Die Begrüssung war schlicht: «Liebe alle! Heute ist ein wichtiges Datum. Von jetzt an erfährt ihr direkt von Swiss alles über News, Promotionen und Gewinnspiele.» Berühmte erste Worte, mit denen die nationale Airline am 19. Mai 2009 ihren offiziellen Auftritt auf Facebook lancierte. Christian Lüdi war vom ersten Moment an dabei. Ab Mai 2009 bekleidete er bei Swiss einen Job, den damals kein Berufsberater kannte: Community-Manager. Swiss hatte die virtuelle Startrampe von einem Fan übernommen, der eigenhändig eine Gruppe auf Facebook gründete und für Input sorgte. Bis Mai 2009 brachte er eine Fan-Basis von 300 Leuten zusammen. Eine Anzahl Likers, die locker in zwei Mittelstreckenflugzeugen Platz gefunden hätte. Heute spricht Lüdi zu einem Publikum, das von der Grösse her 765 vollbesetzten Maschinen vom Typ Airbus A321 entspricht.

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Mit dem offiziellen Start vor dreieinhalb Jahren gehört die Airline hierzulande zu den Social-Media-Frühstartern, Lüdi geht mit seinen 32 Jahren schon als Veteran der Social-Media-Szene durch. Twitter war damals noch kaum ein Thema in der Unternehmenswelt, auf Facebook tummelte sich weltweit erst ein Fünftel der heute rund eine Milliarde zählenden User, und unter «Shitstorm» verstand man bestenfalls eine analoge Schlechtwetterlage. «Man konnte nirgends etwas abschauen», erinnert sich Christian Lüdi, «es war die Ära des ‹trial and error›.»

Kleine halten mit. Mittlerweile spielt die Airline auf der digitalen Bühne eine führende Rolle. Im zweiten Social-Media-Ranking der BILANZ steht Swiss an erster Stelle, gefolgt von Swisscom. «Beide Brands investieren in einen professionellen und kundenfreundlichen Online-Auftritt über verschiedene Kanäle», lobt David Eicher, Gründer und Geschäftsleiter von Webguerillas. Die Agentur für alternative Werbeformen hat für BILANZ das aktuelle Ranking der 50 stärksten Schweizer Marken zusammengestellt. Es ist durch eine Erweiterung der Kriterien zwar nicht direkt vergleichbar mit der ersten Auflage vom Frühling 2011. Neu wurde unter anderem die Reichweite (Followers/Likers) in die Bewertung aufgenommen, die Interaktivität stärker berücksichtigt und der Zeitraum massiv ausgedehnt. In den Grundzügen aber manifestieren sich ähnliche Ergebnisse: Jede der 50 Marken ist auf irgendeine Art aktiv in den Social Media. Die meisten binden neben Facebook auch Videokanäle in die Kommunikation ein, behandeln das Thema Markenblog aber eher stiefmütterlich. Kleinere nationale Unternehmen wie Rivella oder Appenzeller Käse können im Konzert der Giganten mithalten. Banken bekunden weiterhin Mühe, Social Media attraktiv zu nutzen, Uhrenmarken hingegen zeigen sich stark in dieser neuen Disziplin.

Zwei Geschwindigkeiten. In den Social Media, sagt Online-PR-Spezialist Marcel Bernet, zeige sich eine Schweiz der zwei Geschwindigkeiten. «First Movers wie Swiss kommen in eine Maturitätsphase, Grossunternehmen sind daran, Social Media in all ihre Geschäftsprozesse zu integrieren. Viele KMUs aber steigen erst jetzt überhaupt ein.» Wer schon länger dabei ist, richtet seine Online-Kommunikationskanäle neu aus. Lotete man bei Swiss zu Beginn hauptsächlich Produktneuigkeiten und Wettbewerbe aus, so sieht man Social Media gemäss Lüdi nun hauptsächlich als Kundenservice- und Kundenbindungs-Werkzeug. Bis Anfang 2012 beantwortete der Community-Manager noch jede Anfrage selber, heute wird er von einem rund 30-köpfigen Team unterstützt, das die virtuelle Welt der Swiss rund um die Uhr fünfsprachig in Callcentern in Basel und Kapstadt im Auge behält.

