Alles ist strategisch: eine Firmenübernahme, ein Kostensenkungsprogramm oder eine Neuausrichtung. Alles hat den Zusatz «strategisch» vorangestellt. Doch da schon bald alle
Unternehmen dieselben Werkzeuge und Methoden anwenden und die bestmögliche Produktivität erreicht haben, stehen die Unternehmen nach kurzer Zeit wieder dort, von wo sie eigentlich wegwollten: auf gleicher Höhe mit den Wettbewerbern, nahe der Produktivitätsbarriere.
Einen Wettbewerbsvorteil, den sie verteidigen können und der ihnen einen nachhaltigen Vorsprung sichert, hat die Kostensenkungsinitiative, das Sourcingprogramm oder das Reengineering-Projekt eben nicht gebracht. Eine Differenzierung, also ein Sichabsetzen von den Wettbewerbern, ist nur durch eine «echte» Strategie möglich, die einen nachhaltigen, nicht kopierbaren Wettbewerbsvorteil generiert. Diese Strategie ist immer Chefsache: Verantwortlich dafür sind der Verwaltungsrat und das Topmanagement.
Strategie beginnt mit der Suche nach einer klaren Antwort auf die Frage, auf welchen Märkten, für welche Kunden und in welchen Ländern und Regionen man tätig sein will. Und fast noch wichtiger ist die Aussage, wo man nicht tätig sein will. Ikea hat sich beispielsweise klar fokussiert: Schwerpunkt der Strategie ist die Lösung aller Einrichtungsbedürfnisse für die Zielgruppe der mittleren und unteren Einkommensschichten. Unternehmen müssen durch ihr Management Entscheide treffen und Prioritäten setzen: Niemand kann für alle Kunden überall zu jeder Zeit alles in der gleichen Qualität und Geschwindigkeit anbieten.
Zu Beginn der Untersuchung wurden also die kritischen Faktoren ermittelt, die ein Unternehmen erfüllen sollte, um dauerhaft erfolgreich sein zu können. Anders als beim Finanzranking (siehe «Wertschöpfung: Roche auf Höhenflug» auf Seite 72) basiert die Beurteilung der Strategie nicht auf einer nachträglichen Untersuchung, sondern auf der Zukunft. Daher ist es möglich, dass Firmen mit einem hohen Finanzranking eine weniger gute Strategiebeurteilung erhalten oder umgekehrt.
Im zweiten Schritt wurde untersucht, wie erfolgreich die ausgewählten Unternehmen (Top 20 und die grössten Wertvernichter) diese Strategie implementiert haben. Die wichtigen strategischen Kriterien Management, Marke und Finanzkraft wurden nicht in diese Beurteilung aufgenommen, weil sie in diesem Ranking separat untersucht wurden. Eingang in die Beurteilung fanden alle öffentlich verfügbaren Informationen wie Geschäftsberichte und Pressemitteilungen.
Einige Fragen helfen auch Ihnen herauszufinden, ob Sie eine klare Strategie als Unternehmen haben:
1. Welche Ihrer Produkte oder Dienstleistungen unterscheiden sich am meisten von denjenigen Ihrer Wettbewerber? Wodurch?
2. Welche Ihrer Produkte oder Dienstleistungen sind am profitabelsten?
3. Welche Kundengruppen, Märkte und Geografien haben Sie ausdrücklich aus Ihrer Strategie ausgeschlossen? Warum?
4. Welche Kunden haben die höchste Kundenzufriedenheit?
5. Welche Kunden und Kundengruppen und Vertriebskanäle sind am profitabelsten?
6. Welche Aktivitäten in der Wertschöpfungskette unterscheiden sich am meisten von denen Ihrer Wettbewerber und sind auch am effektivsten? Warum?
Die Topstrategen
Wie ausgewählte Schweizer Unternehmen ihre strategische Ausrichtung in den Griff kriegen.
Roche: konsequent fokussiert
Pharma
Roche ist der drittgrösste Pharmahersteller in Europa mit Produkten in wachstumsstarken und zukunftsträchtigen Gebieten entlang des gesamten Gesundheitsspektrums von Früherkennung über Therapie bis Überwachung. Ziel ist ein Umsatzwachstum über dem Markt für die zwei Bereiche Diagnostics und Pharma. Konsequent wurde auf den Markt für verschreibungspflichtige Arzneimittel fokussiert, alles andere ist mittlerweile abgestossen. Roche hat bewiesen, dass sie fähig ist, innovative Unternehmen wie Genentech an der langen Leine zu führen und trotzdem direkt zu profitieren. Roche konzentriert sich auf lukrative Wachstumsmärkte und kann dort von der starken Pipeline in der Forschung und Entwicklung profitieren. Roche ist relativ stark vom US-Markt abhängig. Die teilweise sehr hohen Preise für die Spezialmedikamente könnten in den nächsten Jahren auch dort zu Diskussionen führen.
