William Meaney wähnt sich auf der sicheren Seite. Er hat einen Plan ausgeklügelt, wie sein Arbeitgeber, die Schweizer Fluggesellschaft Swiss, die Führungsstruktur ummodeln soll. Einen unbestechlichen Plan, glaubt er. Der ihm mehr Macht verliehe, würde er verwirklicht. Und dass er verwirklicht wird, daran zweifelt Meaney nicht. Doch er irrt.
Sein Entwurf sieht vor, die Führungsebene direkt unter Konzernchef André Dosé abzuschaffen. Zwei der drei Managing Directors, Manfred Brennwald und Ulrik Svensson, würden zu Bereichsleitern herabgestuft. Sich selbst fantasiert Meaney zum operativen Chef. André Dosé, so der Plan, bliebe Konzernchef – auf dem Papier. In Wahrheit wäre er degradiert zu einer Art Vorstandssprecher, einer Hülse ohne viel gestalterische Kompetenz. Das Sagen hätte er, William Meaney.
Mit diesem Plan in der Tasche marschiert Meaney zum Verwaltungsrat der Fluggesellschaft. Am Tag zuvor, dem 16. November 2003, hat die «SonntagsZeitung» gross getitelt: «Swiss mit 613 Millionen Franken Verlust.» Das, so Meaneys Kalkül, muss Konzernchef Dosé schwächen. Meaney glaubt, sich vergewissert zu haben, dass er auf seine Freunde in Verwaltungsrat und Management zählen kann. Die Zeit scheint reif für einen Putsch.
|
Doch es kommt anders. Am Ende der Verwaltungsratssitzung findet sich Meaney vor einem Scherbenhaufen wieder. Einstimmig schmettert der Verwaltungsrat sein Ultimatum ab. Seinen Job ist Meaney los.
Meaney liess sich vom Lockruf der Macht verführen. Er zettelte einen Machtkampf an nach dem Motto «Er oder ich». Solche Art Machtkämpfe sind keine Ausnahme in Unternehmen. Macht ist ein knappes Gut. Nur einer kann der Chef sein. Deshalb wird erbittert um sie gekämpft. Duelle um Macht sind die alltäglichste Sache der Welt – nicht nur am Arbeitsplatz, auch in Familien, an Universitäten oder in der Politik. Jeder macht mit im Gerangel um Einfluss, Posten und Herrschaft. «Man kann nicht im Haifischbecken harmlos tun», sagt der Berliner Professor für Sozial- und Organisationspsychologie, Wolfgang Scholl.
Offen über Macht zu diskutieren, gilt trotzdem als tabu. Kaum jemand gesteht gerne ein, mächtig zu sein oder sein zu wollen. In Unternehmen wird das Thema Macht in der Regel totgeschwiegen: Worüber man nicht redet, das ist auch nicht da. Es wird verdrängt und verleugnet, was das Zeug hält. Dabei heisst Karriere machen nichts anderes als Machtpositionen erobern, wie auch der Fall Swiss zeigt.
«Das Thema Macht ist ein Tabu», sagt der Unternehmensberater Walter K.H. Hoffmann (siehe «Ich will das Thema Macht aus der Schmuddelecke rausholen»). Er hat für sein Buch «Macht im Management»[1] 41 Führungskräfte zum Thema Macht befragt – anonym. Niemand mochte offen seine Gedanken zu Macht bekennen. Schlug Hoffmann eine Diskussion über Macht in den Unternehmen vor, hiess es fast immer: Das kommt gar nicht in Frage. Auch André Dosé möchte sich im Zusammenhang mit seinem einstigen Widersacher Meaney nicht über Macht äussern.
«Der Bankdirektor weiss, dass er Macht hat, aber er will es nicht wissen», bringt der Luzerner Philosophieprofessor Enno Rudolph das Phänomen auf den Punkt. Rudolph liest in dem Nachdiplomstudium «Philosophie und Management» mit Managern philosophische Abhandlungen über Macht; es wird über Thomas Hobbes, Jean-Jacques Rousseau und Niccolò Machiavelli diskutiert. Das Interesse ist riesig, das Studium ist eine willkommene Plattform, sich über das tabuisierte Thema auszulassen. «Die Teilnehmer erfahren, dass sie der Auseinandersetzung mit Macht nicht entwischen können», sagt Rudolph. «Sie stellen sich dem und merken, dass sie sich ihrer Macht nicht schämen müssen.»
