Täglich strampelt Dolfi Müller mit dem Drahtesel zum Rathaus. Doch bevor der Stadtpräsident von Zug sein Tagewerk beginnt, macht er meist noch eine Schleife zum «Grand Café». Die Einheimischen kennen diese Gewohnheit ihres Präsidenten, weshalb es in besagtem Café mittlerweile regelmässig in aller Früh zwischen ihm und seinen Steuerzahlern zu einem Tauziehen um neue Strassenlampen, Baueingaben oder Vereinszuschüsse kommt. So viel Volksnähe ist seit sechs Monaten Programm in Zug. Anfang Jahr hat der 52-Jährige das Präsidium von seinem FDP-Vorgänger übernommen, als zweiter sozialdemokratischer Stadtpräsident überhaupt, mit dem Versprechen, für sozialen Ausgleich zu sorgen. «Zug», so Müller, «soll keine Yuppiestadt werden. Wir müssen aufpassen, dass es keinen Monaco-Effekt gibt.»

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Müller ist um seine Probleme zu beneiden. Konsequent, doch unauffällig, ganz nach der Art des Innerschweizer Gemüts, hat sich das 25 000-Einwohner-Städtchen, stets im Schatten Zürichs, zu einer wohlhabenden Metropole entwickelt. Aufgeräumt und sauber, eingebettet in die sanfte Voralpenlandschaft, weniger hektisch als das 35 Kilometer entfernte Zürich. Die Palmen auf dem grossen Dorfplatz versprühen einen Hauch Italianità, auch wenn sich Müller über diese «Übermöblierung» nervt und meint: «Zug ist nicht das Tessin.» Selbst die «Sterbequalität» ist hoch, gibt es doch vom Friedhof aus einen umwerfenden Blick auf den Zugersee. Tiefe Steuern locken Milliardäre, Grossfirmen und Prominente an. So gastieren die Unternehmer Frank Stronach (Magna), Tom O’Malley (Petroplus) und der Autor Johannes Mario Simmel in Zug. Andere wie Novartis-Chef Daniel Vasella, Lego-Gründer Kjeld Kirk Kristiansen oder Metro-Grossaktionär Otto Beisheim wohnen im Umland. Trotz dem Steuerdumping mangelt es der Stadt nicht an Einnahmen. Im Gegenteil: Die Gemeindekassen sind so voll, dass letztes Jahr bei einem Überschuss von 55 Millionen Franken sogar die Beamten mit stattlichen Boni beglückt wurden. Zug liefert den Beweis dafür, dass die Laffer-Kurve, die besagt, dass tiefere Steuern ein höheres Steuersubstrat generieren, in der Praxis aufgeht.

Auch wenn Zugs Erfolg nicht ungetrübt ist – fehlende Wohnungen, rekordhohe Preise für Bauland, Verkehrschaos –, so ist die Stadt doch top. Dies ergibt das BILANZ-Städte-Ranking, das zum zweiten Mal mit dem Immobilienspezialisten IAZI, Zürich, durchgeführt wurde. Es handelt sich um die umfangreichste kommunale Vergleichsstudie der Schweiz. Insgesamt wurden 124 Städte mit mehr als 10 000 Einwohnern bewertet, 50 Einzeldisziplinen analysiert und in acht Hauptbereichen zusammengefasst (siehe «Die Methode» links). Im Gegensatz zum Vorjahr wurde auf die unterschiedliche Gewichtung der einzelnen Faktoren verzichtet. «Dadurch stehen die monetären Aspekte nicht mehr im Vordergrund», hält Studienleiter Donato Scognamiglio fest. «Wir tragen damit denjenigen Rechnung, die bei der Standortwahl nicht in erster Linie Wert auf niedrige Steuern legen.»

Im Wettstreit der Städte dominieren nach Zug klar die Zürcher Seegemeinden. Sechs der Top Ten gehören zum Kanton mit dem ZH-Nummernschild: Zollikon, Meilen, Küsnacht, Zürich, Thalwil, Wallisellen. Sie alle verbinden die landschaftlichen Reize, der See (ausser bei Wallisellen), das milde Klima und natürlich ein tiefer Steuerfuss, der seinesgleichen sucht und die feine Gesellschaft aus dem In- und Ausland anlockt. Auch wenn man meist nur Initialen oder Nummern auf den Türschildern sieht, so ist doch hinlänglich bekannt, wo die VIP wie Tina Turner (Küsnacht), Josef Ackermann (Zürich), Klaus J. Jacobs (Küsnacht), Bruno Bischofberger oder Magdalena Martullo (Meilen) hausen.

Doch selbst am See gibt es kleine Standesunterschiede: Leute, deren Namen ein «lic.» ziert, ziehen oft nach Zollikon, wie Ex-Botschafter Thomas Borer-Fielding (Jurastudium) oder Fifa-Boss Joseph S. Blatter (Volkswirtschaftslehre) – denn dort ist man unter sich. Das teurere Küsnacht hingegen ist das Unternehmer-Eldorado. Mit einer Dichte von 8,44 Prozent Patrons ist der letztjährige BILANZ-Ranking-Gewinner absoluter Spitzenreiter der Schweiz. So viel Potenz füllt die Gemeindekassen. Der Küsnachter Finanzvorstand kassiert mit 6376 Franken pro Einwohner rund 14-mal so viel wie jener der am schlechtesten rangierten Gemeinde, Le Locle, mit 474 Franken.