Nestlé: innovationsstark
Nahrungsmittel
Der weltgrösste Hersteller von Nahrungsmitteln fokussiert zunehmend auf profitablere Produkte im Bereich Ernährung. Neben dem Gebiet von Wellness und Functional Food ist Nestlé dank diversen Übernahmen auch der grösste Anbieter von Speiseeis. Trotz der schieren Grösse sind die Schweizer innovationsstark geblieben: Seit 2001 werden jeweils mehr als 30 Prozent des Umsatzes durch neue Produkte generiert. Allerdings verfügt Nestlé im Vergleich zur Konkurrenz über ein schlechteres Lagermanagement, was zu höheren Kosten führt. Dank der globalen Präsenz profitieren die Schweizer überdurchschnittlich von Skaleneffekten, allerdings ist der Übergang zu Produkten aus dem Bereich Wellness und Gesundheit nicht so einfach, und Nestlé muss dabei die Imageprobleme der Vergangenheit überwinden. Angesichts des hohen Margendrucks und der weiter steigenden Konzentration beim Handel ist für den Nahrungsmittelhersteller der Schritt zu lukrativeren Produktekategorien logisch.
ABB: Wachstumsschub in Asien
Industrie
In den Bereichen Energie- und Automatisierungstechnik gehört ABB weltweit zu den Top 3 bei nahezu allen Produkten. Europa ist noch immer die wichtigste Region, doch die starke Präsenz in Asien dürfte sich weiter positiv auswirken. Der Turnaround klappte etwas schneller als erwartet, und nach dem Ende des Asbeststreits ist die ABB bereit für einen neuen Wachstumsschub. Bezogen auf den Umsatz investiert ABB etwas weniger als die Konkurrenz in Forschung und Entwicklung. Weitere Fortschritte wären zu erwarten, wenn Anstrengungen zur Standardisierung des Produkteportfolios und zur Nutzung von Produkteplattformen konsequent umgesetzt würden. ABB hat hohe Ziele, muss aber das interne Wachstum selber schaffen. ABB ist noch nicht gerüstet für eine grosse Akquisition, mit Betonung auf «noch nicht».
Waadtländer Kantonalbank (BCV):
konzentriert auf das Kerngeschäft
Bank
Die Kantonalbank konzentriert sich auf ihr Kerngebiet: Sie ist aus ihren Aktivitäten in Frankreich ausgestiegen und hat die nicht zum Kerngeschäft gehörenden Tätigkeiten verkauft, so unter anderem den Ölhandel und die Schiffsfinanzierung. Die BCV konzentriert sich auf Retail- und Affluent-Privatkunden, KMU sowie einige ausgewählte Grossfirmen im Kanton. Die bewusste Entscheidung, sich auf eine kaum wachsende Region zu konzentrieren, limitiert das Wachstumspotenzial. Das Wachstum ist hauptsächlich durch die Erhöhung des Marktanteils möglich, das birgt natürlich auch gewisse Risiken. Vor allem, falls eine Grossbank ihr Augenmerk auf diese Region richtet.
Pargesa Holding:
Ausbau von Private Equity
Finanzdienstleister
Pargesa investiert in eine kleine Zahl von Firmen, wobei sie jeweils grosse Anteile kauft. Sie konzentriert sich vornehmlich auf gelistete europäische Firmen. Zusätzlich hat Pargesa begonnen, in Private Equity zu investieren, und die Verantwortlichen wollen diesen Bereich weiter ausbauen. Die Beteiligungsgesellschaft verfügt über ein starkes, erfahrenes Management. Die Abhängigkeit von externen Faktoren und die beschränkte Beeinflussbarkeit des Erfolgs der Portfolio-Firmen werfen jedoch Fragen auf.
Kühne + Nagel: clever ausgebaut
Logistikdienstleistungen
Der Schwyzer Konzern hält weiterhin seine Weltmarktführerschaft in Seefracht und seine Position als Nummer vier im Bereich der Luftfracht. Der primäre Fokus dürfte auf der Verbesserung der Position im Bereich Strassen- und Schienentransport liegen. Ziel ist die Abdeckung des gesamten Speditionsweges von Grosskunden; das passiert unter anderem durch den Zukauf und die Integration der Unternehmen Mönkemöller, Häring und WM Cargonet. Eine weitere Expansion im Bereich Kontraktlogistik in Europa, Kanada und USA ist neben dem starken Engagement in Asien entscheidend. Die Gewinne von Kühne + Nagel stammen zu mehr als 50 Prozent aus der Seefracht. Neben dieser sehr hohen Abhängigkeit vom Bereich Seefracht führt die vornehmlich akquisitionsgetriebene Strategie zu zunehmenden Integrationsherausforderungen für den Logistikdienstleister.