Warum aber wird das Thema Macht tabuisiert? Wird über Macht geredet, schwingt immer der Gedanke an ihren Missbrauch mit. Der Macht haftet der Geruch des Unmoralischen an. «Power is the last dirty word», schrieb die Harvard-Professorin Rosabeth Moss Kanter, Macht ist das letzte schmutzige Wort.
Das erfuhr auch Hoffmann in seinen Gesprächen mit Führungskräften. Macht heisse, Verantwortung zu tragen, gestalten zu können und gewisse Freiräume zu geniessen, lauteten die beschönigenden Antworten, meist noch marginalisiert durch einen Nebensatz à la «Macht bedeutet mir herzlich wenig». Das Streben nach Macht wird verbrämt als selbstlose Übernahme von Pflichten oder als uneigennütziges Interesse am Unternehmensfortschritt.
Der Soziologe Max Weber definierte Macht als «jede Chance, innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen auch gegen Widerstand durchzusetzen, gleichviel, worauf diese Chance beruht». Wer gibt schon gerne zu, anderen seinen Willen aufzuzwingen? Statt einzugestehen, dass Macht Sonnen- und Schattenseiten mit sich bringt, wird beschönigt, beschwichtigt oder gleich ganz geschwiegen.
Das Schweigen verdunkelt die Furcht vor unbequemen Wahrheiten, es hat aber auch eine weitere Funktion: Es schafft einen Mythos. Da wird den Chefs weiss was für ein Einfluss angedichtet, Unternehmenslenker werden als Sonnenkönige porträtiert oder als Strippenzieher mit gewichtigem Machtnetz. «Die Tabuisierung gibt der Macht den Anschein des Elitären», sagt Hoffmann. «Wäre Macht kein Tabu, würden wir merken, dass die Topmanager ganz normale Menschen sind. Das Übermächtige bekommen sie nur durch unsere Fantasien.» Die Mystifizierung stabilisiert ein System, in dem Machtträger mit einer Mischung aus Ehrfurcht und Neid betrachtet werden.
Die meisten Machtkämpfe werden deshalb im Stillen ausgefochten, unbemerkt von der Öffentlichkeit. Und längst nicht jeder Machtkampf eskaliert wie bei der Fluggesellschaft Swiss.
Im Frühjahr 2002 tritt Andreas Schmid seinen Job als Verwaltungsratspräsident beim Tourismuskonzern Kuoni an. Die Firma hat eine turbulente Zeit hinter sich: Schmids Vorgänger Daniel Affolter hat unter grossem öffentlichem Getöse Kuoni verlassen. Das Jahr endete mit einem Verlust von 282 Millionen Franken für Kuoni. Schmid ist bei seinem Amtsantritt überzeugt, dass er gründlich aufräumen muss.
Bald machen Gerüchte die Runde: Schmid und Konzernchef Hans Lerch seien einander nicht grün. Der Präsident zweifelt an der Kompetenz des Managements, Lerch und sein Team sind sich sicher, auf dem richtigen Weg zu sein. Der Konflikt schwelt. «Es hat Reibereien gegeben», bestätigt Hans Lerch. «Wenn ein neuer Verwaltungsrat antritt, braucht es eine Gewöhnungsphase.»
