Der Stadtpräsident der Siegerstadt Zug, Dolfi Müller, hat für seinen Amtskollegen in Le Locle «grösste Bewunderung». So erklärt er: «Was die mit den wenigen Ressourcen und Mitteln herausholen, da kann ich nur sagen, Chapeau.»
Denis de la Reussille, Gemeindepräsident der Kleinstadt im Jura, nimmt es sportlich: «Wo es einen Ersten gibt, muss es auch einen Letzten geben.» Aus dem hintersten Rang im BILANZ-Städte-Ranking macht man mittlerweile Kult. Stadtrat Cédric Dupraz etwa wirbt auf seiner Blog-Site für T-Shirts: «An die Ideologen der BILANZ: Le Locle va bien, Le Locle est fort, Le Locle vous emmerde…» (Le Locle geht es gut, Le Locle ist stark, Le Locle geht Ihnen auf den Wecker). Die offiziellen städtischen T-Shirts kontern auf subtilere Weise: «Le Locle – Lebensqualität!»
Stadtpräsident de la Reussille meint, es sei ganz einfach eine Frage, was für eine Gesellschaft man wolle: «In unserer Gegend gibt es keine Immobilienspekulation, ist das nun gut oder schlecht? Wir finden es gut.» In Le Locle seien die Steuern «höher als in Freienbach, dafür sind die Mieten so viel tiefer, dass am Ende mehr bleibt, dass sich auch Familien oder Arbeiter noch eine Wohnung leisten können», so de la Reussille.
Neu Gewichtet. Der Vorwurf, dass die wirtschaftlichen Kriterien im Städte-Ranking zu stark gewichtet sind, ist jedoch nicht mehr zulässig. Dieses Jahr hat die BILANZ den Vergleich aller Ortschaften mit mindestens 10 000 Einwohnern mit zusätzlichem Datenmaterial und neuen Kriterien wie «Bildung und Erziehung» oder «Gesundheit, Sicherheit und Soziales» ergänzt. Damit stützt sich das Städte-Ranking 2010 breiter ab, Faktoren wie Steuerbelastung oder Baudynamik werden ausgeglichen durch Kritierien, welche die allgemeine Lebensqualität erfassen.
Entworfen und erhoben haben das neue Ranking Experten von Wüest & Partner, einer der schweizweit grössten Beraterfirmen für Immobilien- und Standortfragen.
Die neue Methodik hat zu Verschiebungen geführt. «Der Erholungswert einer Stadt wird in der neuen Methodik so bemessen, dass das Rating die Lebensrealitäten noch besser abbildet», so Isabelle Wrase, die für die Auswertung von Wüest & Partner mitzeichnet. «Die Grossstädte etwa haben definitiv gewonnen, weil die Steuerbelastung nicht mehr so stark zählt», sagt Wrase. Luzern, Bern, Basel, St. Gallen oder Winterthur sind aufgestiegen. Aber auch kleinere Ortschaften wie Affoltern am Albis oder Kloten haben sich verbessert. Die Flughafengemeinde punktet neben Zentralität auch mit einer neuen Ausgehkultur der ansässigen Piloten oder Flight Attendants, meint Isabelle Wrase.
Gemeinden in steuergünstigen Kantonen haben tendenziell eher verloren. Freienbach SZ etwa ist vom dritten Rang im vergangenen Jahr auf Platz 21 zurückgefallen. Die Steueroase schneidet bei neuen Faktoren wie Bildung und Erziehung oder Erholung, Kultur und Freizeit schlecht ab. Betrachtet man speziell die Kriterien, die eine Stadt für Vermögende attraktiv machen, liegt Freienbach immer noch auf Rang 2 – hinter Zug.
Stadtpräsident Dolfi Müller freut sich «doppelt» über den erneuten ersten Gesamtrang. «Das Portemonnaie allein» mache es schliesslich nicht aus, «auch weiche Faktoren zählen», sagt er: «Mich irritiert es, wenn Zug auf die Steueroase reduziert wird, jetzt haben wir den schlagenden Beweis, dass wir für mehr stehen.» Dass Zug beim Kriterium Steuerbelastung dieses Mal von Rang 3 auf Rang 7 zurückgefallen ist, wundert Stapi Müller nicht: «Die Konkurrenz schläft nicht, an dem Parameter kann man einfach drehen, und viele tun es.» Weiterhin auf Rang 1 liegt seine Stadt beim Arbeitsmarkt, bezüglich Kaufkraft hat sich Zug von Platz 5 auf Platz 3 verbessert, aber auch bei den neuen Kriterien Bildung und Erziehung (4) oder Gesundheit, Sicherheit und Soziales (2) liegt die Stadt auf Spitzenrängen.
Gesunder Mix. SP-Politiker Müller hebt das Atmosphärische hervor: «Wir schaffen es hier, Internationales und Lokales unter einen Hut zu bringen, bei uns haben moderne Hochhäuser ihren Platz genauso wie der traditionelle Stierenmarkt.» Trotz reichen Zuzügern sei Zugs Sozialstruktur im Vergleich zu anderen Orten gesund geblieben, klassische Villenviertel etwa gebe es nicht. Und manch einer mit dickem Portemonnaie freue sich gerade über die Normalität, dass er noch «Mensch sein kann», so Müller, und auch einmal nur als «netter Nachbar im Quartierverein» wahrgenommen werde. Vor kurzem habe das Volk ein Projekt für hundert städtische und Genossenschaftswohnungen gutgeheissen. Trotz Widerstand der SVP stimmten im März 2010 über sechzig Prozent der Stimmbürger der Sanierung des alternativen Kultur- und Jugendzentrums Galvanik zu, der «Roten Fabrik» von Zug.