Anders als Swiss wagten sich die SBB erst viel später offiziell auf Facebook. Drei Jahre nach der Airline begannen die Bundesbähnler ihre «Reise auf Facebook», wie sie es am 4. Juli 2012 ankündigten. Die Social-Media-Newcomer schafften es damit auf den sechsten Platz im Ranking, besser als Marketing-Schwergewichte wie Omega, Rolex oder Nespresso. Eine starke Leistung von Eliane Tschudi (37), die seit September als Social-Media-Managerin bei den SBB amtet. Mit den Social Media will die SBB Dialogfähigkeit, Effizienz und Kundenzufriedenheit erhöhen, «die Kunden sollen schnell und kostenlos mit uns in Kontakt treten können». Das tun sie – und oft sehr heftig. In den allermeisten Fällen wird die SBB-Site auf Facebook als eine Art elektronischer Blitzableiter benutzt. Von zehn Postings sind neun eine Schelte und nur eines ein Lob. Es sei zu Beginn nicht immer leicht gewesen für die 20 Angestellten in der Kontaktstelle Brig, die eine Facebook-Schulung durchlaufen haben und den Kunden virtuell Red und Antwort stehen.

Oft, sagt Tschudi, gelinge es, die virtuell Reisenden schnell zu besänftigen. Dies auch deshalb, weil man intern eine sehr sportliche Reaktionszeit befolge: «Innert vier Stunden soll der Kunde auf Facebook eine Antwort von uns erhalten.» Finanzielle Kennzahlen spielen dabei eine untergeordnete Rolle. Im Vordergrund stehe bei den SBB die Maxime, per Social Media die Imagewerte und die Kundenzufriedenheit zu erhöhen.

Social Absentia. Ganz am Ende der Top 50 finden sich zwei Spezialfälle aus der Schweizer Markenwelt. Beim Hörgerätehersteller Phonak (Sonova Holding), einer Business-to-Business-Vertriebsgesellschaft, machen die Schweizer Facebook- und Twitter-Accounts einen ungepflegten bis inaktiven Eindruck, die Social-Media-Kanäle sind auf der Firmen-Website nicht verlinkt. «Wir haben uns bei Phonak bisher darauf fokussiert, Erfahrungen und Erkenntnisse aus den verschiedenen Ländern, in denen wir tätig sind, zu sammeln und zu sehen, was funktioniert und was nicht», sagt Hans Tuithof, Direktor Interactive Marketing. Potenzial gäbe es auf jeden Fall: «Dank zielgerichteten Kampagnen haben wir herausgefunden, dass gerade Menschen mit einem starken Hörverlust sehr aktiv in den sozialen Medien sind.»

Coop verweigert sich, ganz anders als die glänzende Dauerrivalin Migros, fast allen Social-Media-Kanälen, was erstaunt. Denn nahe am Verkaufspunkt zeigt Coop viel Innovationskraft, lässt die Kunden per iPhone ihre Einkäufe scannen oder per Smartphone Bestellungen auf einer Posterwand tätigen. Facebook und Co. hingegen spielen eine untergeordnete Rolle. Man verfolge, heisst es in Basel, eine eigene Online-Kommunikationsstrategie und setze Social-Media-Elemente nur gezielt und kampagnenbezogen ein.

Hauptgrund der selbst gewählten Abstinenz: «Für Coop steht der finanzielle und personelle Aufwand im Verhältnis zur kommunikativen Wirkung in vielen Bereichen derzeit noch in einem Missverhältnis.» Damit sprechen die Basler einen der heissesten Punkte an: den Return on Investment. Was schaut für das Unternehmen ganz konkret heraus bei den virtuellen Aktivitäten? Und wie misst man das?

Finanzchefs, die es gewohnt sind, mit Massstäben wie Umsatzrendite, Zinsaufwand und Kapitalumschlag zu hantieren, beissen bei Social Media oft auf Granit. So leicht lassen sich Aktivitäten auf Facebook und Co. nicht messen, vor allem wenn auch weichere Themen wie Image oder Kundenzufriedenheit ins Spiel kommen. Webguerillas-Chef David Eicher (siehe Interview links) sieht das anders: «Wer den Social Return nicht messen kann, ist bloss zu träge, ihn zu ermitteln.»

 

Kostenlose Marktforschung. Oft seien über Kanäle wie Facebook Einsparungen zu erzielen, etwa bei der Entwicklung neuer Produkte in Zusammenarbeit mit den Usern oder im Kundendienst. Der Markenexperte Dominique von Matt sieht daneben ganz neue Auswirkungen. Social Media könnten beispielsweise helfen, Retourenquoten von Versandhändlern zu optimieren. «Kunden, die ihre Kleider Facebook-Freunden zeigen, schicken die georderte Ware weniger oft zurück, weil sie sich damit bereits virtuellen Applaus geholt haben.» Einsparungen erkennt auch Christian Lüdi von Swiss: «Mit den Social Media betreiben wir quasi kostenlose Marktforschung und können uns das Geld für Fokusgruppen sparen.»