Im Herbst 2002 droht der Streit zu eskalieren. Schmid hat einen Headhunter beauftragt, nach einem Nachfolger für Konzernchef Hans Lerch zu suchen. Die Kündigung Lerchs steht unausgesprochen im Raum. In letzter Sekunde kriegen Schmid und Lerch die Kurve: «Wir haben ein klärendes Gespräch geführt», sagt Lerch, «und dabei etliche Missverständnisse aus dem Weg geräumt. Jetzt sind wir ein gutes Team.» Schmid habe eingesehen, dass das Management bei einem Rausschmiss auseinander zu brechen drohe, sagt ein Branchenkenner. Lerch bleibt, man arrangiert sich. Es herrscht Friede, und die Bank Leu habe nicht Unrecht, wenn sie in einer Studie von einer «kreativen Disharmonie» schreibe, sagt Lerch.
|
Es ist die klassische Basis für einen Machtkampf: Ändert sich etwas im Unternehmen, seien es Restrukturierungen, seien es neue Amtsinhaber, droht Streit. «Jede Neuerung birgt Herrschafts- und Verteilungskonflikte», sagt Organisationspsychologe Scholl. «Machtkämpfe brechen immer dann aus, wenn Einzelne die Chance sehen, ihre Position zu verbessern, und andere sich angegriffen fühlen und sich verteidigen wollen.»
Man rangelt sich darum, wer in Zukunft was entscheiden darf – vermutlich auch ein Streitpunkt bei Kuoni. Um einen Posten, den zwei gerne hätten. Oder ein Putsch erscheint als die einzige Chance, eine bessere Position zu erreichen – so muss es der Swiss-Manager William Meaney empfunden haben. Oft sind die Gründe für einen Machtkampf auch subtiler. Da ist einer unzufrieden, weil ihn der Nebenbuhler beliebter dünkt, und beginnt Intrigen zu spinnen. Ein Zweiter stört sich am grösseren Büro des Kollegen und versucht, ihn in anderen Bereichen auszustechen.
Aber warum? Was ist so toll daran, sich mächtig zu wissen? Was fasziniert an Macht? «Macht ist das stärkste Aphrodisiakum», sagte einst der ehemalige amerikanische Aussenminister Henry Kissinger. So offen äussern sich Schweizer Manager selten. Oben in der Beliebtheitsskala rangieren laut Hoffmanns Umfrage die Zusammenarbeit mit Kollegen, die Arbeitsinhalte und bestenfalls noch die Handlungsmacht, also die Chance, Dinge zu gestalten und zu verändern. All dies seien die wahren Sonnenseiten einer machtvollen Position.
Hans Lerch, der Kuoni-Chef, fragt sich, «wo die Faszination herkommt. Als CEO kann man Entscheide treffen und beeinflussen – in dem Sinne hat man Macht, aber auch Verantwortung. Man darf nie vergessen: Diese Macht währt nicht ewig und ist ohne die Mitarbeiter nichts wert.» Novartis-Chef Daniel Vasella sagt in einem Interview auf die Frage, was ihm Macht bedeute: «Es ist ein Privileg, bei Entscheiden mitzuwirken, die einen so grossen Einfluss auf die Gesundheit oder Krankheit von Menschen haben. So ein Privileg nicht zu nutzen, wäre falsch.»
Externe Beobachter, also Unternehmensberater, Headhunter oder Wissenschaftler, vermuten weniger hehre Gründe hinter dem Streben nach Macht, nämlich den Wunsch nach Statussymbolen wie einem Büro mit bester Aussicht, einer Luxuskarosse oder einem Titel auf der Visitenkarte, die Hoffnung auf Liebedienerei der Angestellten und die Aussicht auf narzisstische Bestätigung. Wer ganz oben angelangt ist, fliegt erster Klasse, muss nicht mehr selbst Auto fahren und befehligt über ein ganzes Heer von Sekretärinnen, Assistenten, Stäben und persönlichen Dienstboten. Das sei es, was wirklich an Macht reize.
«Man freut sich über die Anerkennung, das Prestige», sagt einer, der es wissen muss: Helmut Maucher war 16 Jahre Chef des Nahrungsmittelkonzerns Nestlé. «Wenn ich etwas gesagt habe, konnte ich mir sicher sein, dass man es respektierte und zuhörte.» Da zeigt sich auch die Kehrseite der Macht: «Die Leute fangen an, einem zu schmeicheln, einem nach dem Mund zu reden», sagt Maucher. «Das sind die unangenehms-ten Seiten an einem solchen Job.» Läuft etwas schief, erfährt es der Chef als Letzter – und dann ist es oft zu spät.