Ypsomed: gut geschützt
Medizinalprodukte
Ypsomed ist der grösste unabhängige Produzent von Injektionssystemen (Injection Pens und Nadeln für pharmazeutische Produkte). Der Markt ist speziell: Es gibt nur zwei weitere Konkurrenten, Eli Lilly und Novo Nordisk. Und die Berner Ypsomed hat lediglich acht Kunden: Sanofi-Aventis, Pfizer, Lilly, Genentech, Roche, Serono, NPS und Amylin. Die grosse Abhängigkeit vom grössten Kunden, Sanofi, stellt ein gewisses Risiko dar. Ypsomed investiert acht Prozent des Umsatzes in die Forschung. Und die sehr gute Forschung und Entwicklung treibt das Wachstum der Firma voran. Durch ihre Patente ist sie zudem gut geschützt vor Nachahmern.
Das enorme Wachstum in den vergangenen Jahren hat die Organisation belastet und hohe Kapitalinvestitionen gefordert. Dies wurde jedoch durch ein erfahrenes
Management abgefedert. Die Konzentration auf eine Produktekategorie ist nicht ohne Risiko. Eine neue, effiziente Technologie zur Anwendung von Medikamenten könnte das fokussierte Geschäftsmodell von Ypsomed in Frage stellen.
Die Wertvernichter
Nicht immer führt eine sinnvolle Strategie kurzfristig zu Wertsteigerung: Details zu den Wertvernichtern.
Actelion: ohne neue Produkte
Biotechnologie
Das Management hat eine klare Wachstumsstrategie definiert und die Forschungs- und Entwicklungsausgaben auf 26 Prozent des Umsatzes erhöht. Trotzdem wurde seit der Lancierung des Medikaments Tracleer 2001 kein neues Produkt mehr auf den Markt gebracht. Ein neues Forschungszentrum in der Schweiz erlaubt es dem Unternehmen, alle eigenen Wissenschaftler unter einem Dach zu vereinen. Dem fehlenden Grössenvorteil (mit den entsprechenden Risiken) steht ein sehr fokussiertes Management gegenüber. Die kluge Lizenzpolitik und die kontinuierlichen Cashflows erlauben es Actelion, ohne wesentliche Einschränkungen ihre Ziele zu verfolgen.
Adecco: tiefe Margen
Personalvermittlung
Zur Erhöhung der Margen konzentriert sich Adecco zunehmend auf die Personalvermittlung von Fachspezialisten. Die Implementierung der «One Brand»-Strategie soll den Markennamen stärken und die Kosten für die Infrastruktur und das Marketing reduzieren. Für die Personalvermittler ist die Kosteneffizienz wichtig, da mit hohen Volumen und niedrigen Margen gerechnet werden muss. Der langfristige Erfolg von Adecco hängt insbesondere davon ab, ob sie sich von den stundenbasierten Sätzen und damit von den tiefen Margen lösen und profitablere Bereiche wie die Vermittlung von Spezialisten oder Outplacement Services weiter ausbauen kann.
Novartis: risikoreiche Zukäufe
Pharma
Novartis ist der fünftgrösste Pharmahersteller der Welt und fokussiert sich zunehmend sowohl auf die Entwicklung innovativerer, präziserer Medikamente als auch auf die Herstellung von Highend-Generika. Alle Divisionen wachsen schneller als der Markt. Novartis hat die höchsten Ausgaben für Forschung und Entwicklung in der Pharmaindustrie. Die Basler investieren viel Geld und spezialisieren sich auf hochwertige und margenträchtige Therapieformen. Das Wachstum durch Akquisitionen stellt hohe Anforderungen an die Integrationskraft von Unternehmen und Management. Das ist ein Risikofaktor, der in Zukunft genau verfolgt werden muss.
Swisscom: unklare Expansion
Telekom
Der Exmonopolist profitiert immer noch vom starken Markennamen, der für Qualität und Sicherheit steht. Mit der hohen Dichte von Swisscom-Mobile-Shops in der Schweiz ist die Basis für einen guten Kundenservice und die Markenpräsenz gelegt. Die Swisscom ist gut positioniert, um Mobil- und Festnetzkommunikation zusammen anzubieten und so den Firmenkundenwünschen entgegenzukommen. Die Unklarheiten bezüglich der internationalen Expansion lassen das angestrebte Wachstumsziel fraglich erscheinen. Zumal der Preisdruck auf dem wichtigen Heimmarkt anhalten wird.
Swiss Re: limitiertes Potenzial
Versicherungen
Swiss Re ist bei den Kunden als Spezialistin für komplexe Versicherungsprodukte und für umfassende globale Reichweite gut positioniert. Weiter kann sie auf Grund ihrer Grösse für ihre Kunden Stabilität sicherstellen. Die Verbindung der Risikomanagement- mit den Investmentbankfähigkeiten ermöglicht die Entwicklung innovativer Finanzmarktprodukte. Ein gutes lokales Management in China und Afrika ermöglicht es Swiss Re, vom Wachstum optimal zu profitieren. Allerdings dominiert weiterhin der Fokus auf entwickelte und stabile Märkte. Das limitiert das Potenzial für schnelles Wachstum.