Drei Tage in einer kleinen Kabine zu sitzen, voll konzentriert, und niemals länger als 20 Minuten schlafen: Pilot Bertrand Piccard setzt sich auf der ersten Etappe mit der Solar Impulse 2 nach neun Monaten Zwangspause gleich wieder extremen Anforderungen aus. Er übersteht die 72-Stunden-Strecke von Hawaii gen Kalifornien mit Kurzschlaf und Gymnastik im Sitz. Den Schlafmangel haben er und sein Kollege André Borschberg trainiert, bevor sie mit ihrem Solarflieger zur Weltumrundung aufbrachen. Schlafforscher Raphael Heinzer war dabei: Er weiss, warum ein Nickerchen in grosser Höhe gefährlich werden kann.

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Herr Heinzer, wie haben Sie heute Nacht geschlafen?
Raphael Heinzer*: Sehr gut, danke. Allerdings schlafe ich manchmal zu wenig, aufgrund von Arbeit. Auch wenn man das nicht tun sollte. Es ist sehr wichtig, den eigenen Schlafrhythmus zu respektieren, ob das nun bedeutet, sechs oder neun Stunden zu schlafen. Auch wenn Sie acht Stunden schlafen, obwohl Sie neun brauchen, kann das belasten.

Wenn es bereits heikel ist, acht statt neun Stunden zu schlafen – welche Auswirkungen haben Sie bei André Borschberg und Bertrand Piccard festgestellt, die während ihrer Flüge mit der Solar Impulse 2 extrem reduziert schlafen?
Um das herauszufinden, haben sich beide Piloten einer 72-Stunden-Flugsimulation unterzogen. Sie haben ein Cockpit am Flughafen Dübendorf aufgebaut, das gleiche wie das der Solar Impulse II. Wir haben auch starke Lampen über ihren Köpfen installiert, um Tages- und Nachtzeit zu simulieren. Es war eine grossartige Simulation.

Was haben Sie herausgefunden?
Wir haben die Gehirnaktivität während der gesamten Zeit aufgezeichnet, um zu unterscheiden, wenn der Pilot wach oder schläfrig war und wann er schlief. Wir konnten auch Leicht- und Tiefschlafphasen unterscheiden. Alle zwei Stunden haben wir ihre Reaktionen getestet und ihre Reaktionszeit festgehalten.

Wie haben Sie die Reaktionen getestet?
Ein Licht leuchtete in unregelmässigen Intervallen und der Pilot musste einen Knopf drücken, um das Licht auszuschalten. Wir haben auch Tests durchgeführt, um zu prüfen, wie es angesichts des ungewöhnlichen Schlafrhythmus um ihre Konzentrationsfähigkeit bestellt war. Wir verfügten auch über einen neuen Antigraphen, den uns die Nasa zur Verfügung gestellt hatte, die auch an dem Versuch interessiert war. Mit einem solchen Gerät werden die Bewegungen der Handgelenke vermessen. Die Nasa macht ähnliche Experimente und wollte die Ergebnisse vergleichen.

Warum schlafen die Piloten nur für kurze Zeit?
Die Piloten haben sich für diese Zeitspanne entschieden, weil sie die Instrumente maximal so lange unbeobachtet vom Autopiloten fliegen lassen können. Wir hatten mit Einhandseglern trainiert, die alleine mit ihrem Boot unterwegs sind, alle zwei Stunden zu schlafen. Das können die Piloten nicht, weil sich die Bedingungen während des Fluges stetig verändern. Manchmal schlafen sie 20 Minuten, wachen für fünf Minuten auf, und können dann nochmals 20 Minuten schlafen. In anderen Momenten mussten sie vier oder fünf Stunden ohne Schlaf auskommen.

Warum?
Boschberg und Piccard dürfen zum Beispiel nicht schlafen, wenn sie in grosser Höhe sind, weil sie dann auf ihre Sauerstoffmaske angewiesen sind und wir befürchteten, sie könnten diese verlieren. Und dann würden sie bewusstlos werden.