Ähnliches äussern die von Hoffmann Befragten: Neben hoher zeitlicher Belastung und wenig Privatleben beklagt einer zum Beispiel, dass es «einsam an der Spitze» sei. Ein anderer stört sich an «diesen Hahnenkämpfen». Häufig genannt wird auch Neid: «Man erntet mehr Neid als Applaus.» Diese Schattenseiten scheinen die Verlockungen der Macht nicht zu schmälern. Neben allem anderen bringt Macht meist noch etwas Schönes mit sich: Geld. Und die Verführung, es zu vermehren.
Die Karriere des Reto Hartmann beim Konsumgüterkonzern Valora endet abrupt am 11. Juni 2003. Der Verwaltungsrat unter der Präsidentschaft von Peter Küpfer jagt den Konzernchef mit Schimpf und Schande davon. Er habe seine Kompetenzen gravierend überschritten, heisst es. Die Beziehung zwischen Konzernchef und Verwaltungsratspräsident ist zu diesem Zeitpunkt schon lange zerrüttet.
|
Reto Hartmann hatte Pläne mit dem Unternehmen: Es ist Anfang Januar 2003, und Hartmann sähe am liebsten, dass Valora die Bon appétit Group übernähme. Ein Vorschlag, den der Verwaltungsrat vereitelt und damit wohl Hartmann vor den Kopf stösst. Der zaubert eine Alternative hervor: ein Leveraged Buy-out (LBO), eine Übernahme mit hohem Fremdkapitaleinsatz und der Beteiligung des Managements. Und er präsentiert den passenden Investor, die brasilianische Beteiligungsgesellschaft GPI.
Küpfer ist skeptisch: Dem Management käme bei diesem LBO ein möglichst niedriger Aktienkurs gelegen, den Aktionären – und in ihrem Sinne dem Verwaltungsrat – ein möglichst hoher. Küpfer plädiert für ein Bietverfahren, also dafür, weitere Kaufinteressenten einzubeziehen. Hartmann jedoch verhandelt weiter exklusiv mit den Brasilianern – ohne Wissen des Verwaltungsrates, so die Darstellung des Gremiums. Mit dessen Wissen, behauptet Hartmann. Er händigt den Brasilianern vertrauliche Dokumente aus.
In einem Gespräch mit dem GPI-Chef Jorge Lemann im Mai habe er von den Verhandlungen erfahren, legte Küpfer im Juni den Medien dar. Da habe er realisiert, dass etwas nicht koscher sei. Kurze Zeit später feuert der Verwaltungsrat Konzernchef Hartmann. Er habe wohl den Boden unter den Füssen verloren angesichts dessen, was er mit dem Deal hätte verdienen können, munkelt man. Hartmann, so geht aus einem Briefwechsel hervor, fühlte sich schon länger vom Verwaltungsrat nicht mehr unterstützt.
Den Boden unter den Füssen verlieren – im Rückblick mutet es bei vielen Machtkämpfen so an, als sei der Angreifer unrealistischen Vorstellungen aufgesessen. Der Swiss-Manager Meaney ist ein weiteres Beispiel, auch der Kuoni-Verwaltungsratspräsident scheint drauf und dran gewesen zu sein, den Zusammenhalt des Managements zu übersehen. Wer lange in einer mächtigen Position verbleibt, gerät in Gefahr, sich zu überschätzen. Ein Chef umringt von Ja-Sagern verfällt allzu leicht dem Glauben, auf dem Wasser gehen zu können.
«Macht kann Grandiositätsfantasien fördern», sagt Hans-Jürgen Wirth, Psychoanalytiker und Autor der Buches «Narzissmus und Macht»[2]. «Sie verführt, sich über andere hinwegzusetzen und sie abzuwerten.» Macht verhilft diesen narzisstischen Eigenschaften zur Blüte. Ebenso gilt umgekehrt: «Narzisstisch gestörte Persönlichkeiten streben oft nach Macht», sagt Wirth.
