7,76 Millionen Franken lieferte Alfred Schindler, oberster Chef über den Lift- und Rolltreppenkonzern Schindler, im letzten Jahr in Hergiswil LU an Steuern ab. Diese Zahl liess er im jüngsten Geschäftsbericht veröffentlichen. «Ich wollte der mühsamen Diskussion um die Managerlöhne etwas an Schärfe nehmen», begründet Schindler diese ungewöhnliche Publizität. Mit seinem Salär als oberster Manager und VR-Präsident könne er seine Steuern jedenfalls nicht bezahlen. Er sei zu 100 Prozent, so sein Sprecher Riccardo Biffi, vom Gewinn abhängig – und damit von der Dividendenzahlung. Sein Leistungsausweis ist denn auch beeindruckend: Seit er vor 20 Jahren bei der Firma das Zepter übernahm, hat diese ein Vielfaches an Wert zugelegt. Der Kurs stand damals bei 1.80 Franken, heute beträgt er trotz Börsenbaisse 76 Franken.
Schindler gehört zu den ganz Reichen in diesem Land. Seine Familie besitzt zwei Drittel des Aktienkapitals der Firma. Börsenwert Ende 2007: 9,1 Milliarden Franken. In der BILANZ-Liste der 300 Reichsten rangieren die Familien Schindler und Bonnard mit vier bis fünf Milliarden Franken Vermögen auf Position 33. Unter diesen Vorzeichen mutet der Obolus, mit dem Schindler den Fiskus alimentiert, doch eher bescheiden an. Dass er damit dem Dauerthema Managerlöhne an Brisanz nehmen kann, scheint eher optimistisch.
Da ist Thomas Schmidheiny ein ganz anderes Steuerkaliber. Die BILANZ veranschlagt sein Vermögen auf sieben bis acht Milliarden Franken. Verglichen mit Schindler jedoch zahlt er in Rapperswil-Jona ein Vielfaches an Steuern: 77 Millionen Franken fürs Steuerjahr 2007, wie Schätzungen der BILANZ ergaben. Der Chef des Zementriesen Holcim kann sich solche Generosität leisten. Sein gesamtes Einkommen beträgt 200 Millionen Franken, davon bezieht er 180 Millionen als Dividenden, die zu einem tieferen Satz besteuert werden. Allein für sein Vermögen überweist er dem Steueramt des Kantons St. Gallen 32 Millionen Franken.
Ebenfalls tief in seine Geldschatulle greift der Berner Hansjörg Wyss – und
dies nicht in erster Linie, weil die Mutzenstadt als ganz besondere Steuerhölle gelten würde. Der Gründer des Medizinaltechnikunternehmens Synthes, an dem er noch 40 Prozent hält, ist eine runde Milliarde reicher als Schmidheiny. Und er zahlt rund 41 Millionen Franken in den Steuersäckel von Bund und Kanton. Laut Geschäftsbericht bezieht er als Synthes-Chef ein Salär von 5,8 Millionen Franken, das er voll versteuert. Von den 42 Millionen an Dividendeneinnahmen im letzten Jahr berappt er dem Fiskus rund 17,4 Millionen und für das Vermögen nochmals 21,3 Millionen Franken. Wyss hat sich mittlerweile von der Schweiz verabschiedet und ist in die USA umgezogen. Der kauzige Einzelgänger spricht dort Millionenbeträge für die Schaffung von Nationalparks oder die Unterstützung von Eliteuniversitäten. In der Schweiz sponserte er unter anderem das Kunstmuseum Bern mit 20 Millionen Franken.
GIFTIGE POLEMIKEN. Wer finanziert die Schweiz? Diese Frage führt immer wieder zu giftigen Polemiken zwischen der Wirtschaftselite und den Gewerkschaften. Economiesuisse, der Spitzenverband der Wirtschaft, explizierte in einer Studie, dass die Unternehmen und die bestverdienenden 20 Prozent den Staat zu 60 Prozent finanzierten. Demgegenüber orten die Gewerkschaften gerade in jüngster Zeit eine massive steuerliche Umverteilung von den oberen zu den unteren Einkommensklassen. Doch abseits jeder Polemik wollte es BILANZ genauer wissen. Sie hat die Helden auf dem Steuerparkett gesucht, die in der Schweiz den Staat finanzieren. Enorm fündig ist sie dabei nicht geworden.
Ausgehend von der BILANZ-Reichstenliste vom vergangenen Jahr, hat sie 130 Milliardäre unter die Lupe genommen. Darunter befinden sich zahlreiche Ausländer, die mit den Kantonen ein Abkommen zur Pauschalbesteuerung abgeschlossen haben. Diese Daten fielen ausser Betracht. Bekannt ist, dass in der Schweiz rund 4000 solcher Vereinbarungen bestehen, die dem Staat rund 400 Millionen Franken eintragen. Die superreichen Ausländer, wie etwa der Ikea-Gründer Ingvar Kamprad, zahlen im Durchschnitt also 100 000 Franken Steuern – ein Klacks. Am häufigsten sind die Steuerabkommen in der Westschweiz, im Wallis und in der Waadt.
