Sie haben viele Räume, aber die Musik ist nie da, wo Sie sich befinden? Michael Kägi kann ein Lied davon singen. Und gleich auch ein paar elegante Varianten präsentieren, denn er hat sich schlaugemacht, kennt Geräte, Möglichkeiten und Grenzen wie kaum ein anderer. Und alles nur, weil er niemanden mit diesem Know-how finden konnte, als er für sich privat nach einer Lösung für sein kleines Luxusproblem suchte.
Eine Nachfrage, kein Angebot – Kägi, ein unternehmerisch tickender Mensch, erstellte einen Businessplan, gründete 2009 in Zürich seine Firma Klangwandel und eröffnete kurz darauf einen Laden (siehe «Der Wiederholungstäter»). «Ich bestellte von jedem Gerät eines, testete es und behielt diejenigen, die mich überzeugten», sagt er. Es sind 70. Das Geld, das er investierte, ist sein eigenes. Kägi brauchte dank dem Vermögen, das er durch den Verkauf seines ersten Unternehmens, Minick, gemacht hatte, kein Fremdkapital für seinen Neustart. Nie hätte er gedacht, dass einst ein Hi-Fi-Verkäufer aus ihm würde. Was er aber immer wusste: «Ich bleibe selbständig.» Warum? «Ausser während der Ausbildung hatte ich nie einen Chef», sagt er. «Und nun bin ich wohl einfach zu alt dafür.»
Das mit dem Alter hat etwas, aber mit umgekehrten Vorzeichen: «Der typische Jungunternehmer macht sich mit 43 Jahren selbständig», sagt Beat Schillig. «Viele der neuen Firmen gründen Leute, die davor im Kader einer Firma sassen und unzähligen Chefs dienten.» Schillig muss es wissen. Er ist Mitinhaber des Instituts für Jungunternehmen in St. Gallen. Er gründete es Ende der neunziger Jahre und gilt heute als Pionier jener Szene, die sich hierzulande zum Thema Selbständigkeit formierte. Sie ist riesig: Allein zum Begriff «Businessplan erstellen» – «ohne den geht bezüglich Finanzierung gar nichts», so Schillig – liefert der Internetsuchdienst Google aus der Schweiz fast 10000 Hits. Ämter, Berater, Softwarefabrikanten und Institute wie dasjenige von Schillig buhlen um Kundschaft.
Schillig hat sich auf Spin-offs an Unis und Jungunternehmen spezialisiert. Für die KTI, die Förderagentur für Innovation des Bundes, entwickelte er das Trainingsprogramm Venturelab: Es steht künftigen Unternehmern offen und versorgt diese mit Know-how und Kontakten zu Investoren. 16000 Teilnehmer haben seit dem Start vor sieben Jahren in 2100 Modulen gelernt, ihre Geschäftsideen in einen Businessplan zu verwandeln – und aufgrund von Fakten zu beurteilen, ob sie das Abenteuer wagen wollen.
Priska Schoch und Gaby Stäheli haben Venturelab hinter sich. Es war ein Segen. «Einen Businessplan zu erstellen, war das Beste für uns», sagt Priska Schoch. Aus ihrer Idee entstand Gryps, ein Online-Offertenportal für KMU, das seit 1. Februar 2010 aufgeschaltet ist (siehe «Die Jungunternehmerinnen»). Schoch und Stäheli arbeiten mehr und verdienen weniger denn je. Frustriert? «Im Gegenteil», sagt Gaby Stäheli. «Es fühlt sich ganz anders an, wenn man selbst entscheidet, ob man am Sonntag arbeitet.»
Selbständige sind zufriedener als Angestellte – obschon sie das wirtschaftliche Risiko tragen, sich nicht gegen Erwerbslosigkeit versichern können, keine bezahlten Ferien haben, keine Kinderzulagen bekommen und hohe Sozialabgaben leisten.