Solche Machthaber neigen dazu, sich mit Höflingen zu umgeben, die ihnen nicht widersprechen. «Wenn jemand aus einem Minderwertigkeitsgefühl übergrossen Geltungsdrang entwickelt, wird es problematisch», sagt Wirth. Dann braucht er die ständige Bestätigung, um sich selbst zu stabilisieren. Hat Macht diese Funktion, wird sie besonders gerne totgeschwiegen.
Die Ursachen für einen solchen Umgang mit Macht lokalisiert Wirth unter anderem in der Kindheit: «In dieser Zeit entwickelt sich das Selbstwertgefühl.» Doch längst nicht bei allen Machthabern lässt sich ein psychischer Knacks diagnostizieren. Auch wenn die Gefahr lauert, verfallen nicht alle dem Grössenwahn. «Es gibt auch ein gesundes Verhältnis zur Macht», sagt Wirth. Doch jeder ist anfällig dafür, sich in ungesundem Mass verführen zu lassen.
«Macht verändert die Persönlichkeit», sagt Organisationspsychologe Wolfgang Scholl. Da beginnen Konzernchefs, ihre Familien zu managen. Oder die innere Werteskala kennt nur noch die Kategorien eigener Rang, Anzahl der Untergebenen, Statussymbole. Von der Macht zu kosten, kann unersättlich machen. Und unvorsichtig. Das geht oft schief, siehe Swiss und Valora. Muss es aber nicht.
Im Mai 2002 steht die Präsidentschaftswahl im Weltfussballverband Fifa an. Der gegenwärtige Präsident Joseph Blatter hat sein Amt lieb gewonnen, er möchte wieder gewählt werden. Andere wollen genau das lieber nicht. Einer von diesen anderen heisst Lennart Johansson, Schwede und Uefa-Präsident. Blatter und er sind traditionell Gegner: Vier Jahre zuvor trat Johansson bei der Wahl zum Fifa-Präsidenten gegen Blatter an und verlor.
Blatter hat seine vierjährige Amtszeit zu nutzen gewusst. Auszunutzen gewusst, finden seine Gegner. Was sie ihm vor der Wahl zur Last legen, ist starker Tobak: Korruption, Misswirtschaft, Amtsmissbrauch. In einem 21-seitigen Dossier hat der Fifa-Generalsekretär Michel Zen-Ruffinen die Vorwürfe genau beschrieben. Blatter soll einen nigerianischen Schiedsrichter mit zweimal 25 000 Dollar bestochen haben, heisst es da unter anderem. Der Mann, so zeichnen die Ankläger das Bild des Fifa-Präsidenten, habe ein Regime von Günstlingswirtschaft etabliert und führe die Fifa voller Grossmannssucht und Despotismus. Kurz darauf erstattet eine Gruppe von Fifa-Exekutivmitgliedern unter der Federführung von Johansson Strafanzeige gegen Blatter.
Blatter steht unter Druck. In der Vergangenheit hat er mehrfach seinen Kopf in letzter Sekunde aus der Schlinge ziehen können. Doch diesmal sind die Vorwürfe handfester und besser belegt.
Uefa-Präsident Johansson und Fifa-Generalsekretär Zen-Ruffinen haben sich gut vorbereitet. Ihr einziges Problem: Der Gegenkandidat für das Präsidentenamt, der Kameruner Issa Hayatou, kommt wenig charismatisch rüber.
Und das ist Blatters Rettung: Mit 139 zu 56 Stimmen wird er im Amt bestätigt – ein angeschlagener, aber doch eindeutiger Sieger. Zen-Ruffinen, den Blatter als «Brutus» gebrandmarkt hat, wird geschasst. Ein halbes Jahr später wird das Verfahren gegen Blatter eingestellt. Beim diesjährigen Neujahrsumtrunk am Fifa-Hauptsitz in Zürich stossen Blatter und Johansson auf ihre inzwischen «echte Freundschaft» (Johansson) an.