Ausländer oder Schweizer – wer hierzulande sein Geld verdient, zahlt Steuern. Aus Datenerhebungsgründen blieben schliesslich rund 45 reiche Schweizer, die BILANZ unter die Lupe nahm. Doch die Suche nach Einkommensquelle und Vermögen gestaltete sich schwierig. Von den Hayeks etwa, die den Uhrenkonzern Swatch beherrschen, erfährt man im Geschäftsbericht zwar, wie viel Salär sie beziehen. Aber wie die Dividendenzahlungen in der Höhe von 54 Millionen Franken verteilt werden, ist nicht eruierbar, da der grösste Teil der Aktien in einem Familienpool zusammengelegt ist.
Fazit der Enquête: Bei lediglich 14 Kandidaten waren die Daten plausibel.
STILLSCHWEIGEN. Auch direkte Anfragen fruchteten meist nichts. Walter Inäbnit, milliardenschwerer Chef des Berner Medizinaltechnikunternehmens Haag-Streit, lachte nur auf die Bitte um Offenlegung seiner Einkommensverhältnisse hin: «Dazu werde ich sicher nichts sagen.» Eine Anfrage auf dem Steueramt in Wohlen BE brachte indessen zutage, dass Inäbnit 2003 lediglich 373 000 Franken an Steuern ablieferte – bei einem Einkommen von 723 000 Franken und einem deklarierten Vermögen von 36,7 Millionen. Im Kanton Bern sind die Steuerregister noch immer öffentlich. Auch SVP-Nationalrat Peter Spuhler, Eigentümer der Stadler Rail in Bussnang TG, wollte sich zu seinen Einkommens- und Steuerverhältnissen partout nicht äussern. Abschlägig antworteten auch Jobst Wagner von der Rehau-Gruppe, Davidoff-Chef Ernst Schneider und Michael Pieper, CEO der Franke AG. Der Innerschweizer Industrielle sagt nur, dass er sich ein kleines Gehalt auszahlen lasse und eine Dividende, die in etwa die Steuern für die Franke-
Aktien decke.
Das Geld bleibt im Geschäft wie bei Franke oder wird in eine Familienholding verschoben, die lediglich die niedrigen Vermögenssteuern bezahlt. Die Familie Burkard-Schenker ist mit 32,8 Prozent an der Sika beteiligt, deren Börsenwert Ende 2007 rund 2,9 Milliarden Franken betrug. Der überwiegende Teil dieser Aktien ist im Besitz der Schenker-Winkler Holding mit Sitz in Zug, die wiederum von der Familie beherrscht wird. Für dieses Paket zahlt die Holding 7,6 Millionen Franken Vermögenssteuern, die Dividendenbezüge kommen ihr praktisch steuerfrei zu. Sie zahlt lediglich eine geringe Kapitalsteuer.
Viel Geld dagegen liefern Thomas Straumann und André Kudelski ab. Straumann besitzt 32,4 Prozent der gleichnamigen Medizinaltechnikfirma und kommt auf ein steuerbares Vermögen von 1,75 Milliarden Franken. Seine Steuerrechnung in Allschwil BL lautet auf 20,06 Millionen Franken. Auch bei André Kudelski ist die Datenlage recht transparent. An Salär bezieht er ein Einkommen von rund fünf Millionen, die Immobilien tragen gute zwölf Millionen bei, und der Rest speist sich aus den Dividendeneinnahmen. Insgesamt zahlt Kudelski 15,41 Millionen Franken an Einkommens- und Vermögenssteuern.
Doch solche Grosszahler sind nicht die Regel. Nicht wenige Reiche versuchen, ihr Einkommen möglichst am Fiskus vorbeizuschummeln, und nutzen alle möglichen Steuerschlupflöcher aus. Urs Wietlisbach etwa, mit 14,1 Prozent am Hedge Fund Partners Group beteiligt, ist von Zug nach Wollerau SZ umgezogen, wie er selbst eingesteht. Dort sei die Dividendenbesteuerung tiefer. Nun zahlt er noch 3,3 Millionen Franken an Steuern, während sein Partner Marcel Erni mit denselben Vermögensverhältnissen mit Wohnsitz in Zug fast fünf Millionen Franken berappt. Auch Verleger Michael Ringier, Ypsomed-Chef Willy Michel, Ex-Dennerchef Philippe Gaydoul oder Jobst Wagner von der Rehau-Gruppe zahlen trotz Milliardenvermögen einstellige Millionenbeträge an den Fiskus. Bei Michel und Wagner sind die Zahlen amtlich verbürgt. Sie beruhen auf dem Steuerregister ihres Wohnorts Muri-Gümligen BE.