Die elitäre Wohnortswahl hat ihre Schattenseiten. Seelage und Reichtum allein scheinen noch nicht glücklich zu machen. Zumindest wenn es nach der Scheidungsstatistik geht. Denn am Zürichsee trennen sich ein Drittel mehr Paare als in den «treusten» Gemeinden der Schweiz, Küssnacht am Rigi und Einsiedeln im Kanton Schwyz. Gleichzeitig drohen die Nobelgemeinden der Schweiz in Würde zu ergrauen. Bald jeder Fünfte bezieht dort eine AHV-Pension. Nur in Riehen ist der Anteil der Rentner mit 24,7 Prozent noch höher als in Zollikon und Küsnacht. In die Jahre gekommen sind auch die Touristenhochburg Luzern (22 Prozent Rentner) und der Solothurner Eisenbahnknotenpunkt Olten (21,5 Prozent).

Die vermögende Klientel drückt zudem die Immobilienpreise nach oben. 1,7 Millionen Franken blättert ein Käufer mittlerweile für ein Einfamilienhaus ohne jede Extravaganz in einer Triple-A-Gemeinde hin. Gleichzeitig ist der Neubau von Wohnungen dort mit 0,7 Prozent beinahe zum Erliegen gekommen.

Geht es um Dynamik und Wachstum, muss man sich vom Zürichsee wegbegeben. Einige Städte, die in der Gesamtbewertung im Mittelfeld oder weiter unten rangieren, glänzen in diesen Punkten überraschend. Ungeschlagener Sieger in beiden Kategorien ist Bülach. In der Zürcher Agglomerationsgemeinde geht derzeit der grösste Bauboom mit dem höchsten Bevölkerungswachstum einher. Gleichzeitig findet man in Bülach prozentual am wenigsten Pensionäre. «Wir haben 2002 18,1 Hektar an landwirtschaftlichem Grund in Bauland umgezont», erklärt Stadtpräsident Walter Bosshard den Boom. Worauf innert nur zweier Jahre Bülach Süd mit Kanalisation, Strom und Strassen erschlossen wurde. Dies zog Investoren an.» In der Disziplin Bauen stehen Bulle, Stäfa, Freienbach, Oftringen und Wettingen gleich hinter Bülach, beim Bevölkerungszuwachs sind es Versoix, Vevey, Volketswil.

Bei den Grossstädten schneidet Zürich auf dem fünften Platz besser ab als Genf (Platz 9). Die vom SPler Elmar Ledergerber präsidierte Stadt kann mit einem stabilen Wirtschaftswachstum und einem optimalen Verkehrsnetz aufwarten. Selbst der Erholungswert (Rang 29) ist mit einem Grünflächenanteil von 8,3 Prozent bei 344 000 Einwohnern relativ hoch. Die Bundeshauptstadt Bern wird auf Platz 36 verwiesen, Basel liegt abgeschlagen an 47. Stelle. Zwar verfügt die Stadt am Rheinknie über ein gutes Verkehrsnetz und eine stabile Wirtschaftsstruktur. Doch Dynamik gibt es so gut wie keine (Platz 119). Schon gar nicht mithalten kann die Pharmametropole bei den Steuern (Rang 109).

Auch das BAK Basel Economics stellte der Domizilgemeinde kürzlich ein wenig schmeichelhaftes Zeugnis aus. Durch die schweizweit höchste Steuerbelastung von Unternehmen falle es schwer, neue Firmen anzuziehen, heisst es in dem Bericht. Gegenüber Zürich fällt Basel auch bei der Rekrutierung von qualifizierten Arbeitskräften ab, es weist weniger Landreserven auf und eine niedrigere Lebensqualität. Einzig in Sachen Lebenshaltungskosten schneidet Basel besser ab als der Konkurrent im Osten.

Die basellandschaftlichen Städte Binningen (23), Allschwil (34), Muttenz (41), Münchenstein (43) und Reinach (46) stehen allesamt besser da als Basel. Und just der Kanton Aargau, oft als «Rüebli- und Raserrevier» belächelt, verzeichnet eine neue Boomtown: Baden. Dabei prägten jahrelang die Industriehallen der BBC, später der ABB die Stadt. Nach der Schliessung der Produktion sowie der Verlegung der Konzernzentrale nach Zürich Oerlikon klafften Lücken im Ortsbild und in der Wirtschaft. «Die Umnutzung kam vor zehn Jahren vorerst wenig an», erklärt Thomas Lütolf, Leiter Standortmarketing. «Doch in den letzten Jahren drehte der Wind.» Das Quartier Baden Nord wurde trendy – neue Lofts entstanden, Kulturbetriebe mieteten sich ein, neue Firmen folgten. Euphorisiert vom Aufschwung, bauten die Badener gleich noch einen Stausee und öffneten die Villen der BBC-Gründer Brown als Museen für die Bevölkerung.