Im Machtkampf bei der Fifa haben die Kontrahenten das ganze Register an Mitteln, Machenschaften und Tricks gezogen. Sie haben verleumdet und bestochen, gezielt die Medien informiert, sodass pro Sachverhalt jeweils zwei Versionen kursierten, sie haben Indiskretionen und Gerüchte gestreut und auf Überraschungseffekte gesetzt. Das Klima bei der Fifa war so vergiftet, dass angeblich die Angst vor Lauschangriffen auf Telefone und Büros umging und die offiziellen Fifa-Mail-Adressen nur noch für unverfängliche Post benutzt wurden.
«Alles, was man sich nur ausmalen kann, wird im Machtkampf eingesetzt», sagt Organisationspsychologe Scholl. Es wird mit hinterhältigen Tricks gekämpft, aber nicht nur. Den meisten Strategien kann nichts Verwerfliches nachgesagt werden: guten Argumenten, Verhandlungsgeschick oder einem dominanten Auftreten beispielsweise.
Eine der beliebtesten Waffen aus der Kiste fauler Tricks folgt dem Sinnspruch «Wissen ist Macht». Da werden Neuigkeiten gar nicht beziehungsweise unvollständig weitergegeben oder nur in bestimmten Kreisen gestreut. Tagtäglich rücken sich Mitarbeiter in Sitzungen ins rechte Licht: Sie ergreifen häufig das Wort – egal, ob sie inhaltlich etwas beizutragen haben oder nicht –, um sich beim Chef lieb Kind zu machen. Ähnlich beliebt ist die Aktennotiz an den Chef («z.K.»), heute eher anzutreffen als «cc» bei E-Mails. Es kommt auch zu bizarren Auswüchsen: Besonders ehrgeizig wirken wollende Kadermitglieder haben schon Zeitschaltuhren an ihre Bürolampen montiert, die dafür sorgen, dass bis Mitternacht und am Morgen ab fünf Uhr das Licht brennt.
Solche Lappalien verbessern die eigene Stellung bestenfalls. Über Sieg und Niederlage entscheidet anderes. Verloren hat, wer sich überschätzt.
Beziehungen, Leistung und Glück nennen die von Hoffmann Befragten als wichtigste Faktoren dafür, dass sie ihre gegenwärtige Position erreicht haben.
Wichtig ist zu wissen, wen man besser um sich schart als gegen sich aufbringt. Kuoni-Chef Hans Lerch beispielsweise hatte die richtigen Verbündeten, als Verwaltungsratspräsident Schmid darüber nachdachte, ihn zu feuern. «Man muss Leute von sich begeistern und sie an sich binden», sagt der Psychoanalytiker Wirth.
Fachkompetenz ist wichtig – entscheidend, hoffen viele Führungskräfte, um den eigenen Aufstieg im rechten Licht erscheinen zu lassen. Doch da spielt eine Spur Wunschdenken mit. Man muss die eigenen Fähigkeiten so präsentieren, dass die entscheidenden Leute sie wahrnehmen. Und das beherrschen die Kompetentesten nicht unbedingt am besten.
Und zuletzt, so sagen Hoffmanns Gesprächspartner, hilft Glück. Dem Fifa-Präsidenten Blatter war es hold; der Gegenkandidat für das Präsidentenamt war schwach. Manchmal schenkt einem das Glück auch unverhoffte Unterstützung.
Am 2. September 2002 erfährt der Intendant des Zürcher Schauspielhauses, Christoph Marthaler, aus der Zeitung, dass er gefeuert ist. Das Schauspielhaus beklagt miese Abo- und Zuschauerzahlen, die finanzielle Lage ist prekär. Der Verwaltungsrat mit seinem Präsidenten Peter Nobel hat das Gefühl, alles versucht zu haben, um die Zusammenarbeit mit Marthaler angenehm und vor allem finanzierbar zu machen. Er sieht keine Chance mehr.
Marthaler, so hat es den Anschein, will sich nicht lange damit herumschlagen, wie viel seine Inszenierungen kosten. Er möchte vor allem eins: inszenieren. Besonders nachdem das Zürcher Stimmvolk Anfang Juni höhere Subventionen für das Schauspielhaus bewilligt hat, scheint er die Diskussionen ums Geld aussitzen zu wollen. Als die Kündigung kommt, fühlt Marthaler sich in seiner künstlerischen Ehre gekränkt.