Dies lässt die Polemiken von Gewerkschaften und der politischen Linken nicht abreissen. Für SP-Nationalrätin Susanne Leutenegger Oberholzer ist offensichtlich, dass die Reichen den Sozialstaat derzeit frontal angreifen. Insbesondere die Unternehmenssteuerreformen in Bund und Kantonen, die Steuerrabatte auf Dividendeneinnahmen, haben den Zorn nicht nur der Linken auf sich gezogen. Hans Kissling etwa, früherer Chefstatistiker im Kanton Zürich, rechnet in seinem Buch «Reichtum ohne Leistung» vor, dass in Zürich das reichste Prozent der Steuerpflichtigen genauso viel besitzt wie 95 Prozent der ärmeren Bevölkerung. Kissling spricht gar von einer Feudalisierung der Schweiz, da immer mehr Vermögen nicht selbst verdient, sondern vererbt werden.
Dennoch ist das Vorurteil deplatziert, dass die Reichen immer weniger Steuern zahlen. Erstens hat sich die Steuerlast in jüngster Zeit nur marginal verschoben. Insgesamt verringerte sich die Belastung durch die direkten Steuern seit 1998 leicht von 11,3 auf 11,1 Einkommensprozente. Beim untersten Einkommensviertel hat sich der Anteil der Steuern gar von 9,1 auf 8,5 Prozent reduziert. In einer Studie* hat das BFS zudem aufgezeigt, dass die Belastung mit Zwangsabgaben (Steuern, Sozialversicherungen) im obersten Einkommensviertel am stärksten zugenommen hat – von 25,8 auf 27,7 Prozent des massgeblichen Einkommens. Zweitens ist die Belastung mit direkten Steuern, ebenfalls gemäss BFS-Studie, nur bei den gut betuchten Rentnerhaushalten marginal gesunken. Die Statistiker des Bundes selbst bewerten die Verschiebungen bei den Steuern und Sozialabgaben als relativ unbedeutend. Eine markante Umverteilung der Steuerbelastung auf die unteren Einkommen ist folglich ins Reich der Legenden zu verweisen.
Ins Schussfeld geraten ist auch eine heftig umstrittene Studie der Economiesuisse**, des Spitzenverbands der Schweizer Wirtschaft. Auch diese kommt zu wenig erstaunlichen Resultaten: Die Grossverdiener finanzieren den grössten Anteil der kantonalen Einkommenssteuern – und der eidgenössischen sowieso. Denn Letztere entlastet die tiefen Einkommen noch stärker als die Kantone. Aus der Studie geht hervor, dass «acht Prozent der Steuerpflichtigen mit einem reinen Einkommen von über 120 000 Franken fast 40 Prozent der kantonalen Einkommenssteuer» von rund 35 Milliarden Franken bezahlen. Die unteren 29 Prozent (Reineinkommen bis 30 000 Franken) finanzieren hingegen keine zwei Prozent des Steuerertrags.
GAR NICHT ANSTÖSSIG. Auch anhand anderer Daten lässt sich leicht nachvollziehen, wer den Fiskus vornehmlich alimentiert. Seit 1990 haben die direkten Steuern von 30 auf 50 Millionen zugenommen – mithin ein Plus von 63 Prozent. Diese zusätzlichen Milliarden wurden vorab von den besser Verdienenden finanziert. Der Vermögenssteuerertrag hat sich in elf Jahren auf 4,8 Milliarden verdoppelt. Auch diesen berappen ausschliesslich die Reichen. Die rund 600 Milliarden Franken, die derzeit in der beruflichen Vorsorge (zweite Säule) angelegt sind, stammen zu mindestens 50 Prozent von den Unternehmern. Seit der Einführung des Pensionskassenobligatoriums 1985 wurden so gegen 300 Milliarden Franken von den Firmen an die Arbeitnehmer umgeschichtet.
Die Reichen und die Grossverdiener finanzieren die Schweiz, was freilich alles andere als anstössig ist. Es kann sogar zu abwegigen Besteuerungen kommen. Esther Grether beispielsweise, Kunstmäzenin und einstmals Inhaberin eines Kosmetikimperiums, zahlt mehr Steuern, als sie an Dividenden einnimmt. Das Einkommen aus ihrer Beteiligung an Swatch trägt ihr rund 20 Millionen Franken ein, wovon sie 7,8 Millionen Franken an den Fiskus abliefert. Für ihr Vermögen von 3 bis 4 Milliarden liefert sie nochmals 17,5 Millionen ab, total 25,3 Millionen. Der Grund für die hohe Belastung: Vermögen lässt sich nur sehr schwer verstecken. «An der Vermögenssteuer», sagt BILANZ-Steuerexperte Werner A. Räber, «führt kein Weg vorbei.» Verständlich, dass Grether daran keine Freude hat.
* BFS: «Finanzielle Situation der privaten Haushalte», Neuenburg 2007.
** Economiesuisse: «Wer finanziert den Staat in der Schweiz?», Zürich 2007.
Hans Kissling: «Reichtum ohne Leistung», Zürich/Chur 2008.