Um sich zu erholen, braucht der Körper Tiefschlaf. Wie viel haben die Piloten davon während des 72-Stunden-Tests bekommen?
Das war sehr interessant. Zu Beginn blieben sie manchmal die gesamte eingeplante Schlafphase wach, auch wegen der Aufregung. Aber am zweiten und dritten Tag nahm der leichtere Schlaf ab, sie fielen schneller in den Tiefschlaf. Das bedeutet, dass das Gehirn sich angepasst hat – wenn man weniger schläft, steigt der Druck, zu schlafen und man braucht weniger Zeit, um einzuschlafen und schläft nach kürzerer Zeit tief und fest.

Schläft man also besser, je kürzer man schläft?
Ideal wäre ein voller Schlafzyklus mit Leicht- und Tiefschlafphasen. Die Piloten hatten drei bis vier Stunden Schlaf innerhalb von 24 Stunden, das ist sehr wenig. Während dieser wenigen Stunden wird der Schlaf effizienter, aber es reicht nie an einen normalen Schlaf heran. Dennoch waren ihre Reaktionszeiten sehr gut, selbst am dritten Tag. Sie reagierten so schnell wie am ersten Tag. Wir konnten aber einen Unterschied zwischen Tag und Nacht erkennen: nachts waren die Reaktionen etwas langsamer und die Schlafphasen länger.

Länger als 24 Stunden wach zu bleiben führt normalerweise zu Verhalten, als wäre man betrunken. Wie können Borschberg und Piccard noch so gute Reaktionszeiten haben mit so wenig Schlaf?
Es hängt davon ab, wie stimuliert man ist. Während des Fluges ist die Aufregung so gross, dass der Körper normal reagiert, selbst wenn er wenig schläft. Das ist der wichtigste Grund. Ausserdem ist es schlechter, zwei oder zweieinhalb Stunden zu schlafen und dann den Rest des Tages wach zu bleiben, als regelmässig kurz einzunicken.

Könnten wir einen solchen Schlafrhythmus im Alltag übernehmen?
Das würde ich nicht empfehlen, ein guter Nachtschlaf wird immer das Beste sein. Aber es funktioniert in der besonderen Stresssituation in der Solar Impulse 2.

Wie vollbringen die Piloten die Landung mit einem solchen Schlafmangel?
Die Bodenkontrolle, die über die Möglichkeit einer Schlafphase entscheidet, versucht deren Anzahl vor der Landung zu erhöhen, damit die Piloten mehr Schlaf bekommen. Die Aufregung während der Landung hilft dann ausserdem.

Wie war es am Ende des Experimentes, als die Piloten endlich entspannen konnten. Sind sie sofort eingeschlafen?
Die beiden haben einen unterschiedlichen Schlafrhythmus: André Borschberg ist ein Kurzschläfer, Bertrand Piccard schläft länger. Beide hatten aber direkt nach dem 72-Stunden-Experiment gleich Pressekonferenzen und haben das gut hinbekommen. Bertrand Piccard ist danach sogar direkt von Zürich nach Lausanne gefahren und sass selbst am Steuer. Das würde ich allerdings nicht weiterempfehlen. In den Tagen nach dem Versuch haben die Piloten natürlich mehr als üblicherweise geschlafen.

Es funktioniert also, verpassten Schlaf nachzuholen?
Interessanterweise reicht es, zwei Drittel des Tiefschlafs und die Hälfte der Traumphasen nachzuholen. Allerdings kann man verpassten Schlaf nicht wirklich ausgleichen. So wenig zu schlafen ist Stress für den Körper und wenn man das für eine längere Zeit macht, belastet das. Man nimmt schneller zu, zum Beispiel, und erhöht das Risiko eines Herzinfarktes.

*Raphael Heinzer ist Chefarzt und Co-Direktor des Centre d'investigation et de recherche sur le sommeil (CHUV) in Lausanne.