An diesem Tag bricht ein Proteststurm los, mit dem wohl weder Marthaler noch der Verwaltungsrat gerechnet haben. Unter der Ägide des Publizisten Roger de Weck und des Schriftstellers Adolf Muschg entsteht die Kampagne «Marthaler bleibt». Ende Oktober verspricht der Regierungsrat eine Defizitgarantie von maximal 2,5 Millionen Franken. Am 28. Oktober 2002 zieht der Verwaltungsrat die Kündigung zurück. Marthaler darf bleiben. Die Verwaltungsräte Peter Nobel, Ellen Ringier und Peter von Matt gehen. Ein knappes Jahr später wird der Vertrag zwischen Christoph Marthaler und dem Schauspielhaus doch vorzeitig aufgelöst, einvernehmlich. Statt fünf Spielzeiten bleibt Marthaler nur vier.
Ein offen ausgetragener Machtkampf wirkt oft klärend. Meistens endet er damit, dass einer geht – das befreit. Es lähmt ein Unternehmen allerdings, wenn Machtkämpfe monate- oder jahrelang unterschwellig gären. «Machtausübung ist schlecht für das Unternehmen», sagt der Organisationspsychologe Scholl, der Macht allerdings negativ definiert, nämlich immer als gegen die Interessen anderer gerichtet. «Es führt dazu, dass Innovationen umso eher misslingen, je mehr Macht gegen andere ausgeübt wird.» Warum und in welchem Mass dies der Fall ist, hat Scholl in einem Buch[3] detailliert untersucht. Die übelste Folge von Machtkämpfen sei, sagt Scholl, dass ein Unternehmen falsche Strategien verfolge.
Die Machtkämpfer kostet es einige Energie, ihre Spielchen zu treiben. Wie viel Zeit in Unternehmen dafür draufgeht, ist kaum zu schätzen. Bis zu 80 Prozent der Arbeitszeit, vermuten Beobachter. Geeignete Institutionen verhindern, dass es so weit kommt. Wo Macht ist, braucht es auch Kontrolle: «Eine Unternehmensverfassung mit Verwaltungsrat, Geschäftsleitung und Arbeitnehmervertretung kanalisiert schon viele Konflikte. Hinzu kommen sollten klar geregelte Zuständigkeiten und eine kooperative Organisation», sagt Scholl. Dann hätten auch rücksichtslose Einzelkämpfer kaum eine Chance, es zähle die Leistung.
Machtkämpfe bringen jedoch nicht nur Probleme für das Unternehmen mit sich, sondern auch für die Beteiligten. Besonders für den Unterlegenen (siehe «Drei Monate Hölle»). Der Ex-Banker und heutige Unternehmensberater Roland Rasi hat einen solchen Absturz erlebt: «Es ist ein Schock, man fühlt sich ungerecht behandelt und sehr allein», sagt er. Rasi vergleicht es mit einem Trauerfall, es sei so ähnlich, wie einen geliebten Menschen zu verlieren.
Doch auch wenn alles bis zur Pensionierung glatt läuft, die Macht aus den Händen zu geben, fällt allen schwer. Der ehemalige Nestlé-Chef Helmut Maucher hat sich intensiv darauf vorbereitet:
«Ich habe keine Entzugserscheinungen», sagt er, «aber ich habe auch viel getan, um sie zu vermeiden.» Und trotzdem gelte: «Kein Abschied fällt so schwer wie der Abschied von Macht.»
[1] Walter K.H. Hoffmann: Macht im Management. Ein Tabu wird protokolliert. VDF Hochschulverlag, Zürich 2003, 407 Seiten, Fr. 55.–.
[2] Hans-Jürgen Wirth: Narzissmus und Macht. Zur Psychoanalyse seelischer Störungen in der Politik. Psychosozial-Verlag, Giessen 2002, 439 Seiten, Fr. 42.30.
[3] Wolfgang Scholl: Innovation und Information.
Wie in Unternehmen neues Wissen produziert wird. Erscheint demnächst.