen können eine Sache richtig gut, den Rest lagern sie entweder aus oder machen ihn so wie alle anderen. Deshalb haben sich die Konglomerate der sechziger und siebziger Jahre längst aufgespalten. Aber Amazon ist in einer Reihe völlig verschiedener Branchen aktiv, und trotzdem funktioniert es. Und es scheint keine Grenzen für dieses Wachstum zu geben. So etwas haben wir noch nie gesehen.
Wie ist das erklärbar?
Amazon hat Zugang zu aussergewöhnlich billigem Kapital, weil man kaum Gewinne ausschüttet. Für jede Idee, die ein Konkurrent ausprobiert, kann Amazon deshalb zehn Ideen ausprobieren. Vor fünf Jahren hätten wir nicht gedacht, dass Amazon in den Lebensmittelhandel geht. Vor drei Jahren hätten wir nicht gedacht, dass die grössten Cloud-Anbieter Amazon und Google sein würden. Wir hätten nicht gedacht, dass selbstfahrende Autos oder das Gesundheitswesen diese Firmen interessieren würden. Und trotzdem gehen sie jetzt in diese Märkte. Kein Konsumentengeschäft ist sicher.
Was haben die Schweizer Banken zu befürchten?
Das grösste Asset in der Finanzindustrie ist Vertrauen. Weil ich der UBS oder der Swiss Re vertraue, schicke ich ihnen das zweitwichtigste in meinem Leben nach meinen Kindern, nämlich mein Geld. Und momentan ist laut verschiedenen Studien Amazon der vertrauenswürdigste Consumer Brand. Wenn Amazon ins Banking geht, wird sie eine ganze Menge an Assets abholen. Besonders von jungen Menschen, die in den nächsten Jahren viel Geld erben werden. Banking ist ein reifes Ziel für Amazon.
Und die Versicherungsindustrie?
Amazon geht traditionell in hochmargige Branchen. In der Versicherungsbranche sind die Margen sehr hoch. Und die Kernkompetenz dieser Branche besteht darin, den Zugang zu billigem Kapital sicherzustellen. Das sieht ganz nach einer Industrie aus, die Amazon disrumpieren möchte.
Wie also können Schweizer Banken und Versicherungen sich und ihr Geschäft vor Amazon schützen?
Das werde ich oft auch von Verwaltungsräten gefragt. Es gibt keine Kristallkugel und kein Wundermittel. Aber die wichtigste Antwort ist die naheliegendste: Sie müssen die Preise und die Gewinnerwartungen reduzieren. Die hohen Margen und Profite, welche die Schweizer Banken und Versicherungen bisher genossen haben, werden nicht mehr die Norm sein. Zweitens: Sie müssen mehr in Technologie investieren und diese besser verstehen, um mehr Wert mit weniger Kosten zu schaffen. Drittens: Sie müssen es schaffen, von jungen Menschen als so attraktiver Arbeitgeber wahrgenommen zu werden, dass sie die besten Talente anziehen können, um zurückzuschlagen. Momentan gehen die hellsten Köpfe nicht in die Finanzindustrie, sondern zu Big Tech.
Es gab immer wieder Firmen mit grosser Machtstellung, IBM, Microsoft oder Nokia etwa. Sie alle wurden irgendwann von anderen Firmen überholt, weil sie beispielsweise einen wichtigen Technologieschritt verpasst haben. Wird das den GAFA auch passieren?
Ja, das wird passieren. Kurz- und mittelfristig sehe ich allerdings nicht, woher das kommen soll. Es gibt keine Checks and Balances für die GAFA. Wenn eine Schweizer Bank vom russischen Geheimdienst missbraucht worden wäre, würde sie wahrscheinlich reguliert, mit Busse belegt oder gar zugemacht. Aber bei Facebook tun wir nichts. Das Justizdepartement lanciert auch kaum Wettbewerbsklagen. Dabei wäre es gut, alle vier Techgiganten zu zerschlagen!
Starker Tobak.
Es gibt dem Markt Sauerstoff, wenn zu mächtige Firmen zerschlagen werden. Hätte sich das Justizdepartement 1999 nicht Microsoft vorgeknöpft, hätte es Google nicht aus der Krippe geschafft, und eine Firma mit heute 75 000 hoch bezahlten Angestellten und 750 Milliarden Dollar Marktwert wäre nicht entstanden. Dann hätte Microsoft ihre Marktmacht dazu benutzt, ihre Suchmaschine Bing zu promoten, und Google aus dem Markt gedrängt – so wie im Browserkrieg Netscape. Eine Firma aufzubrechen, ist ein normaler Teil des Wirtschaftszyklus. Das haben wir mit den Eisenbahnen gemacht, das haben wir mit AT&T gemacht. Wir sind nun wieder an diesem Punkt im Zyklus.
