In der Fahrzeug- und Softwareindustrie gelten selbstfahrende Autos als das ganz grosse Zukunftsprojekt. Aber Unternehmen von Google Inc. über Mercedes-Benz bis Volvo Cars haben in ihren teils jahrelangen Versuchsreihen für das mühelose autonome Fahren vor allem eine ernüchternde Erfahrung gemacht: Selbst die ausgeklügelsten Systeme sind nicht immer immun gegen Menschliches Versagen.
Steiniger Weg zum autonomen Fahren
Beispiel Volvo: Ein Mitarbeiter wollte neue Sicherheitsfeatures eines Fahrzeugs demonstrieren und steuerte den Wagen absichtlich in Richtung einer Personengruppe. Ausgerüstet war der SUV vom Typ XC60 mit einer autonomen Bremsfunktion, die bei Kollisionsgefahr mit Fussgängern selbsttätig eingreifen sollte. Das tat sie allerdings nicht, und erst das beherzte Eingreifen des Fahrers verhinderte offenbar Schlimmeres.
Solche und ähnliche Geschichten pflastern den steinigen Weg zum autonomen Fahren. So hatten die unförmigen Autos aus dem Hause Google in den letzten sechs Jahren insgesamt 13 Unfälle - der letzte erst in der abgelaufenen Woche, als ein weiteres Google-Fahrzeug an einer kalifornischen Kreuzung von hinten angefahren wurde. Die so genannten Smartcars sollten eigentlich Unfälle komplett ausschliessen. Stattdessen offenbart ihr Betrieb immer wieder Probleme bei der Interaktion zwischen Mensch und Computer.
Bis auf weiteres Zukunftsmusik
Je mehr Funktionen vom Fahrzeug selbst autonom übernommen werden, desto drängender wird das Problem der Kontrolle zwischen der Maschine und einem möglicherweise abgelenkten Fahrer, sagt der OECD-Ökonom Philippe Crist. Er hat am 28. Mai eine Studie zum Thema autonomes Fahren veröffentlicht. Das ist einer der Gründe, sagt er, warum vollautomatisch funktionierende Fahrzeuge bis auf weiteres Zukunftsmusik bleiben werden. Überdies, sagt Crist, könnten solche Autos ganz neue Unfallformen nach sich ziehen.
Die von Herstellern als Ziel angepeilten Roboterautos mögen noch viele Jahre Entwicklungsarbeit benötigen. Ein Trend zeichnet sich aber seit Jahrzehnten ab. Immer mehr Fahrzeugsysteme funktionieren autonom und sollen den Fahrer in bestimmten Situationen entlasten. Die Überlegung dahinter ist klar: Die eher langweiligen bis lästigen Pflichten beim Autofahren, beispielsweise im dichten Feierabendverkehr, soll das Fahrzeug selbst erledigen können. Extras wie diese gelten als Milliardenmarkt, wie die Unternehmensberater der Boston Consulting Group feststellten.
Computer legt Verkehrsregeln anders aus
Die vollautomatischen Fahrzeuge von Google sind vermutlich deshalb so oft in Unfälle verwickelt, weil die Computersteuerung Verkehrsregeln anders auslegt, als es ein menschlicher Fahrer täte, wie Crist feststellte. Projektleiter Astro Teller von Google bestätigt das: «Das Auto hat gestanden. Weder der Computer noch der Mensch sind gefahren. Das Auto wurde einfach von hinten von einem anderen Auto getroffen», sagt er zum letzten Unfall aus der Google-Fahrzeugflotte. So seien die meisten der Unfälle verlaufen.
Derzeit sind etwa 94 Prozent aller Unfälle auf menschliches Versagen zurückzuführen. Da kann Entlastung von Seiten des Computers eigentlich nur nützen. «Wir sind überzeugt, dass Fahrerassistenzsysteme die Unfallzahlen senken», sagt Unfall- und Risikoforscher Eric Schuh von der Swiss Re AG in Zürich.
Am effektivsten ohne menschliches Zutun
Am effektivsten funktioniert moderne Sicherheitstechnik derzeit ohne menschliches Zutun. Das weiss Igor Kryuchkov von T3 Risk Management SA in Genf aus erster Hand. Im letzten Monat bewegte er sein schweres BMW-Coupé der 6er-Reihe auf einer französischen Autobahn in Richtung Heimat. Mit an Bord seine Frau und sein zweijähriger Sohn. Ein VW-Golf wechselte plötzlich und ohne Vorwarnung auf seine Fahrspur.
Der BMW war ausgerüstet mit einem Kollisionsvermeidungssysten, das vollautomatisch die Vollbremsung einleitete und gleichzeitig die Gurte straffte. Das alles in einem Sekundenbruchteil, lange bevor Fahrer Kryuchkov überhaupt reagieren konnte. «Man würdigt solche Systeme erst, wenn man es selbst erlebt hat», sagt er, «das ganze Auto hat sich gestrafft und auf den Einschlag vorbereitet». Der blieb dann glücklicherweise aus.
(bloomberg/ccr)