Dass in seiner Stadt nachts nicht gerade der Bär tanze und Zug im Vergleich zu Zürich einem verschlafenen Provinznest gleiche, hält Müller für ein «leicht hochnäsiges Klischee». Der Stapi nennt die Choller-Halle, das Landis-&-Gyr-Areal, die neue Kunsteisbahn, die Suche nach einem prominenteren Standort für das Kunsthaus: «Natürlich sind wir nicht Züri West, aber es hat sich viel verändert.»
Zürich Krisenfest. Das urbanste Zentrum der Schweiz, Zürich, liegt unverändert auf Rang 2 des Rankings, punktet vor allem bei der Verkehrsanbindung und der Erreichbarkeit, liegt aber auch bei Bildung und Erziehung weit vorne auf Rang 6. «Zürichs guter 2. Rang illustriert die Krisenresistenz der Stadt. Unsere weiterhin hohen Investitionen in die Infrastruktur und in die Gesellschaft machen sich bezahlt», meint Stadtpräsidentin Corine Mauch. Um die Attraktivität zu pflegen, gelte es auch künftig, in eine «nachhaltige Stadtentwicklung, in die kulturelle Vielfalt, in zukunftsträchtige Bildung und die Umsetzung der Ziele der 2000-Watt-Gesellschaft zu investieren».
Ein grosser Sieger der neuen Bewertung ist Affoltern am Albis. Dank dem ländlichen Charakter und der neuen Anbindung an die A4 und die Westumfahrung macht die Kleinstadt 29 Ränge gut und landet auf Platz 43. «Wir haben noch eine gesunde ländliche Struktur, gerade in den Schulen», meint Gemeindepräsident Robert Marty. Die Gemeinde hat schon im Vorfeld vom Anschluss an die A4 profitiert. Während Affoltern am Albis in den letzten Jahren nur wenig gewachsen ist, steigt der Druck auf Immobilienpreise und Wohnungsmieten rapid an. Mit der S-Bahn und direkten Busverbindungen nach Zürich vereint der Ort ländliche Anmutung und gleichzeitig schnelle Anschlüsse an die grossen Städte, neben Zürich auch Zug oder Luzern. Ähnlich wie für Rapperswil oder Uster liegen mehrere grosse Zentren innerhalb von 50 Kilometern Reichweite. «In 30 Minuten ist man am Hauptbahnhof Zürich, in 15 Minuten in Zug, in 20 Minuten mit dem Bus in Sihlcity», sagt Gemeindepräsident Marty. Neben der Attraktivität als Wohngemeinde will sich der Bezirkshauptort aber vermehrt als Arbeitsplatzgemeinde etablieren. Eines der deklarierten Ziele von FDP-Mann Marty ist es, Arbeitsplätze in den Ort zu holen und weg vom Pendlergemeinde-Charakter zu kommen.
2010 hat Wüest & Partner neu auch analysiert,welche Städte für einzelne Zielgruppen speziell attraktiv sind: für Familien, Singles, Vermögende oder Rentner (siehe «Wer wo am besten lebt» im Anhang). Für diese Auswertung wurden jeweils die Kriterien geprüft und stärker gewichtet, die für die entsprechende Gruppe besonders wichtig sind. Für Familien etwa das Kleinkinderangebot, Bildung und Erziehung, Erholung, Kultur sowie Freizeit oder Gesundheit, Sicherheit und Soziales.
Bei Singles wurden die Zentralität und die Dynamik der Städte stärker gewichtet, ebenso das Kultur-, Freizeit- oder Gastroangebot, bei Senioren die Erholungsgebiete sowie Kultur- und Freizeitangebot, bei Vermögenden der attraktive Wohnraum.
Auch bei den Zielgruppen liegt Zug gleich in zwei Kategorien auf Rang 1: für Familien wie für Vermögende.
Für Singles landet Genf auf dem ersten Platz, das urbane Zürich auf Rang 2. Die Limmatstadt ist auch für Familien attraktiv, liegt in dieser Kategorie auf Rang 3. Stadtpräsidentin Corine Mauch freut sich: «Unser Engagement für soziale Nachhaltigkeit trägt Früchte. Entgegen der landläufigen Meinung ziehen Familien gerne zurück in die Stadt. Wir haben seit 2004 einen Geburtenüberschuss, und die Zahl der Schulkinder steigt.» Diese Familienfreundlichkeit trage stark dazu bei, dass «gerade internationale Unternehmen keine Mühe haben, kompetente Mitarbeitende für Arbeitsstellen hier in Zürich zu rekrutieren».
Luzern schafft es in zwei Kategorien in die Top Ten, nämlich für Familien und Singles, genauso wie Bern für Familien und Rentner oder Küsnacht ZH für Familien und Reiche.
Die attraktivsten Orte für Rentner sind wenig überraschend Lugano und Locarno, das Miami der Schweiz.
Le Locle schneidet auch in den Zielgruppen-Rankings schlecht ab. Die Gemeinde liegt bei den Kriterien für Familien, Singles und Reiche in den Flop Ten aller Schweizer Städte; auch Steffisburg, Renens VD und Val-de-Travers erscheinen doppelt auf der Flop-Liste.