Dafür gibt es keine Grundlage. Das US-Kartellrecht soll nicht die Konkurrenz stärken, sondern Konsumenten vor hohen Preisen schützen. Und die Dienste etwa von Google oder Facebook sind kostenlos. Wer sind denn die Kunden von Google und Facebook?
Sind das die Konsumenten oder die Werbetreibenden? Google und Facebook erhöhen langsam, aber sicher die Werbepreise aufgrund ihrer monopolartigen Stellung. Zahlreiche US-Firmen leiden darunter, aber sie können nichts dagegen tun, weil Google und Facebook 76 Prozent des digitalen Marketings ausmachen. Wenn man sein eigenes Onlinegeschäft ausbauen will, dann hat man keine Alternative zu diesen beiden Firmen.
Was können die europäischen Wettbewerbsbehörden tun? Dort herrscht eine andere Rechtsgrundlage.
Der Krieg gegen Big Tech wird dort ausbrechen, wo alle grösseren Konflikte des 20. Jahrhunderts ausgebrochen sind: in Kontinentaleuropa. Ich glaube, dass EU-Kommissarin Margrethe Vestager entweder die Mutter aller Strafen aussprechen oder sogar die Aufteilung der Big Tech verlangen wird. Ich würde mich auch nicht wundern, wenn ein kleines europäisches oder südamerikanisches Land eine dieser Firmen ganz verbieten würde. Und in Frankreich werden sie jetzt nach Umsatz statt nach Gewinn besteuert, damit sie keine Steuerschlupflöcher nutzen können. Frankreich sagt sich: Diese Firmen sind die profitabelsten der Geschichte, und wir bekommen bisher davon nur einen Bruchteil der Vorteile ab, keine Steuern, aber all die Nachteile wie wettbewerbswidriges Verhalten, Zerstörung von einheimischen Firmen, Arbeitsplatzverlust. Big Tech sind sehr effektive Vehikel, um Wohlfahrt vom Rest der Welt in die USA zu transferieren.
Wie sehen Sie die Macht der chinesischen Big Tech: Baidu, Alibaba und Tencent?
Das sind unglaubliche Firmen. Sie sind gross geworden, indem sie das geistige Eigentum von amerikanischen Firmen gestohlen haben. Und jetzt sind sie selber Innovatoren. In China gibt es keine Wettbewerbsbehörde. Dort hat man kein Problem mit «The winner takes it all».
Das spricht dagegen, die GAFA zu zerschlagen. Ihre Chancen im Wettbewerb gegen China wären kleiner.
Die meisten chinesischen Firmen tun sich schwer damit, den Weltmarkt zu erobern. Der dominante Player in der am schnellsten wachsenden Wirtschaft der Welt zu sein, reicht ihnen schon. Oder bestellen Sie bei Alibaba?
Ab und zu.
Wow. Die meisten Amerikaner wissen nicht mal, dass Alibaba existiert. Aber zurück zur Frage: Wenn man die GAFA in zehn oder elf einzelne Firmen aufteilte, wären diese besser aufgestellt, um gegen jeden Rivalen auf der Welt zu bestehen. Die Angst, dass die chinesischen Firmen sie überrollen, ist übertrieben.
Wie werden die GAFA in drei Jahren aussehen?
Amazon wird noch dieses Jahr Apple als wertvollste Firma der Welt überholen. Facebook wird an Wert verlieren. Nicht weil das Geschäft nicht mehr wachsen würde, sondern weil die Regulierung die Gewinne reduzieren wird.
Und Apple und Google?
Apple wird weiterhin der beste Brand der Welt sein, aber an Wert verlieren: Sie haben den wichtigsten Kampf verloren, jenen um sprachgesteuerte Assistenten. Vor fünf Jahren waren sie die Ersten, aber Amazons Alexa und Google haben Apple inzwischen klar überholt. Google wird weiter an Wert gewinnen, denn die Firma hat die beste Firmenkultur aufgebaut, um die schlausten Köpfe zu gewinnen und zu behalten: Bei Google finden Sie die grösste Konzentration an menschlicher Intelligenz, die jemals in einer Firma versammelt war.
Wer wird die nächste Big-Tech-Firma sein?
Man kann argumentieren, dass Microsoft bereits dazugehört. Die Firma ist sehr gut gemanagt und erlebt gerade eine Renaissance. Aus Konsumentensicht würde ich sagen, die nächste ist wahrscheinlich Netflix. Der zweitwichtigste Bildschirm in unserem Leben ist der Fernseher. Und die Millennials in den USA schauen inzwischen mehr Netflix als alle Fernsehprogramme zusammen. Auch in Europa wächst Netflix schnell. Von den Old-Economy-Firmen hat Disney die besten Chancen. Sie haben so unglaublich viel guten Content, dass sie ein ähnliches Abo-Modell wie Netflix anbieten könnten. Werbefreie, abonnementbasierte Medien sind die Zukunft.