Unternehmen, die ihre Super-User als (kostenlose) Problemlöser für die Community einsetzen, sparen ebenso Geld. Aber sie öffnen sich dabei auch in einem Masse, das vielen Marken aus der Old Economy fragwürdig erscheint. Erfolg messen Schweizer Firmen meist, indem sie nachverfolgen, wie viele Besucher sie von ihren Social-Media-Plattformen auf die eigene Website umleiten können. Weitere wichtige Messgrössen sind die Entwicklung von Likers und Followers sowie die Intensität des Dialogs. Das Thema des Social Media Returns sei in Entwicklung, sagt Dominique von Matt: «Da entstehen neue soziale Spielregeln, die jedes Unternehmen für sich lernen muss.» Was für ihn klar ist: «Social Media sind längst kein Hype mehr. Es ist ein Trend, der immer wichtiger wird.»

Neben den elektronischen Kanälen bleiben aber auch konventionelle Medien wichtig, was sich in der starken Offline-Online-Wechselwirkung bei der Themensetzung zeigt.

Wenn Zeitungen, Radio und Fernsehen ein Thema stark forcieren, wird das in der Regel auch heftigen Niederschlag bei Facebook und Twitter finden. «Das eine treibt das andere an», sagt Manuel P. Nappo, Studienleiter Social Media Management an der HWZ Hochschule für Wirtschaft Zürich. Das Fernsehen etwa wirke oft als Brandbeschleuniger für Themen – «und via Social Media haben Marken dann die Möglichkeit, dazu einen öffentlichen Dialog zu führen».

Neben dem Kundendialog gewinnen Social-Media-Plattformen für Personalverantwortliche an Relevanz: «Wir setzen Plattformen wie Xing und LinkedIn aktiv zur Rekrutierung ein», sagt Hans Tuithof von Phonak. Ab 2013 wolle man zudem einen Schritt weiter gehen und einen erfahrenen Social-Media-Manager einstellen, «der sich nur mit der Umsetzung unserer Strategie beschäftigen wird». Solche Bestrebungen sind für Nappo ein Beweis mehr, dass die Phase der künstlichen Erregung vorbei ist: «Der Bedarf nach Aus- und Weiterbildung auf dem Gebiet der Social Media hat sich etabliert. Es werden Stellenprozente geschaffen, zumal auch die extreme Verlagerung der Konsumenten auf mobile Endgeräte wie Smartphones und Tablets neue Bedingungen schaffen wird.»

 

Profis gefragt. Auch bei Swiss sind Fachkräfte gefragt, die über soziale Plattformen kommunizieren können. Die Airline, die mit der Konzernmutter Lufthansa einem strengen Spardiktat gehorchen muss, baut aus. «Wir stellen in New York, Tokio, Mumbai und Shanghai sogenannte E-Liners ein, das sind Social-Media- und Online-Spezialisten, die wichtige Communities quasi vor Ort betreuen», sagt Christian Lüdi. Zudem will man demnächst auf dem chinesischen Micro-Blogging-Dienst Weibo aktiv werden. Wobei man auch einmal in Sälen spricht, die nicht so voll sind wie erhofft: «Von Plattformen wie Friendfeed und Delicious haben wir uns zurückgezogen, weil dort das Bedürfnis zu gering war.»

Wichtig bleibt auch 2013 bei den Social Media, dass sich Marken nicht bloss selber darstellen, sondern ihren Zuhörern und Zuschauern Mehrwert bieten. «Die angebotenen Services und Inhalte müssen für die Gemeinschaft relevant sein. Hier nehmen sich viele Unternehmen noch zu wichtig und stellen ihre Interessen über jene der Community. Zuhören ist besser als gleich loslegen!», sagt David Eicher. Ein Interaktions-Imperativ, der dazu führt, dass Leute wie Swiss-Community-Manager Christian Lüdi da und dort als CLO – Chief Listening Officer – betitelt werden. Was dem Community-Manager der Swiss einleuchtet: «Das trifft es ganz genau. Zuhören ist in diesem Job die wichtigste Eigenschaft.»