Hoher Wert. Zu diesem Schluss kam eine breit angelegte Studie des renommierten Zürcher Professors Bruno Frey. Seine Umfrage bei über 3000 Schweizer Haushalten ergab, dass Menschen nicht nur das Resultat ihrer Arbeit bewerten, sondern vor allem die Bedingungen, unter denen es zustande kommt: «Being independent is a great thing» – so das Fazit und der Titel der Studie. Das Ergebnis deckt sich mit Umfragen in Westdeutschland und England über einen grösseren Zeitraum. Der Wert der Selbstständigkeit ist für alle der gleiche: Selbstbestimmung. Die einstige Nestlé-Managerin Andrea Pfeifer, CEO von AC Immune, berichtet: «Als Unternehmerin kann ich Dinge an die Hand nehmen und schnell umsetzen. Das ist sehr befriedigend.» (Siehe «Die Visionärin»)
Die Schweiz gilt als Gründerparadies. Im letzten Länderreport des internationalen Forschungsprojekts Global Entrepreneurship Monitor (GEM) steht, die Rahmenbedingungen für eine unternehmerische Tätigkeit seien in der Schweiz generell gut. Insbesondere für Frauen. Hierzulande werden 40 Prozent aller Unternehmen von Frauen gegründet, was international überdurchschnittlich ist. Besonders Anfang der neunziger Jahr entdeckten die Frauen gemäss der Schweizerischen Arbeitskräfteerhebung die berufliche Selbständigkeit. «Frauen erreichen in der Selbständigkeit eine bessere Work-Life Balance als im Angestelltenverhältnis», sagt Brigitte Baumann, CEO von Go Beyond, einer Plattform für Business Angels. Und: «Viele Frauen melden sich zwischen 40 und 50 aus der Corporate World ab, um etwas zu tun, an das sie wirklich glauben.»
Eine von ihnen ist Amy Stierli. Sie hat mit Mitte vierzig den Traum einer eigenen Insel auf den Malediven mit einem Resort nach ihren eigenen Vorstellungen verwirklicht (siehe «Die Umsteigerin» links). Mit grossem Erfolg: Ihr Resort gilt inzwischen als eines der besten in der Region. Die ehemalige Tourismusmanagerin ist zufrieden mit sich selbst, schliesslich lebt sie aus, wovon viele bloss träumen. Klar hat das auch seinen Preis: «Es gibt keine Wochenenden und keine Ferien, keine Tage, an denen man nichts mit dem Geschäft zu tun hat.»
Ob Vision, Marktlücke oder Midlife Crisis: Firmen werden aus ganz unterschiedlichen Motiven gegründet.
Frei sein. Der Sprung in die Selbständigkeit bedarf einer Menge Tricks. Einige tausend Firmen gehen jedes Jahr in Konkurs, nur jede zweite Neugründung hält mehr als fünf Jahre. Die Gründe fürs Scheitern sind vielfältig und reichen von schlechter Vorbereitung über eine falsche Einstellung bis hin zu fehlendem Verkaufstalent und Geldnot. Trotzdem wird die Schweiz jedes Jahr um insgesamt rund 30000 Firmen reicher (siehe Grafik «Viele Pleiten» in «Selbständigkeit: Zahlen und Fakten» im Anhang). Gemäss der Wirtschaftsauskunft Dun & Bradstreet sind so in den letzten zehn Jahren rund 1,6 Millionen neue Arbeitsplätze entstanden.
Dabei starten die meisten Selbständigen hierzulande ohne grosse Ambition – ganz im Gegensatz zu den USA. Dieses Resultat liefert der Global Entrepreneurship Monitor: 80 Prozent der Neugründer erklärten, sie hätten sich nicht aus Hunger nach Geld oder Prestige zur Selbständigkeit entschlossen – sondern weil sie frei sein wollten.
Einer, der zu den 20 Prozent gehört, die sich vorgenommen haben, als Unternehmer weit zu kommen, ist Peter Schüpbach. Vor zehn Jahren ist er mit seiner Softwareschmiede Miracle fulminant gescheitert. Nun will er es nochmals wissen. Sein Neustart heisst FashionFriends und ist der erste Online-Shopping-Club der Schweiz (Siehe «Das Stehaufmännchen»). FashionFriends kauft von Markenfabrikanten und Läden wie Grieder Lagerposten auf und verhökert sie via Internet an die Mitglieder. Das Geschäft läuft wie am Schnürchen. Tausende reissen sich um die Handtaschen von Burberry, Shirts von Abercrombie & Fitch und Sonnenbrillen von Diesel, die Schüpbachs Crew aufspürt. Der Clou: Im Angebot sind nur angesagte Labels, und das mit Preisabschlägen von bis zu 70 Prozent.
Schüpbach ist 2009 mit einer Handvoll Mitarbeitern gestartet, heute beschäftigt er 60. Statt der geplanten 9 Millionen Franken erreicht er dieses Jahr bereits einen Umsatz von 15 Millionen. Damit habe er nicht gerechnet, sagt er. Den Businessplan hat er längst nach oben korrigiert und seine Ziele höher gesteckt. Sein Antrieb? «Es ist einfach traumhaft, etwas aufzubauen.»