Wem der Sinn weniger nach «trendy» steht, sondern mehr nach Steuersparmodellen, der sollte es Martin Ebner gleichtun und sich etwa in Freienbach niederlassen. Nirgendwo sonst werden Vermögende pfleglicher behandelt als in der Schwyzer Seegemeinde. Ein Blick auf die Steuerprogression zeigt freilich auch: Bereits Leute mit einem Einkommen unter 100 000 Franken sind hier nicht willkommen. Gleiches gilt für die zweit- und drittplatzierten Städte Zug und Baar. Niedrigverdiener zieht es wegen des tiefen Steuersatzes eher nach Lugano, was zwangsläufig auf den Finanzhaushalt drückt. So betragen die Steuereinnahmen in Lugano pro Kopf 745 Franken – im Vergleich zu 2944 Franken in Zug oder 5135 Franken in
Freienbach.

Durchaus respektable Ergebnisse als Wohngemeinde erzielt Ostermundigen, das nach Zürich, Bern und Basel die meisten Berufstätigen (40,7 Prozent) zum Pendeln animiert. Oder auch Muri bei Bern, das in Sachen Sozialstruktur (4), Arbeitsmarkt (4) und Reichtum (6) zum «Küsnacht von Bern» geworden ist.

Davos, die mit 1560 Metern über Meer höchstgelegene Stadt Europas, zieht die meisten Touristen an und wartet trotz saisonaler Abhängigkeit mit einer rekordtiefen Arbeitslosenquote von 1,7 Prozent auf. Dies wegen der breiten Diversifikation (Tourismus, vier Forschungszentren, Gewerbebetriebe) sowie, gemäss Landammann Hans Peter Michel, der hohen Wohn- und Lebensunterhaltskosten, die Arbeitslose zum Wegziehen bewegen. Mit der Planung gleich zweier Fünfsternehotels will Michel weitere Arbeitsplätze schaffen. Damit bläst er zum Angriff auf das höherpreisige St. Moritz (aufgrund der niedrigen Einwohnerzahl nicht im BILANZ-Ranking).

Abgeschlagen im Ranking bleiben die Kantone Thurgau, St. Gallen sowie die Westschweiz, mit Ausnahme des Kantons Waadt, der in Sachen Attraktivität und Erholungswert gleich mit fünf Städten unter den Top Ten vertreten ist. Die Schlechtplatzierten leiden unter hohen steuerlichen Belastungen, dezentraler Lage oder schlechter Erreichbarkeit mit dem öffentlichen Verkehr. Was nicht per se heisst, dass diese Städte unattraktiv seien. «Gemeinden, die nur im Mittel- oder sogar im unteren Feld rangieren, können durchaus dynamisch sein oder gute Lebensqualität aufweisen», relativiert Studienverfasser Donato Scognamiglio. Doch viele liegen zu weit von den Ballungszentren der Schweiz entfernt.

Die Schlussränge gehen dieses Jahr an Delémont, Grenchen und Le Locle. Bereits im letztjährigen Ranking fiel Le Locle ab, was zu einem Aufruhr führte. Die Gemeindebehörden von Le Locle reagierten und verschickten daraufhin eine Kampfschrift an alle Haushaltungen. «Le Locle sagt Sch... zu denen, die es runtermachen, und danke zu denen, die es lebendig halten», hiess es auf dem Titelblatt. Auch das diesjährige Verdikt will Gemeindepräsident Denis de la Reussille nicht akzeptieren: «Die Auswahlkriterien sind zu wirtschaftslastig, sie sagen nichts über die Lebensqualität aus.» Und diese sei in Le Locle sehr hoch.

Nicht nur einen gefühlten, sondern auch einen statistisch ermittelten hohen Erholungswert weist die idyllische 10 125- Seelen-Gemeinde Gland am Lac Léman auf, ein Städtchen mit vielen gepflegten Häuschen mit grossen Vorgärten zu Füssen des Juras. Zwar ist Gland alles andere als zentral gelegen (Rang 123), dennoch oder vielleicht gerade deshalb zieht es Prominente wie Ernesto Bertarelli oder Michael Schumacher dorthin. Dass man Letzteren mit grosszügigen Steuererleichterungen sowie nachsichtiger Bauplanung köderte, will Stadtpräsident Gérald Cretegny nicht gelten lassen. «Wir haben ein Pauschalabkommen vereinbart, wie dies alle Städte der Schweiz tun.» Zudem sei Gland nicht nur eine Schlafstadt der Reichen. «Gland ist stark gewachsen, wirtschaftlich wie auch einwohnermässig.»

Während also in Gland die Zeichen auf Aufbruch stehen, ticken die Uhren in Le Locle noch immer im Zeitlupentempo. Bleibt zu hoffen, dass das Neuenburger Uhrenzentrum irgendwann aus seinem Tal der Tränen findet.