Wer mit der Eisenbahn aus Bern via Freiburg an den Genfersee fährt, dem offenbart sich, wenn der Zug bei Puidoux den Tunnel verlässt, ein grandioser Ausblick auf das endlos scheinende Rebenmeer des Lavaux, den glitzernden Lac Léman in der Tiefe und die Savoyer Alpen am fernen Horizont. Lässt man nun den Blick seeaufwärts gegen Osten schweifen, wird man die Tour de Marsens erblicken, das Wahrzeichen des Dézaley, das zu den ältesten und spektakulärsten Reblagen der Schweiz zählt. Hier rodeten im 12. Jahrhundert die Zisterzienser-Mönche der Klöster Montheron und Hautcrêt die wald-bewachsenen Steilhänge, die sie vom aus dem Burgund stammenden Lausanner Bischof Guy de Maligny zur Urbarmachung und Bewirtschaftung geschenkt erhielten. Sie errichteten von Trockensteinmauern gestützte Terrassen und bepflanzten die so gewonnenen Parzellen mit Reben. Später fielen Clos des Abbayes und Clos des Moines, die beiden von den Klosterbrüdern geführten und im Herzen der Appellation gelegenen Weingüter, an die Stadt Lausanne: 1536, nach der Besetzung durch die Berner, Clos des Abbayes und bei der Kantonsgründung 1803 schliesslich auch Clos des Moines.
Heute umfasst die Appellation Dézaley genau 53,6 Hektaren terrassiertes Rebland, das von unzähligen Steinmauern mit einer Gesamtlänge von 400 Kilometern gestützt wird. Doch so bekannt dieser steile Rebberg auch war, 2009 wurde der Dézaley kurzerhand der AOC Lavaux einverleibt, was die Winzer des Gebiets zu Recht in Rage brachte. Sie liessen nicht locker, bis sie 2013 das Recht auf die eigene Appellationsbezeichnung samt Grand-Cru-Status zurückerlangt hatten. Zusätzlich wurde die früher tolerierte Praxis, dass 10 Prozent der Weins von Weinbergen ausserhalb des Dézaley stammen durften, sinnvollerweise verboten. Was sich Dézaley nennt, muss heute auch zu 100 Prozent aus Chasselas-Trauben aus dem Appellationsgebiet stammen.
Ideales Anbaugebiet für Chasselas-Traube
Der am Genfersee beheimatete Chasselas findet im Dézaley ideale Wachstums- und Entwicklungsbedingungen vor. Das Terroir ist geprägt von einem kargen, steinigen, kalkreichen Boden, bestehend aus Moränenschutt des Rhonegletschers, der auf harten Nagelfluhschichten ruht. Das erklärt die charakteristische, von einer dezenten Bitternote unterstrichene Mineralität des Dézaley. Dazu kommt das besondere Mikroklima, das durch das Zusammenspiel von Steilhang, See und Steinmauern entsteht. Der Steilhang garantiert die maximale Einstrahlung der Sonne auf die Reben, der See wirkt als gigantischer Spiegel, der das Licht zurückwirft, und die Steinmauern speichern tagsüber die Sonnenwärme und geben sie in der Nacht ab.
Der Chasselas erreicht dadurch eine höhere phenologische Reife als anderswo und gerät besonders tiefgründig und kraftvoll. Damit ist gegeben, was wahre Grand-Cru-Weine ausmacht: Eine lange Tradition, ein einzigartiges Terroir mit einer ideal dazu passenden Rebsorte sowie unverwechselbare, typische Weine mit einer ungewöhnlichen Alterungsfähigkeit. Tatsächlich vermögen die Weine aus dem Dézaley bestens zu altern. Zeigen sie in den ersten Jahren Aromen von Mandeln, geröstetem Brot und Honig, so kann man mit zunehmendem Alter Noten von Haselnüssen, Bienenwachs und eingemachten Früchten erkennen. Obwohl sie auch in ihrer Jugend mit ihrem intensiven, frisch-fruchtigen Bouquet grosse Trinkfreude bereiten können, gewinnen sie doch mit zunehmendem Alter an Komplexität und Geschmacksfülle.
Das wissen auch die Winzer des Dézaley. So verpflichten sich etwa die zwölf Mitglieder der 1995 gegründeten Winzervereinigung La Baronnie de Dézaley, ein Jahrgangslager anzulegen, damit die gehobene Gastronomie und interessierte Weinliebhaber auch gereifte ältere Dézaley-Gewächse erstehen können. Voraussetzung für eine gute Alterungsfähigkeit ist für Luc Massy, den Präsidenten der Baronnie de Dézaley, der lange Ausbau des Weins auf der Hefe und die Durchführung der malolaktischen Gärung. Das wird zwar gelegentlich kritisiert, da der Chasselas eh schon eine säurearme Sorte ist. Doch die Erfahrung hat gezeigt, dass nach erfolg-ter malolaktischer Gärung neben den sortentypischen Aromen auch die typischen Terroirnoten an Ausdruckskraft gewinnen.
La Barronie de Dézaley: www.baronnie.ch
Drei ausgewählte Dézaley:
- Dézaley Grand Cru Chemin de Fer von Luc Massy, Eppesses
- Dézaley Grand Cru Médinette der Domaine Louis Bovard SA, Cully
- Dézaley Grand Cru de la Tour von Les Frères Dubois, Cully